Ausgabe 24/2018

Alles Passito?
Titel WW 24/18

Der Kunde hat sich gewandelt, darin waren sich die Teilnehmer des Fachhandelsmeetings der WEINWIRTSCHAFT rasch einig. Den traditionellen Weinkäufer aus bürgerlicher Schicht, der sich ein bisschen mit Wein auskannte, vielleicht etwas mehr als eine Flasche für den Abend zu Hause hatte und ein paar Mal im Jahr beim Winzer oder Weinhändler seines Vertrauens einkaufte, gibt es immer weniger. Abgelöst wird er von einer Kundschaft, die sich da und dort über Wein informiert, mit dem Thema weitaus weniger emotional und traditionsbehaftet umgeht und bei weitem kein ästhetisches Kulturgut mehr darin sieht. Die alten Einkaufsstätten werden weiter genutzt, aber der Kunde ist weniger treu: Gekauft wird, wo es gerade passt. Wer Wein verkaufen und aus Ertragsgründen etwas mehr als die Logistiker aus dem Discountbereich erlösen will, muss sich neu aufstellen. Der Multi-Channel-Handel ist keine Erfindung der Kaufleute, sondern die Antwort auf das veränderte Verbraucher- und Einkaufsverhalten. Die Kontakte zu den Kunden sind flüchtiger. Wer Tuchfühlung halten will, muss um ein Vielfaches mehr Berührungspunkte schaffen. Das erleben derzeit viele selbstvermarktende Winzer. Ihnen brechen die Kunden regelrecht weg. Ein Geschäftsmodell reicht eben nicht mehr. Eine wirkliche Antwort, etwa gemeinsame Aktivitäten in den Regionen oder vor Ort der Verbraucher, die über die Basis eines fröhlichen Weinfestes hinausreichen, haben die wenigsten. Die Aktivitäten und das Engagement der Top-Weingüter rücken zwar Wein in die Mitte der Gesellschaft, aber es fehlt die breite Unterstützung. Der Ball wird nicht aufgegriffen. Dabei bleibt Wein ein extrem beratungsbedürftiges Produkt, was sich immer mehr als Krux für die Online-basierten Verkaufsmodelle erweist. Die Konsumenten bekommen jede Menge Informationen im Internet, aber es fehlt die Software für die Verarbeitung, würden IT-Leute sagen. Natürlich gibt es Ausnahmen: Eine Mini-Schicht an Weininsidern unter den Konsumenten. Doch ihre Zahl ist klein und vom Absatzvolumen nur für wenige Top-Betriebe entscheidend. Unbill droht dem Wein zudem von einer Nivellierung des Angebots. Alles ist gleich: leicht gesüßt, fruchtig und mild. Nur Keinem Anforderungen und Geschmack abverlangen. Die Gefahr ist groß, dass Wein zum technischen Gut degeneriert, uniform und konturlos, nur der Preis entscheidet noch. Der Wettbewerb hat längst ruinöse Züge angenommen. Rabatte wie im Möbelhandel etablieren sich als Ultima Ratio und sind inzwischen eher die Regel als die Ausnahme. Da passt ein anderer Wahn perfekt in die Zeit und in das Szenario der Entwertung menschlicher Arbeit. Es ist der Begriff der Digitalisierung. Ich kann’s schon nicht mehr hören. Alles wird digital. Vermutlich lösen sich die Menschen demnächst in Nullen und Einsen auf. Der Hype grenzt an Götzenverehrung. Nicht dass wir uns falsch verstehen: Viele Arbeitsabläufe in Technik, Wirtschaft und Verwaltung lassen sich durch den Einsatz von Computern besser bewältigen. Zurecht hat der Deutsche Weinbauverband das Thema Digitalisierung auf seinem Kongress aufgegriffen. Aber man darf das Kind nicht mit dem Bad ausschütten. Nicht alle Technik, die machbar und denkbar ist, hilft. Vor allem dann, wenn es nur noch darum geht, Unterschiede glattzubügeln und eine gleichförmige Qualität zu erzeugen. Dann verliert Wein seinen Reiz. Mir klingt die Klage eines Bauern in den Ohren, der sich heute als Verwaltungsfachmann, Veterinär, Programmierer und Maschinenführer verstehen soll, aber nicht mehr als Bauer, der auf seiner Scholle ess- und genießbare Nahrung erzeugt. Irgendwann wird man ihn nicht mehr brauchen. Dann sitzt ein Humanoider an seinem Platz und steuert per Drohnen und Roboter die Produktion. Ich bin gespannt, wer dann noch Wein trinkt und was außer Computerspielen sonst noch läuft. Hermann Pilz Chefredakteur Weinwirtschaft [email protected]