Ausgabe 18/2018

Vorsicht: Winzerglatteis

Titel W18/18

Frage an Radio Eriwan: Woran erkennt man eine große Ernte? Antwort: Am Winzerglatteis. Schwappt dem Winzer beim Anfahren an der Kreuzung die Brühe aus dem Anhänger, ist‘s ein Zeichen für eine gute Ernte. Die verteilt sich auf der Straße zu seifigem Matsch, auf der dann der eine oder andere Motorradfahrer zu Schaden kommt. Liebe Biker, meiden sie in der Erntezeit die Weinregionen. Im Ernst, das Gefasel von trockenen Trauben und schlechter Ausbeute darf man getrost ad acta legen. Die deutsche Weinernte wird im Vergleich zu den Vorjahren groß, wenn nicht gar riesengroß. 

Marktteilnehmer vermuten das Volumen bei über 10 Mill. Hektolitern. Endlich mal wieder richtig Saft im Keller, um nach den kleinen Ernten der vergangenen Jahre die Keller mit guten Qualitäten zu füllen. Die Mostgewichte stimmen. Die Trauben sind dank ausbleibendem Regen kerngesund. Die Lese: Ein Grund zum Jubeln, wenn da nicht der Markt wäre, auf dem erst der verkaufte Wein Geld in die Kasse spült. Die alte Bauernregel, »wenn’s viel gibt, gibt’s mehr«, bewahrheitet sich auch mit Blick ins Ausland. Italien erwartete trotz nicht ganz unproblematischem Vegetationsverlauf mit 56 Mill. Hektolitern eine der größten Weinernten der letzten Jahrzehnte. Frankreich mit 46 bis 48 und Spanien mit 42 Mill. Hektolitern ernten ebenfalls deutlich mehr als im vergangenen Jahr. Wine Australia hat in einer ersten Vorschau die Ernten in Europa und den USA einschließlich der im Frühjahr auf der Südhalbkugel eingebrachten Mengen in Argentinien, Chile, Australien, Südafrika und Neuseeland zusammengezählt und kommt auf eine weltweite Weinernte von 273 Mill. Hektolitern. Für die Australier ist angesichts des weltweiten Weinkonsums von 240 Mill. Hektolitern klar, dass der Weinmarkt wieder zu seiner Überschusssituation zurückkehrt.

Die hat der internationale Handel längst antizipiert und die Einkäufer spekulieren auf sinkende Preise für Generics in Spanien, und anderswo geben die Preise schon nach. Selbst beim Prosecco DOC, von dem lange Zeit immer zu wenig vorhanden war, gehen die Preise nach unten. Statt für 2,20 Euro sind die Weine für 1,60 bis 1,80 zu haben. Von solchen Preisen können deutsche Winzer allerdings nur träumen. Der Markt für weiße Moste deutscher Standardsorten ist zwar aufnahmebereit, aber mehr als 70 Cent pro Liter sind nicht zu bekommen. Noch hält sich das Niveau, da die Kellereien aufgrund bereits gekaufter Mengen den Preis nicht sinken lassen wollen. Ganz anders bei den Rotweinen, vor allem bei Dornfelder. Schlechte Verkäufe und Bestände belasten den Markt und sorgen für eine schwierige Preisfindung. Hier wird es nicht ohne Blessuren abgehen. Die Produktion scheint so groß, dass den Winzern bereits geraten wird, einen Teil der Trauben am Stock zu lassen, am besten Dornfelder. Verrückte Welt. Endlich mal eine gute Ernte und der eine oder andere Winzer dürfte dem Verzweifeln nahe sein. 

Jetzt rächt sich, dass der deutsche Weinbau keine Absatzventile im Export und beim Sekt hat, zugkräftige Gemeinschaftsmarken fehlen und bis auf die Erzeugermarken nur noch Generics verkauft werden. Wer sich des ganzen Dramas bewusst werden will, muss sich nur die vom 3. bis 8. September vom Discounter Lidl lancierte »Deutsche Weinwoche« unter dem Motto »Dein Wein von daheim« zu Gemüte führen. Neben den »besser« kalkulierten Weinen einiger Heroen der deutschen Weinszene wie Hammel, Dreissigacker oder Felix Graf Adelmann und homöopathisch produzierten Eigengewächsen, die geschickt die dynamischen »jungen Winzer« ins Rampenlicht stellen, gibt es reichlich Weinauswahl aus deutschen Weingärten zu 1,99 Euro. Wie lautet die Botschaft des Discounters, die per bundesweiter Medienkampagne mit Resonanz bis zum Wall Street Journal unters Volk gestreut wird: »Ein guter Wein zeichnet sich nicht durch einen hohen Preis aus«, lässt sich Jan Bock, Einkäufer bei Lidl Deutschland, zitieren, was von der angeheuerten Horde willfähriger Blogger eiligst goutiert wird.

Hermann Pilz
Chefredakteur Weinwirtschaft
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