Ausgabe 12/2017

Auf leisen Sohlen

Nicht alle Veränderungen erfolgen mit lautem Knall oder großen Revolutionen. In manchen Fällen sind es nur kleine Begebenheiten, Petitessen möchte man mit Blick auf die bevorstehende Vinexpo in Bordeaux sagen. Doch einmal in Gang gesetzt, führen sie auch in konservativen Branchen wie der Weinwirtschaft über die Jahre zu großen Veränderungen.
Zwei Begebenheiten sind es mit Blick auf den deutschen Markt, die das in jüngster Zeit deutlicher machen als vieles andere. Da ist zum einen das gut besuchte Exportseminar des Deutschen Weininstituts, das sich Fragen rund um den darbenden deutschen Weinexporten widmete. Der Stachel chronischer Exportschwäche sitzt tief, und viele Weingüter und Winzer können es mit Händen greifen, dass die Ausrichtung  der Vermarktung allein auf den deutschen Markt ein gefährliches Spiel ist. Als Absatzventil ruinieren Mengenüberhänge in der Discountvermarktung die Preise, und die Abgabe von Fassweinen als Grundweine für Essig oder weinhaltige Getränke ist auch keine brauchbare Alternative. Einen im Verhältnis zur Produktionsmenge nennenswerten Export aufzubauen oder einen kontinuierlichen Absatz an die Sektindustrie zu schaffen, haben die deutschen Weinerzeuger in den letzten Jahren versäumt. Genauso wie keine attraktiven Gemeinschaftsmarken vorhanden sind, die einen kostendeckenden Absatz ermöglichen.
Export tut also Not, und das treibt die Weingüter und insbesondere die jungen Betriebsnachfolger in Scharen zu Seminaren, wie sie das DWI jüngst veranstaltete. Hört man genauer in die Reihen der Winzer, dann wird ein großes Dilemma sichtbar: Viele Weingüter und auch Winzergenossenschaften würden gerne exportieren, sind aber mangels Personal, Kenntnissen und der Kompliziertheit ausländischer Märkte oft gar nicht in der Lage dazu, wie die Geisenheimer Marktforscherin Prof. Simone Loose ermittelte. Der Beitrag der Weingüter zum Export fällt daher auch bescheiden aus. Loose blieb gar nichts anderes übrig, als die bisher bekannte Zahl von rund 100 Mill. Liter Wein zu bestätigen, die 2016 als deutscher Weinexport ins Ausland flossen. Wenig Trost bietet den vielen Exportinteressierten die Botschaft des VDP-Weinguts Wittmann, das auf der gleichen Veranstaltung seine Erfolge im Ausland skizzierte. Der deutsche Markt allein war Wittmann zu riskant. Heute exportiert er seine Weine in 45 Länder der Erde. Risikostreuung nennt er das, zumal auf jedes Land Minimengen entfallen und er auf dem deutschen Markt vermutlich gar nicht seine ganze Ernte unterbringen könnte. Zumindest nicht zu den Preisen, die er momentan erzielt. Doch was Wittmann als Starwinzer im VDP erreicht hat, dürfte für viele andere ein unerreichbarer Traum sein.
Das würde man von einem Weingut vom Kaliber eines Markgrafen von Baden eher weniger erwarten. Der müsste doch Potenzial, Personal und professionelle Unterstützung genug haben, um sich auf dem deutschen wie auf internationalen Märken durchzusetzen. Doch die badischen Prinzen haben nachgedacht und scharf gerechnet. Selbst für einen Betrieb wie den Markgrafen von Baden, der für jeden Handschlag auf Fremdarbeitskräfte angewiesen ist, ist ein national und international ausgerichteter Vertrieb kaum zu stemmen. Denn unterm Strich soll ja auch was übrig bleiben. Die Partnerschaft mit Rotkäppchen-Mumm ist daher mehr als nur eine strategische Option, um etwas mehr und erfolgsträchtiger Wein zu verkaufen. Es ist das Eingeständnis kleinteiliger und kostenintensiver Vermarktungsstrukturen in Deutschland, die vor einer gewaltigen Konsolidierungswelle stehen. Es ist nicht allein die Produktion, die zur Vergrößerung der Weingüter zwingt, es sind noch viel stärker die Anforderungen des Marktes. Nicht jeder ist ein Tausendsassa und zugleich Virtuose am Rebstock, im Keller und in der Vermarktung an Endverbraucher und Handelskunden. Die Weinbranche, das gilt für Erzeuger wie Händler wird sich über kurz oder lang auf vollkommen neue Betriebsstrukturen einstellen müssen. Sie ändern sich auf leisen Sohlen, aber sie ändern sich.