Ausgabe 05/2014

Größer als gedacht

Spannende Frage: In welcher Verfassung befindet sich der deutsche Weinmarkt? Die Meinungen dürften in der Branche genausoweit auseinandergehen wie die Ansicht über den Füllstand eines Weinglases: Je nach Gusto sieht der eine das Glas halbvoll, der andere halb leer. Begibt man sich auf Spurensuche, fördert man ganz unterschiedliche Befunde über die Lage der Weinbranche zutage. Im Bereich zufriedenstellend bis gut dürfte die Gemütslage deutscher Winzer rangieren, zumindest dort, wo es 2012 und 2013 etwas zu ernten gab. Aufgrund der kleinen Mengen konnten die Weine der letzten beiden Jahrgänge problemloser denn je verkauft werden. Indikator dafür sind die Notierungen auf den Fassweinmärkten und die schwindenden Bestände die zum Stichtag Ende Juli alljährlich gemeldet werden. Trotz gutem Verkauf stehen viele Winzer mangels Nachfolger und zukunftsfähiger Betriebsgrößen in Deutschland vor dem Aus und werden früher oder später den Beruf an den Nagel hängen. Die Winzer dürften jedoch kaum Gradmesser für die tatsächliche Verfassung des Weinmarktes sein. Mit dem Monat Februar hatten sie eh gerade den glücklichsten Monat des Jahres hinter sich: »Mit 28 Tagen weist er am wenigsten Zeit zum Klagen auf«, wie eine alte Bauernregel feixt. Ein viel aussagefähigeres Signal liefern dagegen die Konsumenten, deren Kauflaune seit Monaten auf hohem Niveau verweilt. Keine Spur einer Eintrübung der Konsumlaune sei in Sicht, verkünden Marktforscher landauf landab vom IFO-Institut bis zu den Wirtschaftsweisen und liefern mit den Argumenten höherer Einkommen und niedrigster Sparzinsen auch gleich die Begründungen, warum die deutschen Konsumenten ihr Geld lieber verprassen als auf die hohe Kante legen. Dem Weinkonsum sei‘s zum Vorteil. Kaum jemand wird bestreiten, dass sich der deutsche Weinmarkt in den letzten Jahren gut entwickelt hat. Aus den Grunddaten von Anfangs- und Endbestand, Ernte, Import abzüglich Export, errechnet sich ein Marktvolumen von über 20 Mill. Hektoliter. Deutschland rangiert damit in der Welt auf dem dritten Platz, vermutlich gleichauf mit Italien, hinter Frankreich und den Vereinigten Staaten. Allerdings ist das nur die halbe Wahrheit. In Wirklichkeit ist der deutsche Markt um einiges größer. Das betrifft vor allem das höherwertige Segment. Der Erfassung entziehen sich zum einen die Importe kleinerer Händler, die unterhalb der Meldeschwelle von einer halben Million Euro liegen, sowie die Kofferraumimporte von Privathaushalten und Gastronomen, die nicht in die amtliche Statistik einfließen. Experten schätzen das Volumen dieser Fehlmengen auf 1 bis 2 Mill. Hektoliter. Die Gesamtgröße des deutschen Weinmarktes dürfte daher eher bei 22 Mill. Hektolitern als darunter liegen. Nicht nur aufgrund dieser Fehlmengen, die überwiegend im höherpreisigen Bereich von über 5 Euro pro Flasche liegen, ist eine Einschätzung des deutschen Marktes als Billig- oder Discountmarkt unzutreffend oder sogar grob verzerrend. Die Strukturen des Marktes sind vielschichtiger und anders zu werten, wie der Geisenheimer Marktforscher Prof. Dr. Dieter Hoffmann in seinem Beitrag für diese Ausgabe der WEINWIRTSCHAFT auf Basis neuerer Forschungsergebnisse nachvollziehbar belegt. Der Direktvertrieb von in- und ausländischen Weinerzeugern sowie der Fachhandel inklusive des Versand- und Internethandels und aller übrigen stationären Vertriebsformen in denen Wein in Deutschland gehandelt wird, dürfte vielfach zu gering gerechnet werden. Dieses Marktsegment jenseits des LEH besitzt volumen- wie wertmäßig eine weit größere Bedeutung. Ein Durchschnittspreis von circa 2,50 Euro pro Flasche Wein, der häufig kolportiert wird, ist eine unzureichende Wiedergabe dessen, was Konsumenten tatsächlich für eine Flasche Wein ausgegeben. Der Durchschnittspreis dürfte realistischen Annahmen zufolge bei 4 bis 5 Euro liegen. Damit darf sich Deutschland zu den Premiummärkten zählen. Auf der ProWein, die in diesem Jahr ihr 20-jähriges Jubiläum feiert und eine beispiellose Entwicklung zur Leitmesse der Branche genommen hat, wird man das große Interesse am Thema Wein, gerade auch von jungen Menschen, wieder hautnah erleben dürfen.

Hermann Pilz [email protected]