Ausgabe 8/2023

WEINWIRTSCHAFT 8/2023

WEINWIRTSCHAFT 8/2023

Themen der Ausgabe

Sommerwein

Nur schwer zu fassen scheint das Konzept Sommerwein. Wie die Kategorie im deutschen Handel performt.

VDP Weinbörse

So präsentieren sich die neuen Weine der VDP-Betriebe in der Verkostung

Vinitaly

Die italienische Leitmesse überzeugte 2023 mit vollem Programm und vollen Hallen

Porträt

Die Weinhandlung Suff in Berlin kokettiert mit dem eigenen Namen – und das erfolgreich

Theresa Olkus

Die Geschäftsführerin des Verbands deutscher Prädikatsweingüter im Gespräch

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Angepasste Individuen

Warum die Vermarktung von Spitzenweinen nur bedingt als Spiegelbild für den Gesamtmarkt taugt

Als ich vor Jahren auf die Frage, was für mich das Schönste an der Weinwelt ist, mit ihre Vielfalt antwortete, erntete ich Unverständnis. Damals war ich noch nicht in der Redaktion der WEINWIRTSCHAFT, doch die Freude über die Vielfalt hat sich seitdem nur verstärkt, finde ich so doch abwechslungsreiche Themen. Das Kaiserstühler Weingut Friedrich Kiefer brachte es für mich in einer Werbeanzeige mit dem Walter-Gropius-Zitat »Bunt ist meine Lieblingsfarbe« auf den Punkt.

Dennoch reden wir viel über Systeme und Schablonen. Im Interview (s.S. 36) geht VDP-Geschäftsführerin Theresa Olkus auf die Klassifizierung des VDP ein und dass diese nicht für alle VDP-Weine passt. Olkus sagt, dass es für jedes Weingut einen gewissen Individualisierungsgrad gebe. Damit trifft sie einen wichtigen Punkt, der in vielen Diskussionen über das Weinrecht oder auch die VDP-Klassifizierung für Verstimmung sorgte. 

Die Klassifikationen können nicht jede obskure Spezialität eines kleinen Winzers abdecken. Wer einen Spitzenwein aus wurzelechten Muskateller-Reben in einer historischen Lage erzeugt, muss diesen dennoch nicht als Lagenwein vermarkten können. Er hat genug Argumente und wenig Menge, um für diesen Wein einen besonderen Preis auszurufen. Die Angst vor der Vermarktbarkeit durch geänderte Bezeichnungen wirkt in diesem Falle eher wie ein fehlendes Vertrauen in die eigene Besonderheit, denn wie viele Handelspartner bestehen auf der 100-prozentigen Kontinuität einer Bezeichnung bei individuellen Produkten?

Individualität passt nicht in Schubladendenken. Individualisten müssen sich davon befreien. Ein Blick auf die badische Landweinszene zeigt, dass man individuelle Weine sogar unter dem negativ beladenen Begriff »Landwein« vermarkten kann. Den jungen badischen Winzern ist es eher gelungen, diesen binnen kurzer Zeit – in der für sie relevanten Weinszene – zu einem Synonym für charakterstarke, individuelle Produkte zu machen.
Letztlich diskutieren wir viel zu viel über die Spitzen der Qualitätspyramiden, denn die wenigsten Lebensmittelmärkte sind in der Lage Weine jenseits von 30 Euro zu vermarkten, selbst wenn sie als Erklärung plakativ »Großes Gewächs« nutzen. Im Fachhandel findet der Verbraucher wiederum eine kompetente Beratung, die das Besondere eines Weins vermitteln kann, auch wenn dieser nicht in eine Pyramide passt.

»Individualität passt nicht in Schubladendenken. Individualisten müssen sich davon befreien«

Anders muss der Streit um die Großlagen-Weine betrachtet werden, denn hier ging es nicht um individuelle Produkte, sondern um Massenwein, für den gerade seine Bezeichnung das individuelle Charakteristikum ist. Auch wenn der Anteil dieser Weine an der gesamtdeutschen Produktion deutlich zurückgegangen ist, spielt er für viele große Betriebe – insbesondere in Württemberg – eine bedeutende Rolle in der Vermarktung. Die Großlage hat die Funktion einer Marke, der die Erzeuger durch das neue Weinrecht beraubt wurden. Die Kritiker der Großlage hatten zwar verstanden, dass es sich um einen Massenwein handelt, aber nicht, dass es für einen Massenwein andere Ersatzmöglichkeiten braucht als für ein individuelles Spitzenprodukt. So bleibt der Ärger der Erzeuger von Großlagenweinen, denen nur eine Übergangsfrist eingeräumt wurde, verständlich.

Die Schutzgemeinschaften müssen aufpassen, diesen Fehler nicht zu wiederholen. Natürlich gibt es einzelne Erzeuger, die exzellente Grauburgunder produzieren, doch im Allgemeinen ist Grauburgunder ein Massenwein. Grauburgunder-Spezialisten können sich einen Namen machen, auch wenn ihr Spitzen-Grauburgunder keinen Lagennamen trägt. Mit der Einführung der GGs hat der VDP die Exzellenz-Wirkung seiner Mitglieder unterstrichen und sein wie deren Profil geschärft. Für die Profilierung eines Weinguts kann der Spitzenwein entscheidend sein, für die Profilierung einer Region muss es die Basis sein. Die zentrale Aufgabe der Schutzgemeinschaften muss daher sein, sich um die Basis Gedanken zu machen und hier ein Profil für ihre Region zu entwickeln, bei dem es statt um die von mir geliebte Vielfalt um die großen verbindenden Gemeinsamkeiten geht. CLEMENS GERKE