Ausgabe 13/2019

Ästhetik vor Bürokratie

WW13/19

Zehn Jahre ist es her, seit die EU mit der Weinmarktreform 2009 die Weichen für eine neues Weinrecht stellte. Von da an hatten die deutschen Weinerzeuger die Option, ihre Produktion von der germanischen Schmalspurbahn auf breitere Gleise internationaler Formate zu stellen. Wein ist kein technisches Produkt, sondern ein ästhetisches, und da ist das romanische Bezeichnungsrecht, das sich am Renommee der Herkunft orientiert, vermutlich die klügere Variante.
Passiert ist nach der Reform zunächst mal gar nichts. Ich kann mich noch gut erinnern, wie ich damals den Generalsekretär des Deutschen Weinbauverbands,     Dr. Rudolf Nickenig, fragte, ob denn nun die Diskussion in Deutschland über Herkunftsweine, Profilierung und neue Erzeugerstrukturen, sprich von Schutzgemeinschaften und Branchenverbänden, beginne. Schließlich waren derlei Strukturen in Italien, Spanien und Frankeich schon seit Jahrzehnten gelebte Kultur, und es lag auf der Hand, dass das die Blaupausen auch für Deutschland sein würden. Die Lösung aus deutscher Sicht war für mich damals verblüffend einfach. Statt sich mit den neuen Bedingungen auseinanderzusetzen, denen man, wenn auch widerwillig zugestimmt hatte, versuchte man sich am deutschen System der am Mostgewicht orientierten Qualitätsbezeichnungen festzuklammern. Um das deutsche System zu retten, wurden schlicht die weingesetzlichen Bestimmungen für die dreizehn Weinbau- und 26 Landweingebiete in das neue EU-Portal der geschützten Ursprungsbezeichnungen eingetragen. Damit war der Status quo gerettet.
In der Praxis bedeutete das, dass weiterhin die gesamte deutsche Ernte als Qualitätswein eingestuft wird und die Kategorien »Deutscher Wein« als Basis und die darüber liegenden Weine mit »geschützter geografischer Angabe« (g.g.A.) bis heute so gut wie keine Rolle spielen. Eine Differenzierung der deutschen Produktion ist bis heute Fehlanzeige. Ist deutscher Wein dadurch vorangekommen? Nüchtern betrachtet eher nicht, wie Dr. Michael Köhler vom Bundeslandwirtschaftsministerium auf der Weintagung in Trier vor wenigen Tagen aufzeigen konnte. Er stellte den erschreckenden Ist-Zustand der deutschen Weinmarktsituation dar. Produktion und Vermarktung bleiben diffus. Nicht Qualität und die Anforderungen des Marktes an die Weine entscheiden über die Vermarktungschancen, sondern alle Weine sind von vornherein qualitätsweingeeignet. Einzel- und Großlagen, Rebsortenweine sowie Regional- und Markenweine und selbst Experimentalweine kommen alle aus einem Topf. Mit der jetzt nach zehn Jahren des Zögerns erfolgten Gründung von Schutzgemeinschaften sowie eines ersten Branchenverbands und der Umsetzung der rechtlichen Rahmenbedingungen dürfte sich das gesamte Marktgeschehen nun schnell ändern. Vielleicht schneller, als manchem heute bewusst ist. Denn der Weinmarkt wird neu sortiert, wofür an vorderster Stelle das Eigeninteresse der Winzer sorgen wird, die wie eh und je versuchen, ihr Betriebsergebnis zu optimieren. Sie werden ins Kalkül nehmen, dass die g.U.-Weine zukünftig mit vermutlich maximal 8.000 bis 10.000 Liter statt der bisher möglich höheren Erträge produziert werden können. Die Regionalweine der g.g.A.-Klasse werden mit 15.000 Liter bei zugleich höherem Alkoholgehalt als bisher und die Basisweine mit 18.000 bis 20.000 Liter produziert werden können. Eine Verrechnung der Erträge auf die gesamte Betriebsfläche wird es nicht mehr geben, da die EU die Zuordnung der Mengen auf die einzelnen Weinkategorien verlangt. Hektarhöchsterträge so wie bisher wird es auch nicht mehr geben. Die jetzt anstehende »Weingesetzreform« wird das alles im Frühjahr 2020 in Stein meißeln und nachvollziehen, was vor zehn Jahren beschlossen wurde. Ist das alles klug und sinnvoll? Eindeutig, ja. Denn Wein braucht eine Differenzierung und Image, und das konnte das alte System in seiner Schmalspurversion und dem Prinzip der Ausnahme von der Ausnahme von Beginn an nicht leisten.

Hermann Pilz
Chefredakteur Weinwirtschaft
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