Ausgabe 11/2023

WEINWIRTSCHAFT 11/2023

Themen der Ausgabe

Bordeaux

Frankreichs große Rotweinregion zwischen Mondpreisen und Generika-Krise.

Württemberg

Die Weinerzeuger im Ländle wappnen sich für die Zukunft, unter anderem mit Mehrweg und Piwis.

Interview: Thorsten Hermelink

Der Vorstandsvorsitzende der Hawesko Holding über Multi-Channel, Krisenbewältigung und Zukunftsvisionen.

Fenavin

Die spanische Weinmesse liegt ab vom Schuss und doch am Puls des Weinbaulandes.

Eingelistet: WEINWIRTSCHAFT empfiehlt

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Imagewechsel

Sich selbst neu zu erfinden und Trends rechtzeitig zu erkennen, ist überlebensnotwendig

Schmerzlich hat die Pandemie vielen Unternehmen, nicht nur in der Weinbranche, die Grenzen der eigenen Absatz-Strategie aufgezeigt. Wer sich zu stark auf nur einen Kanal fokussierte – etwa die Lockdown-geplagte Gastronomie – saß schnell ohne Aufträge da. Die Lehre war für viele: mehr Diversifizierung wagen, Risiko streuen, sich krisenfester aufstellen. 

Dabei kann diese Erkenntnis auch Pandemie-bereinigt gelten – und nicht nur für Unternehmen, sondern auch für ganze Weinregionen. Bordeaux ist dabei das beste Beispiel, wie schief der einseitige Absatzblick laufen kann.

Natürlich setzen dabei in jedem Anbaugebiet die jeweiligen Produktionsbedingungen den Handlungsrahmen, sind bestimmte An- und Ausbaumethoden oder Rebsorten alleine aufgrund der klimatischen Bedingungen gesetzt. Oder weil die Traditionen es so verlangen. Beides jedoch kann sich wandeln, das Klima zuletzt rascher, als mancher Winzer sich dies wünschen mochte. So ist jeder, auch der traditionsbewusste Weinerzeuger, gut beraten, die Rahmenbedingungen unter denen er seinen Wein nicht nur produziert, sondern auch verkaufen möchte, regelmäßig auf den Prüfstand zu stellen. 

»Jeder Weinerzeuger ist gut beraten, die Rahmenbedingungen regelmäßig auf den Prüfstand zu stellen«

»Das haben wir schon immer so gemacht« ist genau wie »Das haben wir noch nie so gemacht« der Feind jeder Innovation oder Veränderung. Mit eben jener Haltung schien man sich jedoch in Bordeaux lange am Gelernten und Gewohnten festzuhalten. Die Verlockung, sich der vermeintlichen Absatzgewissheit hinzugeben, ist nachvollziehbar: Die großen Châteaus lieferten das Image, der kleine Bordeaux bekam davon etwas ab, wenn auch auf deutlichen niedrigerem Preislevel. Bordeaux, das war sogar jedem Biertrinker klar, steht für Prestige, da schwingt ein Hauch Adel, Luxus, Geschichte mit. 

Das ist – zumindest größtenteils – vorüber. Natürlich werden die Spitzen-Weingüter sich um ihren Absatz wenig Sorgen machen müssen. Die Leidtragenden sitzen am unteren Ende der Nahrungskette.

Hektoliterweise bleiben sie auf ihren tanninreichen Rotweinen sitzen, die der Verbraucher heute nicht mehr goutiert. Ausbaden muss es dann auch wieder der Steuerzahler und zwar mitnichten nur der französische, gehen doch auch millionenweise EU-Gelder in Krisendestillation und Rodungsbeihilfen. 

Die Ursachensuche ist notwendig (das geschieht ab Seite 21), viel wichtiger aber ist der Ausblick. Und der stimmt in seiner Gesamtheit positiv: Der Wille und die Dynamik, mit der man in Bordeaux jetzt von vielen Seiten – den Verbänden, den Weinbauern, den Châteaus – dem Absatzproblem entgegenwirken will, ist beeindruckend. 

Wichtig dabei: Dass man sich nicht erneut verkalkuliert, wieder nur aufs eine Pferd setzt, das eines Tages ermüdet zusammenbricht. Den Eindruck legt der zuletzt enorme Fokus auf das Thema Bio nahe. Für viele Händler und auch Konsumenten ist das aber inzwischen schon zur Selbstverständlichkeit geworden. Mit einem Bio-Siegel auf dem Etikett entlockt man heute kaum einem Kunden mehr stürmische Begeisterungsrufe. 

Der zweite Blick aber zeigt, dass Bordeaux gewillt ist, sich deutlich vielfältiger aufzustellen. Nicht nur neue Rotweinstile und Vermarktungsstrategien, auch andere Weinfarben und -arten kriegen eine neue Aufmerksamkeit. Der aktuelle Fokus etwa auf Crémant zeigt bereits Erfolge, die Idee, sich mit Rosé-Crémant à la Bordelaise ein Alleinstellungsmerkmal zu schaffen, ist clever. Dabei die eigene Herkunft nicht zu verleugnen, Bordeaux nicht zum Primitivo machen zu wollen, ist notwendig, will die Region ihr über Jahre aufgebautes Ansehen wahren. 

Letztlich ist die aktuelle Krise der Region eine wahre Chance: Gelingt es, eben jenen guten und sehr guten Qualitäten auch im unteren und mittleren Preissegment mehr Aufmerksamkeit zu verschaffen, neue Profile anzulegen, mehr Vielfalt zu zeigen und Bordeaux so beim Konsumenten aus der Teuer- und Tannin-Ecke herauszuholen, profitieren alle Seiten gleichermaßen: der Erzeuger, der wieder sein Produkt zu akzeptablen Preisen los wird, der Handel, der aus dem Vollen schöpfen und horizontal diversifizieren kann, und am Ende der Verbraucher, der etwas Neues im Alten entdecken kann.