Ausgabe 21/2019

Zeitenwende

WW21/19

Es ist gut, dass es Menschen gibt, mit denen man nicht einer Meinung ist. Was wäre das Leben sonst langweilig. Über Werte, Moral, Verhalten und Zukunft lässt sich trefflich streiten. 
In der Weinbranche bin ich mit Ingo Steitz, dem Präsidenten des Weinbauverbands Rheinhessens, oft unterschiedlicher Meinung. Für mich ist der Weinbau in ein zu enges Korsett von Regelungen und Einschränkungen geschnürt. Entwicklungschancen und der Strukturwandel werden behindert. Dazu ist die nach wie vor gültige Orientierung am Mostgewicht ein Hindernis, eine Marktdifferenzierung zu erreichen. Eine Orientierung der Verbraucher wird verhindert. Solange die gesamte deutsche Weinernte als Qualitätswein vermarktet werden darf, wird es immer bei dem Discountpreis orientierten Einheitsbrei bleiben. Da helfen neidische Blicke nach Italien, Frankreich und Österreich nicht. Dort ist zwar auch nicht alles Gold, was glänzt, aber die Spitze hat in den Ländern eine Chance sich zu profilieren. Und wer das nicht will, hat die Freiheit sich außerhalb des Systems mit eigenem Namen zu profilieren. Ein internationaler Trend, der demnächst auch nach Deutschland herüberschwappen könnte, wenn es das Weinrecht nicht verhindern würde.
Sei es drum, über alle diese Fragen kann man unterschiedlicher Meinung sein, und genau deswegen bin ich wieder mal zum Herbstgespräch des rheinhessischen Weinbauverbands gefahren, um zu hören und zu sehen, ob sich irgendwas in Sachen Weinrecht getan hat oder ob alles beim Alten bleibt. Was soll ich lange drum herumreden. Geht es nach dem Willen des Weinbaupräsidenten, bleibt es, wie es ist. Eine Differenzierung findet nicht statt, deutscher Wein bleibt stranguliert. Die Agrarpolitik von Steitz ist die Bewahrung des Ist-Zustands, wie er glasklar zu verstehen gab. Kann man nichts machen. Wer zahlt, bestimmt die Musik.
Aber warum schreibe ich Ihnen das? Sind unterschiedliche Ansichten über Weinbau und Politik so außergewöhnlich? Nein, aber Steitz sagte auch etwas Unerhörtes, etwas, was an den Grundfesten unserer Gesellschaft rüttelt und in dem ich ihm ausnahmsweise mal Recht geben muss. Steitz sprach mit Blick auf die gesamte Landwirtschaft, zu der auch der Weinbau gehört, von einem historischen Wendepunkt. Im Zuge der Diskussion über den Klimawandel wird das Grundrecht des Eigentums und überhaupt unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung in Frage gestellt. Von allen Seiten hagelt es Vorschläge wie, was zu regeln sei. Gebote weichen Verboten. Umweltvergehen, die früher Bagatellen waren, werden zu strafbaren Handlungen stilisiert. Eine Allianz aus Naturschützern, Umweltaktivisten und Politikern fordert Einschränkungen für die Bevölkerung genauso wie für die Landwirtschaft. Ganze Landstriche dürften aus der Bewirtschaftung fallen. Das ist Enteignung. Die Klagen und Forderungen der Öffentlichkeit über die Landwirtschaft sind nachvollziehbar: Die Bewirtschaftung darf nicht auf Kosten der Umwelt und der Gesundheit der Bevölkerung gehen. Nitratverseuchtes Grundwasser, umweltgefährdende Pestizide, fehlender Fruchtwechsel und Monotonie in Feld und Flur bis hin zum Artensterben sind Folgen der modernen Agrarindustrie. Die Landwirtschaft ist genauso wie der Weinbau in die Falle der Industrialisierung getappt. Nur noch das Massenprodukt zählt und nicht mehr die Qualität und die Schaffung lebenswerter Bedingungen für die Menschen, die in der Landwirtschaft arbeiten und die Konsumenten als Abnehmer.
Das ist die eine Seite der Medaille. Die andere ist die Regelungswut der Politik und die Forderungen selbsternannter Umweltaktivisten, die inzwischen auch vor dem Eigentum keinen Halt mehr macht. Eigentum verpflichtet. Aber das darf nicht so weit gehen, dass Menschen faktisch ihr Eigentum verlieren. Das ist eine andere Gesellschaft und hat mit unserer freiheitlichen, demokratischen Grundordnung nichts mehr zu tun.
Hermann Pilz
Chefredakteur Weinwirtschaft
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