Ausgabe 14/2019

Die kooperative Idee

WW 14/19

Gesellschaftliches Engagement und das gemeinsame für eine Sache Eintreten scheinen bei einem Teil unserer Gesellschaft wieder auf fruchtbareren Boden zu fallen. In Zeiten, in denen sich Großstädter zu Minigenossenschaften zusammenschließen, um Bienen zu retten und urbane Grünstreifen zu kultivieren, müssten eigentlich auch die landwirtschaftlichen Produktions- und Vermarktungsgenossenschaften den Rückenwind spüren. Diese Bevölkerungsgruppe ist zugegebenermaßen zahlenmäßig eher klein, jedoch durchaus solvent, gebildet, aber nicht übertrieben hedonistisch. Bodenständigkeit und regionaler Bezug werden zu Pluspunkten. Bleibt nur das Problem des fehlenden Verbindungsglieds, das den potenziellen Kunden die Vorzüge der genossenschaftlichen Weinproduktion vor Augen führt: soziale Verantwortung, Erhaltung dörflicher und landwirtschaftlicher Strukturen, Pflege der Kulturlandschaft und möglichst nachhaltige Bewirtschaftung der Weinberge. Soweit die Theorie. An dieser Stelle muss sich jede Genossenschaft selbst hinterfragen, inwiefern sie diesen Anforderungen des Idealbildes gerecht wird und wo gegebenenfalls der Hebel anzusetzen ist, um die Botschaft auch glaubhaft unter das potenzielle Kundenvolk bringen zu können.  

Sind die Voraussetzungen geschaffen, steht einem selbstbewussten Auftritt als Kooperative nichts mehr im Wege. Betonen statt kaschieren, das wäre die offensive Ausrichtung, so wie es beispielsweise die führende Genossenschaft der Provence vormacht: Estandon Vignerons – Coopérative en Provence lautet seit dem vergangenen Jahr die Firmenbezeichnung. Bekenntnis zu den genossenschaftlichen Wurzeln und Betonung der regionalen Verankerung. Wenn, dann wie im Fall von Estandon noch eine radikale Qualitätssteigerung hinzukommt, die unter anderem darauf basiert, dass die Ausstattung der Kellerei mit Tanks so angepasst wurde, dass die einzelnen Chargen auch tatsächlich separat vinifiziert werden können, steht den Markterfolgen nichts mehr im Wege. Wenn selbst auf dem deutschen Markt die Absatzzahlen steigen, obwohl in den vergangenen beiden Jahren aufgrund der kleinen Ernten beziehungsweise der großen Nachfrage auf dem Fassweinmarkt nach Roséweinen aus der Provence zweimal deutlich die Preise erhöht werden mussten, zeigt das eines ganz deutlich: Das vermeintliche Imageproblem, das immer wieder herhalten muss, um zu erklären, warum sich viele Genossenschaften schwer tun auf dem Markt zu bestehen, ist mehr Alibi als echte Barriere. Wer im Fachhandelssegment und in der Gastronomie respektiert und behandelt werden möchte wie ein etabliertes Weingut, muss auch genauso arbeiten. Im Weinberg, bei der Traubenannahme und -verarbeitung und natürlich auch bei der Vinifikation. Die Winzer Krems aus dem benachbarten Österreich, ebenfalls einer der Vorzeigebetriebe des genossenschaftlichen Sektors, haben längst mit den konkreten Planungen für die großangelegte Erweiterung der Kellerei inklusive Logistikzentrum begonnen, um das bereits erreichte Qualitätsniveau zu sichern und punktuell weiter steigern zu können. In Südtirol übertreffen sich die Kellereien gerade im Wettstreit um die modernste Kellerei, wie das jüngste Beispiel in Bozen zeigt. Terlan, Tramin und Co. wissen, dass es nicht angesagt ist, sich auf den – in den letzten Jahren wohlverdienten – Lorbeeren auszuruhen. 

Der Leistungstest der deutschen Genossenschaften, der wie jedes Jahr den Auftakt bildet zu unserer Genossenschaftstriologie, zeigt, dass auch in der deutschen Spitze die Botschaft angekommen ist. Die beiden Erstplatzierten aus Untertürkheim und Achkarren sind auf dem besten Weg, sich als Benchmarks zu positionieren. Beide haben Zugriff auf beste Lagen und verstehen es mehr und mehr deren Potenzial auszuschöpfen und in die Flasche zu bringen. Zahlreiche weitere Genossenschaften besitzen ähnlich gute Voraussetzungen. Das Rennen ist eröffnet.

Sascha Speicher
Stellv. Chefredakteur
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