64. DWV-Kongress: Nachhaltigkeit nur mit Berufsstand

Ganz im Zeichen der »Nachhaltigkeit« stand der 64. Internationale Kongress, den der Deutsche Weinbauverband e.V. (DWV) vom 11. bis 13. April 2022 digital ausgerichtete.

Über 130 Referentinnen und Referenten haben an den ersten beiden Tagen in wissenschaftlichen Tagungen die Herausforderungen des Klimawandels, die nachhaltige Entwicklung der Weinwirtschaft, sowohl im Anbau als auch im Keller, aber auch im Bereich Marketing und Tourismus diskutiert. Heute stand als Abschluss die weinbaupolitische Veranstaltung unter dem Titel »Nachhaltigkeit in der Weinwirtschaft – wie kann der Berufsstand angesichts der Vorstellungen von Politik und Gesellschaft agieren?« auf dem Programm.

DWV-Präsident Klaus Schneider nutzte die Gelegenheit für einen deutlichen Appell an die zahlreichen »anwesenden« Vertreter der EU-, Bundes- und Landespolitik: »Ein Wandel geht nicht von heute auf morgen! Das Feld ist ein breites und die Herausforderungen für die Branche sind gewaltig. Klar ist bereits jetzt, dass wir das Thema Nachhaltigkeit mit der gesamten Prozesskette vom Produzenten mit seinen Zulieferern bis hin zum Handel und den Endkunden gestalten müssen. Dazu brauchen wir die Unterstützung aus Wissenschaft, Industrie und Politik – der Berufsstand kann diese gewaltige Aufgabe – insbesondere finanziell – nicht allein bewältigen. Agrarpolitische Maßnahmen müssen ökologische, ökonomische und soziale Nachhaltigkeit positiv begleiten.«

Der DWV hatte im letzten Herbst einen Grundsatzbeschluss gefasst und die Nachhaltigkeit als Schwerpunktthema für 2022 und die Zukunft definiert. Seitdem diskutiert der Verband in seinen Gremien, mit seinen Mitgliedern sowie in Projektgruppen und Arbeitskreisen mit Unterstützung der Wissenschaft.

»In einem ersten Schritt musste analysiert werden, welches Wissen und welches Potential bereits vorhanden ist. Ziel ist es bereits bestehende Initiativen aus Forschungsanstalten, den Anbaugebieten und anderen Ländern einzubeziehen«, so Präsident Schneider. »Basierend auf unseren Recherchen sowie auf den Ergebnissen der Wissenschaft könnten wir als DWV gemeinsam mit unseren Mitgliedern Empfehlungen zur Nachhaltigkeit erarbeiten. Diese könnten beispielsweise auch durch die Bereitstellung und Vernetzung freiwilliger Tools zur Betriebsanalyse in Zusammenarbeit mit den Forschungsanstalten und Hochschulen untermauert werden.« Nachdenken sollte man nach Schneider auch über die Etablierung einer Nachhaltigkeitsberatung, um dem Berufsstand die spürbare Unsicherheit in Bezug auf die Umstellung zur Nachhaltigkeit zu nehmen, um dadurch die bereits bestehende Bereitschaft der Winzer zur Umsetzung zu fördern. »Eine Möglichkeit wäre auch die schrittweise Entwicklung und Umsetzung von nachhaltigen Maßnahmen, die eine schnelle Wirkung erzielen. Noch mehr Glaubwürdigkeit könnte man durch den Miteinbezug einer Kontrollinstanz erreichen. Ob man aber diesen Weg bis zu dieser ›Station‹ gehen sollte, müssen weitere Diskussionen in unserem Verband zeigen«, so Schneider.

Um die Ideen und Visionen zur Nachhaltigkeit in den europäischen Kontext einzufügen, hatte der DWV das Angebot der European Federation of Origin Wine (EFOW) angenommen, Deutschland in eine Studie zur Nachhaltigkeit der geschützten Herkunftsbezeichnungen einzubeziehen. Erste Ergebnisse wurden dem Publikum vorgestellt. »Geschützte geografische Herkunftsangaben könnten ein Symbol für Nachhaltigkeit werden. Die Schutzgemeinschaften könnten für sich Nachhaltigkeitsmaßnahmen festlegen und in den Lastenheften transparent kommunizieren. Das neue EU-Recht bietet diese freiwillige Möglichkeit und erste Lastenhefte enthalten Vorgaben zur Nachhaltigkeit.«

Am letzten Tag des Kongresses fand die weinbaupolitische Tagung mit Vertretern aus EU- und Landespolitik statt. Ebenfalls zugeschaltet wurden Daniela Zandona von der European federation of origin wine (EFOW), die für angepasste Regelungen zur Nachhaltigkeit auf Ebene der einzelnen Appellationen plädierte und Paul Roca von der OIV, der den Strategieplan zur Nachhaltigkeit seiner Organisation vorstellte.

DWV-Präsident Schneider forderte mehr wirtschaftliche Unterstützung und Kommunikation seitens der Politik und verwies darauf, dass ein Wandel nicht »über Nacht« entstehen könne.

»Wir als Branche müssen mit den Ressourcen schonend umgehen. Dafür brauchen wir ein in der Praxis und der Zukunft umsetzbares und funktionierendes System. Ein System, dass die großen Hebel benennt und an ihnen ansetzt, auch um die EU-Ziele der Klimaneutralität zu erreichen. Dabei brauchen wir insbesondere auch die Unterstützung der Politik.«

Auch eine Zulassung von Kaliumphosphonat für den Ökoweinbau ist ein dringendes Anliegen des DWV, da es als essenziell angesehen wird, um das nationale Ziel von 30 Prozent Bioweinbaufläche (25 % auf EU-Ebene) erreichen zu können.

Norbert Lins (EVP), Mitglied im Agrarausschuss des europäischen Parlaments, schloss sich weitgehend den Forderungen des DWV an und forderte die EU-Komission auf, keine Entscheidungen ohne Miteinbeziehung des EU-Parlaments zu treffen.

Maciej Golubiewski von der EU- Agrarkomission kündigte eine engere Zusammenarbeit mit dem Parlament an. An die Weinbranche richtete er den warnenden Appell, den Klimawandel als »Langzeitsstressfaktor« ernstzunehmen und warf die Frage auf, ob man in Zukunft bei manchen Regionen die weinbauliche Eignung diskutieren müsse.

Dr. Ophelia Nick (Bündnis 90/Die Grünen) aus dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft verwies darauf, dass es bezüglich der weltweiten Nahrungsmittelversorgung im Hinblick auf die momentane Krisensituation kein Mengenproblem, sondern ein Verteilungsproblem gebe und warnte vor »kurzsichtigen Forderungen« bezüglich der Klimaziele. Die Ukraine-Krise dürfe nicht die Klimakrise im Bewusstsein verdrängen. Sie kündigte neue Förderungen und Anreize für den Ökoweinbau an und verwies auf die Wichtigkeit von Piwi-Sorten im Hinblick auf das Ziel von 50 Prozent Pflanzenschutzmittelreduktion.

Zum Abschluss der Diskussion richtete die deutsche Weinkönigin Sina Erdrich ein Plädoyer an Politik, Verbraucher und Weinbranche. Sie betonte die Wichtigkeit des Weinbaus für Kulturlandschaft, Gastronomie und Tourismus und forderte, dass Weinbau auch in Zukunft wirtschaftlich bleiben müsse. Mit ihrer Forderung nach höheren Preisen für Wein nahm sie sowohl Erzeuger als auch Verbraucher in die Verantwortung, zudem forderte sie mehr Transparenz beim Thema Pflanzenschutz und mahnte zugleich an, Nachhaltigkeit nicht nur im Weinberg zu betrachten. Dabei verwies sie auf Bag-in-box, Leichtglasflaschen und Piwi-Sorten als mögliche Instrumente für mehr Nachhaltigkeit.

ddw 08/24 vom 19. April 2024

Themen der Ausgabe

Weinbau

Die neue Humustheorie

Interview

ddw im Gespräch mit Ron Richter von klimafarmer
und Philipp Wedekind vom Weingut Wedekind

Kellertechnik

Entwässerungssysteme richtig planen