Design im Weinkeller

Kälte, Dunkelheit und Feuchtigkeit sind das natürliche Umfeld des Flaschenweins. Mit diesen Lager-Anforderungen landete der Wein über Jahrhunderte in staubigen Kellern. Inzwischen ist allerdings mancherorts zeitgemässe Technik und modernes Design eingezogen, die den Wein ganz anders in Szene setzt.

Brandon Harding war es irgendwann einfach satt. Sein Keller war voller guter Tropfen. „Aber wenn ich den ganzen Tag über Brachflächen gelaufen bin und meinen Kunden die Vorzüge meiner Entwürfe erklärt habe, wollte ich manchmal nicht mehr in den Keller gehen“, sagt der Standortentwickler, legt den Kopf ein bisschen schräg und schielt auf eine Installation neben der offenen Küche. Das ist Brandons neuer Weinkeller. Hinter einer Glaswand liegen ein paar hundert Einzelflaschen aufgebahrt wie Kunstobjekte auf Regalen aus Stahl. Sanft beleuchtet und perfekt klimatisiert. „Küchen haben sich vom eher verschämten Arbeitsraum zum gesellschaftlichen Zentrum der Wohnung gewandelt“, erklärt Larissa Sands. „Jetzt gehört der Weinkeller eben auch dazu.“ Da bieten sich moderne, offene Küchen als Schnittstelle geradezu an. Die Architektin mit Firmensitz in San Francisco ist in Kalifornien so etwas wie eine Ikone des modernen Weinkellers. Stein ist dabei die optische Hommage an das traditionelle Gewölbe. Glas dient als eine Art Skulptur. Aber „dieses Gefühl von Leichtigkeit“ weiß Sands, „kommt nicht von ungefähr“. Normalerweise brauchen die schweren Flaschen eine stabile Unterkonstruktion, die das Ganze auch optisch behäbig macht. In Sands-Kellern hängen Stahl- und Glaskonstruktionen, die sie in einer Werkstatt fertigen lässt, unter der Decke und lassen die Flaschen fast schweben. Neben dem logistischen Aspekt hat der Keller hinter Glas für Leute wie Brandon aber auch noch einen weiteren Vorteil. Schon seit vielen Jahren sammelt er gute Weine. Genießen konnte er den Reichtum aber nur im ungemütlichen Keller und meist allein. Jetzt kann sich der Besuch gleich in der Küche die Nase an den Scheiben platt drücken. Am wohl temperierten Küchentisch lässt sich ja auch viel besser über die Pretiosen philosophieren.

 

PIMP MY BOTTLE

Nur ein Wein von Vielen aus dem Keller des Hilton Resorts auf den Malediven

Solche Lebensfreude ist in Kalifornien Standard. Lösungen gibt es aber für jeden Geschmack, vom Modell Klosterkeller bis zur Piratenhöhle mit eisernem Tor und ganzen Fässern. Für den eher publikumsscheuen Sammler lohnt sich der „walk-in wine cellar“, der in einen Erdgeschossraum eingebaut wird. Auf der Grundfläche einer kleinen Garage wird der Wein elektronisch überwacht. Außen zeigt ein Touchscreen ein digitales Warenwirtschaftssystem, das Temperatur und Feuchtigkeit reguliert und jede Weinsorte bei der für sie optimalen Trinktemperatur bereithält. Natürlich gibt der Computer auch früh genug Bescheid, wenn eine Weinsorte zur Neige geht. Besonders stolz ist der Hersteller auf die gebürstete Aluminium-Außenhaut. Optisch liegt der Kubus allerdings irgendwo zwischen Schließfachraum und Ausnüchterungszelle. Im Innern findet neben 1 500 Flaschen Wein noch ein Verkostungstisch Platz. Wenn man will, kann man das sogar als Schnäppchen sehen. Vor allem in den aufstrebenden Trinkregionen wird eher geklotzt als gekleckert. Raymond Ting, Geschäftsmann aus Hong Kong, investierte gerade gut zehn Millionen Euro in sein Hobby. „Manche Leute sagen, das sei viel“, grinst er. Er rechnet aber fest mit einem satten Wertzuwachs, auch wenn er nicht so genau weiß, wie viele Flaschen er jetzt eigentlich besitzt. In China ist besonders französischer Rotwein zum Statussymbol der Erfolgreichen geworden. Um das zu betonen, lassen sich Chinesen auch gern Swarowski-Steine auf Bordeauxflaschen applizieren. Ob das am Ende die bessere Wertsteigerung bringt, ist noch offen. Jedenfalls hat die Renommiererei auch Schattenseiten. Im chinesischen Rohstoffkonzern Sinopec etwa legten die Manager einen Weinkeller im Wert von 1,7 Millionen Euro an. Als die zweifelhafte Kapitalbindung durch die Medien ging, mussten die verantwortlichen Angestellten allerdings ihren Hut nehmen.

 

MIT DEM SKODA IM KELLER

Glanz und Prestige solcher Weinlager zieht natürlich auch Leute an, deren Leben allemal daraus besteht. In Promi Kreisen ist ein Weinkeller mittlerweile selbstverständlich, sogar unterwegs. Johnny Depp etwa, selbst Weingutsbesitzer, führt im Allgemeinen seinen eigenen Wein auf Reisen mit. Kürzlich weigerte er sich, in einem Londoner Fünf Sterne Hotel abzusteigen, weil der Weinkeller technisch mangelhaft gewesen sei und mietete kurzerhand ein Privatanwesen. Teenie Star Justin Bieber verlegte seinen Wohnsitz ins kalifornische Calabasas, ein Küstenörtchen bei Los Angeles, in dem es sogar strafbar ist, in der eigenen Wohnung zu rauchen. Im Kaufpreis von rund fünf Millionen Euro war der gut gefüllte Weinkeller des Eigenheims bereits inbegriffen, obwohl Bieber erst 19Jahre alt ist. Natürlich wollen auch Staaten mit ihren Weinen renommieren, ecken damit aber regelmäßig an. Barack Obama schenkt zum Beispiel gern ein, wenn Gäste kommen, und zwar stramm patriotisch ausschließlich amerikanische Gewächse. Seinen chinesischen Amtskollegen Hu Jintao bewirtete er mit 2005er Quilceda Creek Cabernet Sauvignon aus Washington, Ladenpreis an die 300 Euro. Trotzdem kritisierte das renommierte Online Magazin slate.com den nationalen Weinkeller scharf. „Erbärmlich“ seien die gerade mal 500 Flaschen, deren Überzahl an „kindischen Fruchtbomben Monstern eher unter die ‚shock and awe’ Taktik des Bush Regimes“ falle.

Diesseits des Atlantiks sind eher Sparmaßnahmen angesagt. Frankreichs Ex Präsident Nicolas Sarkozy etwa wurmten die 250 000 Euro, die der Weinkeller des Élysée jährlich verschlingt. Als er das Budget nicht zusammenstreichen konnte, schränkte der unbelehrbare Wassertrinker den Zugriff der Staatsbediensteten auf die 15 000 Flaschen deutlich ein. Die britische Regierung verkaufte gealterte Weine im Wert von über zwei Millionen Euro. Mit dem Gewinn will man neue Tropfen kaufen, und der Keller soll sich durch die Wertsteigerung selbstfinanzieren. Nice try, nur angesichts des derzeitigen Preisniveaus ziemlich riskant. Richtig unbeliebt machten sich mal wieder die EU Politiker, als in langwierigen Recherchen bekannt wurde, dass die Beamten Weine für eine halbe Million Euro horten. Medienvertreter fragten natürlich sofort, ob sich die EU Politik denn nur im Suff ertragen ließe. Nein, man halte sich eben daran, „die Tradition von Gastfreundschaft und Höflichkeit zu wahren“, ließ der EU-Rat pikiert wissen. Dabei ist das nichts gegen Moldau. Das ärmste Land Europas verfügt über 60 Kilometer Stollen in Cricova. Gegraben von deutschen Kriegsgefangenen, wurden sie gegen Ende des Zweiten Weltkriegs mit Wein gefüllt, den die Deutschen, allen voran Schluckspecht Hermann Göring, ihrerseits in Frankreichs Weinregionen geraubt hatten. Die Sammlung gilt als Staatsschatz des Armenhauses, auch wenn niemand so ganz genau weiß, wie viele Flaschen unter dem Steppenboden liegen. Vielleicht eine Million, vielleicht zwei. Gäste werden mit Skodas durch den nach Regierungsangaben größten Weinkeller der Welt kutschiert.

 

WEIN MIT FUßFESSEL

Da kommt man als Privatmann natürlich nicht ran. Die Lücke füllen Gastronomen und Hoteliers, die den Kellern gleich noch ein paar umsatzträchtige Zusatzfunktionen verpassen. Auf den Malediven unterhält die Hilton Gruppe Ressorts, die ihre Weine gut zwei Meter unter dem Meeresspiegel in den Korallensandvergraben haben. In den klimatisierten Kellerräumen können Gäste zwischen von hinten beleuchteten Flaschen Wein degustieren und dinieren. Durch die Verkostung nahe am Äquator führt ein Sommelier, der per Video Konferenz zugeschaltet ist. So kann man im Conrad Hotel auf Rangali Island unter einer Glaskuppelkonstruktion am Meeresboden speisen. Im weltweit ersten vollverglasten Unterwasser Restaurant kann man Manta und Co. vorbeischweben sehen, während man seinen Champagner nippt und Austern schlürft. Das ist natürlich ober edel. Aber es geht noch was. Der tiefst gelegene Weinkeller der Welt ist kein Bauwerk, sondern ein Schiffswrack. Vor 200 Jahren vor dem finnischen Åland Archipel gesunken, haben sich im Bauch eines Schoners 168 Flaschen Champagner erhalten. Der Schatz, der wohl zum russischen Zaren Nikolaus I., dem größten Liebhaber von Champagner weit und breit, unterwegs war, wurde erst vor einigen Jahren wieder entdeckt. In kleinen Losen werden die Fläschchen seit dem versteigert. Wer mag, kann sich davon überzeugen, ob sie wirklich noch so „äußerst lebhaft und bemerkenswert frisch“ schmecken wie Kenner schwärmen, die bereits gekostet haben.

Der Meeresboden bietet einige Standortvorteile. Geringer Luftaustausch, konstante Licht und Temperaturverhältnisse und dazu der mögliche Salzwassereinfluss auf das Aroma lassen da einiges hoffen. Weil er es genau wissen wollte, versenkt Frank Labeyrie seine Weine kontrolliert im Golf von Arcachon. Kameras überwachen die Szenerie Tag und Nacht, und elektronische Fußschellen sorgen dafür, dass die Tröpfchen nicht vorzeitig Beute von Piraten werden. Tausend Meter tief lagern seine Weine vom Château du Coureau in Côtes de Bordeaux Cadillac und der Winzer schwört, dass sie deutlich mehr „Tiefe“ haben als vergleichbare Festlandweine. Das nachzuprüfen ist immerhin nicht ganz so kostspielig. Der Abverkauf von 10 000Flaschen startet im Laufe des Jahres (2013).17 Euro pro Flasche pro Jahr sind notfalls auch für Leichtmatrosen erschwinglich.

 

Alpenrausch mit Magnumflasche

Ein Gegenentwurf ist es nicht unbedingt, aber wer im Tokio Mandarin Hotel absteigt, kann der Qualität des Weins im 37. Stock nachspüren. Das Luxus Hotel belegt die obersten Etagen des 192 Meter hohen Nihonbashi Mitsui Towers und hält 4000 Weine vor, viele davon Bio. Den Panoramablick über die Dächer der Hauptstadt gibt’s inklusive. Auch den gewissen Kick, wenn’s dann doch ein Gläschen mehr war. Die Zimmer sind mit Panoramascheiben vom Boden bis zur Decke verglast. Wer auf Höhenmeter schielt, kann aber noch einiges draufsatteln. In der österreichischen Promi Zone Arlberg lagert Adi Werner, Wirt des Fünf Sterne Hotels Hospiz Alm, seine Weine auf exakt 1 793 Meter über Normalnull. Vorzugsweise Magnumflaschen aus Bordeaux, weil die bei der illustren Kundschaft eh im Trend liegen, reifen im 600 Jahre alten Felsenkeller. Den Unterschied in der Wahrnehmung kennt jeder, der schon mal im Flugzeug ein Glas Riesling probiert hat. Im Tiroler Ort Sölden gibt es jedes Jahr eine Probe der gleichen Weine jeweils auf 1 000, 2 000 und 3 000 Meter Höhe, auf der man den Höheneffekt rausschmecken kann. Die Gäste des „Weinkönigs vom Arlberg“ interessieren solche Feinheiten nicht unbedingt, ihnen reicht das nach eigenen Angaben „beinahe unbeschreibliche Flair“ des Steinkellers. Bei diesen Superlativen muss sich der Privatmann natürlich geschlagen geben.

Matthias Stelzig

Fotos: Matthias Stelzig; Notel Hospitz-Alm; Hilton Hotels

Ausgabe 03/2024

Erhältlich ab 8. März: MEININGERS WEINWELT Ausgabe 03/2024

Themen der Ausgabe

Feines Frische-Duo

Mineralischer Albariño schmeichelt Fischeintopf mit Gemüse: Das Winepairing zum Start ins Frühjahr hat sich Sommelier Emrah Isitmen aus Karlsruhe für Sie ausgedacht und damit eine Geschmackskombination für pures Atlantik-Feeling kreiert … »weiter zu Rezept & Weintipp

Rieslinge von Weltruhm

Bettina Bürklin-von Guradze hat das Pfälzer Topweingut Dr. Bürklin-Wolf perfekt für die Zukunft aufgestellt und verrät im Gespräch mit Chefredakteurin Ilka Lindemann, wie sie dabei Traditionen, Familie und Biodynamie unter einen Hut gebracht hat.

Weinbar-Guide London

Die Gastroszene der britischen Hauptstadt ist lebendig wie nie und kann zuweilen ganz schön überfordernd sein. Wir waren für Sie vor Ort und zeigen Ihnen in dieser Ausgabe die angesagtesten Weinbars und Locations für jeden Anspruch.