Ausgabe 04/2018

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Titel WW4/2018

Wohl die meisten Verbraucher hegen  romantische Vorstellungen, wie eine Flasche Wein erzeugt wird. Der Winzer in Küfertracht, der im Weinberg genauso zuhause ist wie im Holzfasskeller, prägt bei den meisten wohl das Bild. Das kommt nicht von ungefähr. Über Jahrzehnte wurde die Landwirtschaft verklärt, und das hieß im Weinbau: fröhliche Winzer und singende Küfer. Dass die wahre Produktion mit Vollerntern, Förderschnecken und der Abfüllung in Großkellereien nichts mehr mit diesem tradierten Bild zu tun hat, werden die wenigsten ahnen.
Fakt bleibt, es gibt diese zwei Seiten der Weinbranche, die industrielle und die landwirtschaftliche. Auf der ProWein kann man sie in wenigen Wochen wieder einträchtig vereint besichtigen, auch wenn sie in den letzten Jahren gewaltig auseinandergedriftet sind. Das Gros der rund 25 Mrd. Flaschen Wein, die weltweit abgefüllt und vermarktet werden, dürfte eher aus industrieller Produktion als aus kleinen Winzerbetrieben und Weingütern stammen. Die Ursachen liegen auf der Hand. Effizienz, Produktionskosten, Preise und die Gewohnheiten der Konsumenten sind die Triebkräfte der Veränderung. Kaum ein Verbraucher wird sich vorstellen können, dass Wein aus Südafrika oder Südamerika im Flexitank um den halben Erdball geschippert, in Deutschland billiger auf Flaschen gefüllt werden kann als viele heimische Weine. Auf dem Markt konkurrieren aber beide miteinander. Auch das ist kein Beinbruch, wenn der Verbraucher die Wahl und Kriterien hat, sich für das eine wie das andere zu entscheiden. Aber es fällt ihm schwer. Ahnung vom Wein oder Interesse hat er kaum und wenn, dann ist sie romantisch verklärt oder die Lust am Suff, wie viele Direktvermarkter nur zu gut wissen.
Wie also soll er entscheiden? Er greift nach jedem Strohhalm und jeder Information, weshalb Medaillen, Punkte und Bewertungen einen so hohen Stellenwert besitzen. Über allem thront jedoch der Preis, der die Verbraucher-Entscheidung lenkt. Er bildet sich im beinharten Wettbewerb der Lebensmittelhändler, die – rational oder auch nicht – ihr Unternehmensziel vor allem in Marktanteilen und Marktmacht sehen. Der Aktionspreis als Lockvogel um Kundschaft und ihr Geld ist ihr wichtigstes Marketinginstrument. Die Geschäftspolitik der Händler trifft auf den schon sprichwörtlich antrainierten Geiz deutscher Konsumenten, die sich durch jedes Billigangebot locken lassen. Was bleibt dem ausgebeuteten Mittelstand auch anderes übrig. Die Folge sind irrational niedrige Preise für wichtige Eckartikel, man muss nur an die Dauerniedrigpreise der Discounter für Kategorien wie Prosecco, Cava, die deutschen Liter- oder Prädikatsweine oder internationale Rebsorten- und manchen Herkunftsweine denken. Wo also steht die Weinbranche? Wie geht es weiter?
Die Weingüter, einzementiert in ihre landwirtschaftliche Zwangsjacke, werden weiter versuchen, ihre zu hohen Kosten produzierten Weine individuell an die Kundschaft zu bringen. Das gelingt je nach Region und Betrieb mal besser und mal schlechter. Die in den Betrieben vorhandene Substanz sichert in den meisten Fällen ein langes Leben. Die Kellereiszene, die sich sichtbar im Umbruch befindet, ist näher zusammengerückt. Innovationen in Logistik und Abfülltechnik lassen die einstige Kostenführerschaft dahinschmelzen. Neue Mitbewerber aus alternativen Getränkekategorien sorgen für zunehmenden Wettbewerb, der das Geschäft mit den Handelsmarken oft zum Nullsummenspiel macht. Die Hoffnung, im Markengeschäft einen Stich zu machen, verhindert der preisaggressive Lebensmittelhandel. Nicht umsonst hat ein Mitbewerber das Handtuch geworfen. Insider rechnen kühl, dass von den 20 Top-Markenweinen in Deutschland die nächsten Jahre keine 5 überleben werden. Die Lösung des Dilemmas liegt auf der Hand: Winzer, Weingüter, Genossenschaften und Kellereien werden enger zusammenrücken müssen. Auf der ProWein wird’s zu sehen sein. Dort gibt es spannende Projekte zu sichten.

Hermann Pilz
Chefredakteur Weinwirtschaft
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