Ausgabe 19/2014

So geht Wein - Potenzial für 380 Läden sieht Jacques’ Wein-Depot für die nächsten Jahre. Das richtige Konzept ist vorhanden.
Ein Konzept, das sich über 40 Jahre, verschiedene Eigentümer, wechselnde Mitarbeiter und fast zwei Generationen von Kunden erfolgreich trägt, kann so verkehrt nicht sein. Blicken wir zurück ins Jahr der Gründung. 1974 trug man Schlaghosen, breite Koteletten und segelgroße Kragen. Die Damen trugen braun, curry oder Buntes. Die Hippiezeit flaute ab, und die Grünen machten Rollkragenpullis salonfähig. Deutschland wurde Fußballweltmeister, und Playmobil erlebte seine Premiere. Die Ölkrise wirkte nach, und Kanzler Brandt reichte nach dem Guillaume-Skandal das Staffelholz an Helmut Schmidt weiter. In den USA stürzte Richard Nixon als Folge des Watergate-Skandals, und die junge Bundesrepublik feierte ihr 25-jähriges Jubiläum. Alles andere als ruhige Zeiten, und internationale Konflikte im Nahen Osten bewegten damals wie heute die Nachrichten. Auch der Handel befand sich im Umbruch: Die Discounter schickten sich an, den Lebensmittelhandel von unten aufzumischen. Auf der grünen Wiese entstanden mit den SB-Warenhäusern gigantische Verkaufsmaschinen, die den kleinen Händlern in den Innenstädten das Leben schwer machten. In diese Zeit hinein wagten die Gründer, Jacques Héon und Dr. Olaf Müller-Soppart, ein für den damaligen Weinhandel revolutionäres Konzept.
 
Das Grundprinzip setzte an der Quelle an: »Einkaufen wie beim Winzer«, lautete das Motto. Das Weinlager wurde zum Einzelhandelsgeschäft umfunktioniert. Statt der abschreckenden Ansammlung unüberschaubarer Einzelflaschen, die angestaubt aus vollgepfropften Regalen von oben auf den Kunden herabblickten, wurde der Weinladen von Jacques’ zum übersichtlich und einfach überschaubaren Winzerlager. Dieser Gedanke gab die Grundrichtung vor, ergänzt um einige wichtige Faktoren, die dem Kunden das Einkaufen so bequem und einfach wie möglich machen und gleichzeitig ein Erlebnis bieten sollten. War in traditionellen Läden das Öffnen einer Flasche oder gar die Verkostung von mehreren Weinen eine Ehrfurcht einflößende Zeremonie, gab es bei JWD die Probe sämtlicher Weine zu jeder Zeit umsonst. Ein Prinzip, das bis heute in den Läden verfolgt wird. Wein-Erlebnisse waren auf diese Weise garantiert. 
 
Das einfache Geschäftskonzept und die konsequent verfolgte Kundenorientierung wurden bis ins Detail perfektioniert. Bewusst wurden periphäre Lagen am Stadtrand gesucht, wo Jacques’ Wein-Depot als Einzelhandel auf einsamer Flur ein Einkaufserlebnis bieten konnte und gegenüber den Läden in den Innenstädten Alleinstellung gewann. Residierten bis dato viele Weinhandlungen in den Stadtzentren und hatten zunehmend Probleme bei der Anlieferung und dem Parken der Kunden vor dem Laden, bot JWD bequemes Einkaufen. Parkplätze vor dem Laden und Öffnungszeiten, die den Depotleitern und Mitarbeitern Leerlauf ersparten und dem tatsächlichen Einkaufsverhalten der Kunden entsprachen, gehörten wie selbstverständlich zum Konzept. Dem Prinzip Kundenorientierung entsprach auch die Auswahl sowie die Auslobung der Weine. Die Kunden erhielten umfangreiche und systematisch aufgelistete Informationen zu Böden, Klima, Rebsorten, Winzern und Weinkategorien. Jeder Wein wurde mit Schildern beschriftet, und so konnten sich die Kunden selbstständig einen Überblick verschaffen.
 
Das Personal wurde unter den damals zahlreich vorhandenden Jungakademikern, Assessoren, Referendaren und Doktoranden akquiriert. Interessierte Kunden, vom Lehrer bis zum Arzt, und Wein-Depot-Mitarbeiter sprachen auf gleicher Ebene. Monatlich wechselnde Aktionen mit einem auf 10–15 Weine begrenzten Angebot waren ein weiteres Element, das erstmalig im Weinhandel umgesetzt wurde und das Interesse der Kunden weckte. Das Angebot, zunächst ganz auf Frankreich ausgerichtet, wurde bewusst klein gehalten und limitiert. Dennoch bot es eine ausreichende Auswahl in erster Linie trockener Weine. Auch mit der Einführung von Bag-in-Box revolutionierte JWD den Weinhandel in Deutschland. Eine Alleinstellung, die zeigt, dass stationärer Handel eine Zukunft hat.
 
Hermann Pilz [email protected]