Ausgabe 17/2018

Mehr Glück als Verstand

Der Medizinstatistiker Gerd Antes sagte unlängst, Deutschland habe in der Corona-Krise mehr Glück als Verstand gehabt. Es seien weniger die getroffenen Maßnahmen für den glimpflichen Verlauf der Pandemie in Deutschland verantwortlich gewesen und mehr die Qualität des vorhandenen Medizinsystems. 

Eine Aussage, die sich auf die deutsche Weinbranche übertragen lässt. Frankreich, Italien und Spanien leiden noch immer unter dem Riesenjahrgang 2018 und Übermengen, die auf die Preise drücken. Die Corona-Krise wird dort genutzt, um Krisendestillationen zu verabschieden und etwas Druck vom Markt zu kriegen. In Deutschland ist davon keine Rede. Auch hier gibt es regionale Unterschiede und Anbaugebiete, denen 2018 noch im Magen liegt, doch vor der anstehenden Ernte herrscht bei den meisten Winzern keine Ausnahmesituation im Keller. Auch die Kellereien haben keine Unmengen an Wein gehortet, um Druck auf den Markt auszuüben, sodass stabile Preise erwartet werden. 

Allerdings hat die deutsche Weinbranche wenig für ihre augenblicklich gute Lage getan. Wenn Gert Antes der medizinischen Wissenschaft vorwirft, ein großes Chaos abzuliefern, könnte man im Weinbau Ähnliches dem Landwirtschaftsministerium und Funktionären vorwerfen. Kaum ein Vertreter der Weinbranche blickte der Vorstellung des neuen Weingesetzes am 19.8. (nach Redaktionsschluss) mit Vorfreude entgegen. In unserem Bericht über die Mosel, dem Seismografen des deutschen Weinbaus, werden einige Ärgernisse des Gesetzes offengelegt. Zugleich wird herausgearbeitet, dass die glückliche Lage des deutschen Weins an der Nachfrage nach deutschem Weißwein auf dem Heimatmarkt liegt. 

Das gilt nicht nur für den Lebensmittelhandel, sondern auch für Fachhändler wie Das Haus der Guten Weine von Georg Hack in Meersburg, das wir ab Seite 28 porträtieren. 2020 ist Georg Hack und seinem Team Beachtliches gelungen. Trotz eines hohen Gastro-Anteils in der Urlaubsregion Bodensee kann die Fachhandlung auch in der Krise wachsen. 

Für deutschen Rotwein sieht die Situation weniger glücklich aus. Auch nach der Verabschiedung des neuen Weingesetzes wird sich der deutsche Weinbau daher damit beschäftigen müssen, wie er sich zukunftsfähig aufstellt. Noch sonnen sich viele in der glücklichen Lage und vernachlässigen es, an einem zukunftsgerichteten Profil zu arbeiten.

Wie es gehen kann, wenn man sich zu lange auf den eigenen Lorbeeren ausruht, zeigt ab Seite 18 Kalifornien. Schon vor der Corona-Krise prognostizierten Marktforscher das Ende eines 25-jährigen Booms. Jetzt schlägt die Krise doppelt hart zu. Vor allem kleine Betriebe, die sich bequem in der Nische eingerichtet hatten, werden in ihrer Existenz bedroht. Für kleine Weingüter bietet auch der bisherige deutsche Weg keine Lösung sich aus der Kostenfalle zu befreien.

Welche Chancen Profilierung und Innovationen bieten, haben Frankreich und Luxemburg mit dem Crémant bewiesen. Ein Schaumwein, der sich preislich weit unterhalb des Champagners bewegt, aber dennoch einen guten Ruf genießt und es ermöglicht, einen erheblichen Teil einer Ernte zu guten Preisen zu vermarkten. In Deutschland tuen sich die Sekte aus traditioneller Flaschengärung immer noch schwer, doch es hat sich eine Szene engagierter Erzeuger gebildet, die immer besser werden, wie die Ergebnisse von Meiningers Deutschem Sektpreis ab Seite 36 belegen. Noch fehlt diesen Sekten aber das Renommee für eine erfolgreiche Vermarktung auf breiter Basis. 

Der Generation junger, aufstrebender Winzer ist zu wünschen, dass sich die Strukturen nachhaltig verbessern und weniger Glück notwendig ist. Nicht zuletzt, weil gerade sie in der Krise doch etwas getan haben, indem sie mit viel Engagement um ihren Direktverkauf kämpften und Händler unterstützten.