Ausgabe 14/2018

Den Wurzeln verbunden

Titel WW14/18

Die Idee ist Weltkulturerbe. Mehr als 22 Mill. Menschen in Deutschland sind Mitglied einer Genossenschaft. In Europa existieren über 300.000 genossenschaftliche Unternehmen mit mehr als 140 Mill. Mitgliedern, und doch kennen wenige Friedrich Wilhelm Raiffeisen, den Sozialreformer und Genossenschaftsgründer. Selbst im Internet muss man schon gezielt suchen, um auf sein 200. Geburtsjahr zu stoßen. Haben Sie es gemerkt? Am 7. Juli war weltweiter Genossenschaftstag. Der wurde 1992 von den Vereinten Nationen eingeführt und seit 1995 jeweils am ersten Samstag im Juli begangen. An dem Tag besuchte der Vorstand der Deutschen Raiffeisen Gesellschaft die Genossenschaftsakademie auf Schloss Montabaur. Toll, man feiert intern und sich selbst. Vor allem die genossenschaftlichen Banken bleiben dem Thema seltsam fern. Fast scheint es in diesen Kreisen, als schäme man sich seiner Wurzeln. Auf der »Bankwirtschaftlichen Tagung« in Berlin quälte sich die Präsidentin der Volks- und Raiffeisenbanken die Aussage ab: »Die Genossenschaftsidee ist unsere DNA«. Dabei boomen in manchen Bereichen die genossenschaftlichen Neugründungen: in der Energie- und Wasserwirtschaft, im Wohnungsbau oder dem Dienstleistungs- und Bildungssektor. Alles Bereiche, die von Innovationen vor sich hergetrieben werden, in denen wirkliche Probleme Lösungen verlangen, die der Einzelne nicht und nur gemeinsam mit anderen leisten kann. Das erinnert an die Ursprungsidee von Raiffeisen: »Was einer alleine nicht schafft, das schaffen viele.« Zwei Prinzipien verfolgte der Gründervater: Solidarität und Hilfe zur Selbsthilfe sollten die Gemeinschaften beseelen. Das entspricht menschlichem Verhalten, denn auf sich alleine gestellt, ist kein Mensch überlebensfähig. Ob man will oder nicht, man braucht die anderen. Davon scheint bei den Winzergenossenschaften nicht mehr viel übrig geblieben zu sein. Die Schwierigkeiten der Branche sind nicht zu übersehen. Die Fusionen und Kooperationen der letzten Jahre haben zwar in einigen Fällen das Problem der Unternehmensgröße und Marktrelevanz beseitigt, aber an die Grundprobleme wurde nicht herangegangen. Ihre eigentlichen Stärken als regionale Größe können die Winzergenossenschaften immer weniger ausspielen, zumal sie die großen Mengen über den deutschen Lebensmittelhandel vermarkten. Auf diesem Weg sind sie förmlich in die Falle des deutschen Bezeichnungsrechts gestolpert. Am Markt spielen als Säule des Absatzes nur mehr Rebsortenweine und einfache Kategorieweine, mal mit Frucht und Süße oder mal mit Kohlensäure und Prickeln, eine Rolle. Regionalität verschwindet immer mehr, und so konkurrieren heute die Weine aus Baden, Württemberg und Franken mit denen aus der Pfalz und Rheinhessen. Wie zementiert scheinen die Preise für wichtige Eckartikel im Bereich des Discounthandels. Der eine orientiert sich am anderen, Unterschiede verschwimmen zu Nuancen. Notwendige Preiserhöhungen lehnt der Handel ab, listet lieber Artikel aus und führt Alternativen aus dem Ausland ein, und sei es Pinot Grigio aus Rumänien oder sonstwoher. Deshalb führt auch die Idee der selbstkasteienden Höchsterträge in die Irre. Jeder Tropfen, der hier nicht produziert wird, saniert nicht den Markt, sondern erhöht den Marktanteil ausländischer Weine. Dafür steigen die Kosten. Eine echte Vollkostenrechnung geht immer weniger auf. Vorstände und Geschäftsführer machen sich mit Deckungsbeiträgen froh. Die Umsätze stagnieren, und der klägliche Rest der Traubengelder wird immer weniger. So viel Altruismus können die Winzer gar nicht mitbringen, um über Generationen einer solchen Entwicklung zuzusehen. Dabei haben die Winzergenossenschaften eigentlich großes Potenzial. Die Arbeitsteilung zwischen Traubenerzeugung, Ausbau und Vermarktung der Weine kann bestens funktionieren, wie unser großer Genossenschaftswettbewerb in dieser Ausgabe eindrucksvoll belegt. Aber irgendwie scheinen daran nicht mehr alle zu glauben. Hermann Pilz Chefredakteur Weinwirtschaft [email protected]