Ausgabe 23/2014

Inselwelt - Soll die EU den Briten helfen? Eine Brancheninitiative glaubt fest daran.

Was ist mit den Briten los? Seit Jahren wabert eine zermürbende Anti-Alkohol- Kampagne übers Land. Auslöser für die Diskussion braucht man nicht lange zu suchen. Am Wochenende sind die Innenstädte und die angesagten Pubs und Treffs voll von jungen Leuten, die sich bereits zuhause betanken und sich anschließend in der Bar, der Diskothek oder dem Pub den Rest geben. Horden besoffener und pöbelnder junger Leute bis hin zu Minderjährigen, die sich ins Alkoholkoma saufen und die Nacht im Rinnstein oder in der Ausnüchterungszelle verbringen, gehören zu den Wochenendexzessen breiter Bevölkerungsschichten. Ganz offen wird in der angelsächsischen Welt über das Alkoholproblem der Briten diskutiert. Während die Amerikaner eher als moderate Konsumenten gelten, zählen die Briten zu den Hardcore-Trinkern. Noch in den 60er-Jahren, als die Pubs um halb elf die Schotten dicht machten, lag der durchschnittliche Alkoholkonsum weit unter dem Niveau der Kontinentaleuropäer. Was nun die genauen Ursachen sind – die Verfügbarkeit, der Preis oder gesellschaftliche Entwicklungen – und welche Auswirkungen der übermäßige Konsum auf die individuelle Gesundheit und die Volksgesundheit der Briten in ihrer Gesamtheit hat, wird heftig diskutiert. Zahlreiche Initiativen, meist unter Federführung des staatlichen Gesundheitssystems, wie etwa das »Safer Portsmouth Partnership« in Südengland, das sich auch gleich noch dem Drogenmissbrauch, der Diebstahlkriminalität sowie sonstigem sozialem Fehlverhalten widmet, haben auf der Insel Hochkonjunktur. Bei solchen Gelegenheiten kommt mir immer wieder das Beispiel Italiens in den Sinn. Alkohol kann man auf dem Stiefel an jeder Ecke des Landes kaufen. Man wird aber kaum irgendwo einen besoffenen Italiener zu Gesicht bekommen. Der durchschnittliche Alkoholkonsum liegt mit 7 bis 8 Liter reinem Alkohol deutlich niedriger als in Deutschland oder England. Auch wenn sich mittlerweile wie in anderen Ländern die Lebensgewohnheiten ändern, so lernen die Italiener in aller Regel in Familie und Gastronomie den moderaten Konsum alkoholischer Getränke kennen. Erst in jüngster Zeit bürgert sich auch in Italien in den Großstädten das »Binge Drinking« unter Jugendlichen ein. Im Fall der Briten mutet eine jetzt gestartete Initiative reichlich skurril an. Ausgerechnet die EU, nein, viel schlimmer noch in den Augen der britischen Regierung, in Gestalt der verhassten EU-Kommission, soll helfen, einen der ungewöhnlicheren Auswüchse der britischen Alkoholpolitik zu beseitigen. Eine Brancheninitiative unter Führung der Fachzeitschrift »Off Licence News« übergab der Generalsekretärin der EU-Kommission, Catherine Day, in Brüssel einen Brief, der die Aufmerksamkeit auf eine von zahlreichen lokalen und regionalen Behörden in jüngster Zeit erlassene Anordnung lenken soll. Die verbietet es Händlern, bestimmte Biere und alkoholische Getränke wie Cidre, die mehr als 5,5 respektive 6,5 Volumenprozent enthalten, zum Verkauf anzubieten. Das Ziel ist klar: Billiger Alkohol in höherprozentiger Form und von einfacher Qualität soll aus den Läden verbannt werden, denn er gilt als eine der Hauptursachen für den landesweiten Alkoholmissbrauch. Das träfe aber auch den derzeit stark wachsenden Markt der nobleren Craftbiere und wird entsprechend von der Branche kritisiert. Der bemerkenswerten Initiative von der Insel war eine Anrufung der EU durch die Vereinigung der schottischen Whiskyproduzenten vorausgegangen, die sich erfolgreich gegen die Einführung eines Mindestpreises pro Alkoholeinheit gewehrt hatten, egal um welchen Alkohol es sich handelt. Bedenken des Parlaments, die Regelung könnte gegen die Grundsätze des freien Warenverkehrs in Europa verstoßen, hat die Einführung bislang verhindert. Ob die jetzt geforderte Unterstützung der EU für die hochprozentigen Craftbiere die ablehnende Haltung der englischen Wähler in Sachen EU verändern könnte, fragen sich nun nicht nur die Spötter und Beobachter in Brüssel. Vielleicht hilft ja doch die Lust aufs Bier, die Liebe zur EU in den Herzen der Briten zu entfachen.

Hermann Pilz [email protected]