Ausgabe 24/2022

WEINWIRTSCHAFT 24/2022

Themen der Ausgabe

Trentino

Trotz Alpen-Panorama schlägt die Marke die Herkunft

Rhône

Starke Konkurrenz, klare Ziele
 

Interview

Patrick Donath von ALDI SÜD über das Discount-Geschäft
 

Top-Trends Fachhandel

Was wünschen sich Fachhandels-Kunden immer öfter?
 

Fokus Fachhandel

Spannende Masterclasses, umfassendes Programm

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Spezialwissen vor!

Allgemeinplätze haben ausgedient, eine vielfältige Weinwelt braucht vielfältige Kenntnis.

Was ist eigentlich ein »gastronomischer Wein«? Ich höre von diesem Konzept ständig – doch ein richtiges Bild davon will sich mir partout nicht ergeben. Was zumindest gemeint scheint, wenn von dieser Art Wein die Rede ist: Dieser Wein ist zu kompliziert für den Ottonormaltrinker, der nur frisch und fruchtig versteht. Weil Barrique. Weil Tannin. Weil Hefelager. Weil biodyn. Weil Low-Intervention. Weil vieles mehr, was Weinen Struktur und Tiefe verleiht. Damit bekommen so ziemlich alle spannenden Weine dieser Welt den Stempel »Achtung, nur in der Gastronomie verkaufsfähig!« aufgedrückt. Das ist Unsinn. Und ein ähnlich überkommenes Klischee wie die »Weißwein zu Fisch, Rotwein zu Fleisch«-Mär. 

Jede Gastronomie braucht frische, trinkige Weine, genau wie jeder gut sortierte Händler, ganz egal, ob Facheinzelhandel oder LEH, auch Strukturweine braucht, die womöglich einen Euro mehr kosten. Auch das mag ein (falsch verstandener) Erklärungsansatz für die Idee vom Gastronomie-Wein sein: Höherpreisige Weine verkommen im Handel zum Regalhüter, nur im Restaurant lässt der Gast das nötige Kleingeld springen für den komplexen Roten oder Weißen.

Natürlich taugt nicht jeder Supermarkt zur Grand-Cru-Bühne – genauso wenig aber eignet sich jedes Restaurant dazu. Hier wie dort ist Fachkompetenz gefragt. Nicht der Verkaufsort entscheidet, welche Art Wein sich gut verkauft – sondern der Verkäufer. Beratung ist, wie immer, King. Ganz gleich, ob derjenige sich Sommelier nennt und gleichzeitig passende Speisen empfiehlt, oder ob die Person im Handel Regale befüllt – und übrigens nicht allzu selten ebenfalls gerne zu korrespondierendem Essen berät.

Wie überholt diese Vorstellung einer Schwarz-Weiß-Weinwelt ist, zeigen auch unsere Weinhändler des Jahres, die wir vor kurzem an neuer Location in neuem Event-Rahmen auszeichnen durften (s. ab Seite 34 sowie ab Seite 36). Die Fachhandels-Szene ist so dynamisch, so innovativ und vor allem hochgradig spezialisiert. Alles, was als vermeintlicher Gastronomie-Wein gelten dürfte, findet dort inzwischen seinen Platz, vom biodynamischen Naturwein bis zum Großen Gewächs. 

Die Zeiten, in denen Weine sich per Etikett verkaufen, sind vorbei. Zu ausdifferenziert ist die Weinwelt geworden. Selbst große Klassiker derselben Herkunft unterscheiden sich teils enorm und bedürfen Erfahrung und Fachkenntnis, um sie an den richtigen Kunden zu bringen. Wo Chianti Classico draufsteht, mag Chianti Classico drin sein – aber mitnichten kann heutzutage noch von einem identischen, gleichförmigen Geschmacksprofil dieser Herkunft gesprochen werden. Und das ist auch gut so. 

»Natürlich taugt nicht jeder Supermarkt zur Grand-Cru-Bühne – genauso wenig aber eignet sich jedes Restaurant dazu«

Klar, es wird immer die leicht verständlichen Weine geben, die auch ein Gros der Verbraucher ansprechen, die sich nicht allzu sehr mit dem Produkt auseinandersetzen möchten. Doch darf das nicht zu dem Missverständnis führen, dass dies der Gegenpart zum »gastronomischen Wein« sei. Mehr allgemeiner Mut, sich von diesen scheinbaren sicheren Weinkonzept-Pfaden zu lösen, täte gut. 

Wein braucht kein allgemeingültiges Etikett. Wein ist nicht rot oder weiß oder rosé, sondern kommt in so mannigfaltigen Facetten ins Glas, dass jeder Versuch das Produkt in Schubladen zu pressen, bestenfalls misslingen muss.

Wie immer gilt: Qualität setzt sich durch. Das bezieht sich nicht nur aufs Produkt, sondern auch auf den Händler. Wer bereit ist, Lust hat, sich mit Spezialwissen auszustatten und die zunehmende Vielfalt der Weinwelt dem Kunden zu veranschaulichen, wird nicht nur ökonomischen Erfolg haben, sondern trägt auch dazu bei, die Weinhandelswelt, das Angebot, vielfältiger zu gestalten. Ganz gleich, ob in Gastronomie oder Einzelhandel. Alexandra Wrann