Ausgabe 18/2017

Glaskugelpraxis
Titel WW 17/2017

Ach, hätte ich nur die Gabe einer Weissagerin, nein, besser ich wäre selbst das Orakel von Delphi. Dann würde ich eine Ziege mit kaltem Wasser besprengen und sofern die Holde zuckt, auf dem Opferalter schlachten und das Tier verbrennen. Erst nach einem solch martialischen Ritual würde ich die Weissagung beginnen und glauben Sie mir, die würde ihren Eindruck nicht verfehlen. Die Ratsuchenden würden mir reiche Opfergaben schenken und das nächste Jahr wiederkommen und voller Ehrfurcht aufs Neue meinen Rat suchen. Das Schicksal des Ödipus hätte ich vorhergesagt und römischen Kaisern den Untergang. Auf solchen Schwingen fliegen die heutigen Marktforscher nicht. Sie müssen dem Volk aufs Maul schauen, zählen, wiegen, messen und was einigermaßen Plausibles zu Papier bringen, in einer Welt, die so vernetzt und transparent ist, wie noch nie zuvor. Marktforscher haben‘s schwer und leicht zugleich. Viel Geld nährt die Phantasie und das Begehren. Deshalb tummeln sich jede Menge Anbieter in dem lukrativen Markt. Das kommt nicht von ungefähr. Der kränkelnde Marktforschungsriese GfK spuckt derzeit viele kleine Marktforscherlein aus, und die wollen tun, was sie gelernt haben, so simpel und lukrativ wie möglich. Unablässig gründen Sie neue Geschäftsmodelle, wie man heute im BWL-Quack den Sprung obsolet gewordener Mitarbeiter in die Selbständigkeit umschreibt.
Die GfK muss sich derweil neu erfinden und den vernachlässigten Digitalbereich aufpeppen. Ja, ja, »wer zu spät kommt den bestraft das Leben«, hat Michail Gorbatschow zwar nie gesagt, stimmt aber trotzdem irgendwie. Da kommt mir ein Gedanke: Warum sollte man eigentlich einem Marktforscher vertrauen, der nicht mal die eigene Zukunft einigermaßen sicher beherrscht und so tief in rote Zahlen rutscht.
So richtig Kohle macht in der Marktforschung, wer Big-Data huldigt wie dem Orakel von Delphi und glaubhaft verkaufen kann, dass er den digitalen Hokuspokus beherrscht. Digital und Online sind heute die richtigen Werkzeuge, versichern die hippen Marktforscher und beuten Onlinebefragungen aus wie früher Falschmünzer das Volk. Doch genau darin liegt die Krux. Die Hüter wertvoller Daten sind Kraken wie Google, Amazon, Aldi, Rewe oder Edeka. Die – seien wir gnädig mit den Lebensmittelhändlern – hoffentlich wissen was sie tun und einigermaßen brauchbare Daten sammeln. Die Erstgenannten können’s und beherrschen dazu die Algorithmen, um der geneigten Kundschaft passende Kaufangebote zu unterbreiten. Nach dem Motto: Wer eine Lampe kauft, muss sie auch zum Leuchten bringen. Die großen Lebensmittelhändler verbreiten ihre Scanner-Daten häppchenweise über Firmen wie IRI oder Nielsen. Wer die will, muss ordentlich zahlen. Das Orakel von Delphi werkelte anders, nicht dass man dort nicht auch seinen Obolus entrichten musste, aber es hatte sich vor allem Zeit genommen. Den ganzen Winter über zog es zu Verwandten irgendwo auf den Balkan und ließ es sich dort bei Wein, Weib und Gesang gut gehen, dachte nach und fand da wohl auch die rechten Gedanken wie die Zeit zu deuten sei. Verflixt, das kann heute kein Maßstab mehr sein. Also was tun, wenn man auch nur ein bisschen erfahren möchte, was die Zukunft bringt. Die verlässlichsten Daten werden primär erhoben. Im Wein sind das die Ernte- und Bestandserhebungen, die Ex- und Importzahlen und da und dort Erhebungen wie die Qualitätsweinprüfung in Rheinland-Pfalz oder der Konsortien und Branchenverbände im Ausland. Solche Daten fließen dann in die Weinmarktbilanz ein, die als einziges Werk ohne Hochrechnung auskommt. Der Nachteil solcher Zahlen: Sie zeigen längst Vergangenes, und wir würden doch so gerne in die Zukunft blicken. Gemach, gemach: Nehmen Sie sich Zeit wie das Orakel von Delphi. Wein wird in Deutschland konsumiert wie eh und je. Das ändert sich nicht über Nacht, bis auf den Preiseinstieg. Dort ist der Wein egal. Dort werden Preise getrunken, und deshalb verliert Prosecco und gewinnt Secco, büßt Chile Marktanteile ein und gewinnt Südafrika. Aber das hätten Sie auch ohne Marktforscher gewusst.

Hermann Pilz
Chefredakteur Weinwirtschaft
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