Ausgabe 18/2014

Wer liefert Antwort? - Allmählich sollte man sich mit dem Gedanken befassen, dass es einer neuen Definition für Wein bedarf.

Da ist zum einen der unübersehbare Trend zu mehr oder weniger herkunftslosen Rebsortenweinen, an denen das gesamte Arsenal kellertechnisch machbarer Behandlungen und Manipulationen zum Einsatz kommt. Mit einem Herkunftstyp oder einer regionalen Verortung der Rebsorte, die der informierte Kunde gleichwohl mit dem Namen verbindet, hat das nicht mehr viel zu tun. Es ist eine Entwicklung, die sich langfristig rächt, wenn sich eine Branche oder auch eine Gesellschaft nur noch am Untersten orientiert. Zum anderen wird der Weinmarkt durch eine Vielzahl an Weinmischgetränken und weinähnlichen Imitaten attackiert, die sich in allen Altersschichten aufgrund billiger Preise wachsender Beliebtheit erfreuen. Auch hieraus drohen Gefahren für den Weinmarkt. Die Mischgetränke bieten Frucht und Alkohol zu günstigsten Preisen. Eine klare Abgrenzung, was Wein ist, erscheint daher mehr als überfällig. In den Regalen des Handels sind die Probleme deutlich sichtbar: Die regionale Herkunft spielt bei deutschen Rebsortenweinen mittlerweile kaum mehr eine Rolle. »Rheinhessen/Pfalz« kennzeichnen die Vertreter des deutschen Lebensmittelhandels nur allzu gerne ihre Angebote an deutschen Rebsortenweinen und signalisieren damit, wie wenig es noch auf die spezifische Region ankommt. Das Nachsehen haben fürs Erste Gebiete wie die Mosel, Baden oder Württemberg, die aufgrund der natürlichen Bedingungen oder der Strukturen im Wettbewerb nicht mithalten können. Auch im Fall Frankreichs, Italiens und Spaniens, ganz abgesehen von den Überseeherkünften, dominieren mehr und mehr herkunftslose Rebsortenweine das Angebot. Traditionelle Regionen mit bekannten Ursprungsweinen geraten auf diese Weise ins Abseits, ganz gleich wohin man schaut, ob Chianti in der Toskana, Frascati im Latium, Soave im Veneto, Rioja in Spanien, Loire oder Burgund, die Verkäufe bröckeln, dafür haben Rebsortenweine ohne Herkunft Konjunktur. Allein dort, wo sich ein Erzeuger mit seinem Namen und seiner Marke profilieren kann, gelten noch andere Gesetze. Überall anders boomen die einfachen Weine. Die werden nach allen Regeln der Kunst für den an künstliche Aromen gewöhnten Gaumen heutiger Generationen zurechtgemacht. Auf der Strecke bleibt die Weinkultur und das, was Wein in Wahrheit ausmacht: lokale, regionale und jahrgangstypische Unterschiede, vom Einfluss des Winzers mal abgesehen. Das Besondere am Wein wird dem kurzfristigen Kommerz geopfert. Auf lange Sicht wird Wein zu einem beliebig austauschbaren Industrie- und Kunstprodukt. Das mag man beklagen oder begrüßen, je nachdem auf welcher Seite des Kommerzes man steht. Natürlich haben beide Seiten ihre Berechtigung, und es besteht überhaupt kein Grund, warum sich die »Kunstweine« und die »Naturweine « nicht im Wettbewerb um die Gunst der Konsumenten messen sollten. Nur die Bedingungen müssen fair sein. Der Konsument muss wissen, was in der Flasche steckt. Die Branche muss sich kritisch hinterfragen, wie sie es mit der Erhöhung und der Verminderung von Alkohol und Säuren hält. Beides sind grundsätzliche Eingriffe in die Struktur der Weine. Sie stecken jedoch nur den Rahmen einer viel größeren Zahl weiterer Eingriffe ab, die in der Praxis zu vollkommen veränderten und uniformierten Weinen führen. Als weinhaltige Getränke mögen Sie den Konsumenten beglücken. Mit Naturwein, so wie ich ihn verstehe und vermutlich die meisten Konsumenten auch, haben die Produkte jedoch wenig gemein. Das gilt auch für die mit Aromahefen oder Holzchips aufgehübschten Weine. Was vor Jahren noch als Horrorvision aus Übersee galt, ist auch in Europa schneller Wirklichkeit geworden als gedacht. Wein läuft Gefahr ein austauschbares, alkoholhaltiges Getränk zu werden. Alkohol und Frucht liefern Spirituosen und künstliche Aromen billiger und präziser. Dafür braucht man nicht den Umweg über den Rebstock zu gehen. Klare Unterscheidungen und weniger statt mehr erlaubter Eingriffe sind notwendig, damit Wein eine Zukunft hat.

Hermann Pilz [email protected]