Ausgabe 25/2018

Bittere Wahrheit
Titel WW 25/18

Nein, wir sind nicht pleite, aber wir müssen die Zahlungen an unsere Winzer einstellen. Keine freudige Botschaft, die Geschäftsführer Peter Jung und Heike Schacherl, die für Finanzen und Verwaltung bei der Remstalkellerei verantwortlich zeichnet, den rund 1.200 Mitgliedern per Rundmail zum Start in die Aventszeit offenbaren mussten. An der wirtschaftlich prekären Situation, die sie selbst als desaströs bezeichnen, tragen die beiden keine Schuld. So als habe mancher den Ernst der Lage noch nicht begriffen, empfindet manches Mitglied den Brandbrief sogar als schlechten Stil und skandalös und trägt das auch gleich in die regionale Öffentlichkeit.
Das erinnert ein bisschen an die Bundesliga: Nicht die miese Mannschaft auf dem Platz, sondern der Trainer auf der Bank trägt die Schuld. Erst seit Anfang August im Amt konnte Peter Jung, der aus seiner vorherigen Tätigkeit für den Deutschen Raiffeisenverband über genügend Einblicke in Genossenschaften verfügt, erstmal nur das Desaster offenlegen und die Leichen der Vorgänger aus dem Keller holen. Dort lagern Altbestände insbesondere aus dem Jahrgang 2016 die »heute nahezu unverkäuflich sind« und »über Nacht ihren kompletten Wert verloren haben«, wie Jung im Rundbrief den verdutzten Mitgliedern und der versammelten Schar Württembergischer Weinerzeuger verkündete, als sie die Meldungen in der Tagespresse lesen konnten.
Über die Jahre wurde zu viel unverkäuflicher Wein eingelagert, die rechtzeitige Räumung der Überbestände versäumt, ein zu hohes Traubengeld ausbezahlt, das zum Teil aus den Rücklagen finanziert wurde, die jetzt bis auf die gesetzlich vorgeschriebenen aufgezehrt sind. Die Absatzsituation wurde viel zu optimistisch eingeschätzt, genauso wie die Qualität der erzeugten Weine, die teilweise am Markt vorbeiproduziert wurde. Die Kosten der Erzeugung waren zu hoch. Das Schreiben wird in die Annalen der baden-württembergischen Weingeschichte eingehen und zeitigte auch gleich heftige Reaktionen. Der Vorsitzender der benachbarten Fellbacher Winzer wehrte sich gegen eine pauschale Entwertung der Weine aus dem Jahrgang 2016, die in manchen Fällen erst jetzt nach zweijähriger Lagerung im Holzfass in den Verkauf kämen. Doch der Schock sitzt. Der Verlust an Image und Reputation trifft die Remstäler nicht allein. Dabei hätten es alle wissen können. Mit harscher Kritik an den Verantwortlichen in Vorstand und Aufsichtsrat sparte selbst der Baden-Württembergische Genossenschaftsverband nicht und hält den Genossen im Jahresabschluss den Spiegel vor, beschreibt die Risiken, die aus einer zu hohen Fixkostenstruktur, versäumter Betriebsentwicklung wie dem Bau einer kostensparenden Zentralkelter, der langfristigen Gefahr eines weiteren Verlustes an Mitgliedern und Flächen der auf rund 500 Hektar geschrumpften Genossenschaft drohen. Am Pranger steht dort auch die genossenschaftliche Mitbestimmung der Art »ein Mitglied eine Stimme«, wodurch die Interessen der Haupterwerbswinzer oft untergebügelt und selbstverliebte Romantik Oberhand gewinnt, bis hin zur Pflege von Rebsorten, die als Nischenprodukt Berechtigung haben, aber nicht als tragende Säulen der Vermarktung. 
Alles Punkte die seit Jahren als strukturelle Defizite bekannt sind und die auch die Winzer im Remstal  hätten wissen können. Heiko Schapitz als letzter ordentlicher Geschäftsführer hatte lange vorher auf diese Missstände hingewiesen. Doch er wurde verunglimpft und verleumdet  und nahm 2013 enttäuscht seinen Hut. Respekt vor so viel Mut und Anstand. Aber der Fall ist mehr. Die Remstalkellerei ist nur die Spitze des Eisbergs. Die Abwertung unverkäuflicher Bestände die quasi über Nacht in fallende Märkte als Überbestände feil geboten werden, dürften noch etliche Winzerbetriebe und Genossenschaften in den Abgrund reißen. Mehr denn je rächt sich, dass der deutsche Weinbau keine Produktdifferenzierung und nur wenige Absatzkanäle kennt.


Hermann Pilz
Chefredakteur Weinwirtschaft
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