Nach sechs Jahren kreuzen sich die Sauerstoff-Kurven bei der Tirage mit Naturkork und Kronenkapsel; Fotos: Nikita Kulikov
Nach sechs Jahren kreuzen sich die Sauerstoff-Kurven bei der Tirage mit Naturkork und Kronenkapsel; Fotos: Nikita Kulikov

Tirage sous liège

Beim Sommelier Summit 2022 in Deidesheim demonstrierte Frédéric Panaïotis, Kellermeister der Maison Ruinart, die Reife auf der Hefe unter Korken vs. Kronenkorken.
Text: Sebastian Bordthäuser

Die Reife unter Kork war lange Zeit eines der zentralen Distinktions-Merkmale unter den Champagner-Häusern. Ruinart experimentierte für den Dom Ruinart zwar bereits eine Zeitlang mit der Reife unter Kork vs. Kronkorken, hat allerdings erst mit dem Jahrgang 2010 vollends auf Kork umgestellt. Zugrunde gelegt wurden dafür die langjährigen Forschungen hinsichtlich der Reaktion des Verschlusses mit dem Wein.

Panaïotis begann 2007 bei Ruinart. Das Flaggschiff Dom Ruinart wird seit 1959 hergestellt. Dieser Blanc de Blancs besteht immer aus Grands Crus der Côte de Blancs wie Chouilly, Avize, Le Mesnil und Cramant, dazu kommen Grand und Premier Cru Lagen der Montagne de Reims, insbesondere Sillery, wo Ruinart große Flächen besitzt. Die Grundweine werden im Stahl vergoren und durchlaufen die malolaktische Gärung, bevor die Weine im Schnitt für zehn Jahre reifen.
Gleich das erste Pärchen der Verkostung veranschaulichte den enormen Unterschied in Entwicklung und aromatischem Profil. Es wurde zweimal 1998 Dom Ruinart Blanc de Blancs serviert, der erste reifte unter Kork, wurde im Juli 2016 degorgiert und mit 4 Gramm dosiert. Der zweite Wein reifte unter Kronenkorken, wurde im März 2009 degorgiert und war mit 9,5 Gramm etwas höher dosiert. Er war merkwürdigerweise noch spürbar reduktiv, dabei hochfarbiger und hatte deutliche Noten nach Toffee und Patisserie. Wein eins hingegen zeigte sich hellfarbiger mit grünen Reflexen, mit Zitrusfrüchten und Kandiertem in der Nase.
Das Ergebnis zeigte sich glasklar: Der unter Kork gereifte Wein hatte deutlich höheres Potential. Aber warum? Schließlich erwartet man das Gegenteil, weil unter dem Kronenkorken weniger Sauerstoffaustausch stattfindet, der ja offenbar maßgeblich für die Reife verantwortlich ist. 

Der Versuchsaufbau gestaltet sich wie folgt: Bei der Gärung befinden sich ca. 12g/l CO₂ in der Flasche, der äußere Atmosphärendruck hingegen beträgt nur ca. 0,04%. Eine Flasche kann für ca. 50 bis 90 Jahre die Kohlensäure halten, wobei Jahr für Jahr ein kleiner Anteil entweicht. In zwei Tagen konsumiert die Hefe in der Flasche den gesamten Sauerstoff, sodass nach zwei Wochen 0,00 % Sauerstoff in der Flasche vorhanden ist und ein komplett anaerobes Ambiente herrscht. Der Sauerstoff, der ab jetzt in die Flasche kommt, findet seinen Weg durch den atmosphärischen Austausch.
Dazu kommt ein weiterer Punkt: Der Korken besteht zu 85% aus Luft, darin enthalten sind ca 20% Sauerstoff. Das bedeutet, über die Absorption der Luft aus dem Korken findet ein weiterer Sauerstoffkontakt statt.

Aber warum ist der Wein unter Kork dann weniger gereift?

Der Kronenkorken hat eine geringe Sauerstoff Permeabilität von nur 0,5 mg/Jahr. Doch nach 6 bis 7 Jahren kreuzen sich die Graphen des Reifeverlaufs von Kronenkorken und Kork, denn der Sauerstoff reagiert nicht mit dem Wein, sondern höchst interaktiv mit den phenolischen Komponenten des Korkens. Nach einer starken initial reduktiven Phase beginnt die Interaktion der Hefen mit dem Kork. Dabei verbrauchen die Hefen zunächst jeden verfügbaren Sauerstoff, bis der Kork aromatische Bestandteile ähnlich wie ein Holzfass an den Wein abgibt und so für aromatischen Zugewinn sorgt. Bei schlechtem Kork kann dies natürlich auch ungewollte Aromen mit sich bringen. Für die Reifung im Keller werden für den Dom Ruinart Korken mit einer 10-15 % höheren Dichte verwendet als für den Markt. Der Kronenkorken wird für Champagner seit den 1960er-Jahren verwendet, die neueste Technik mit unterschiedlicher Luftdurchlässigkeit ist jedoch deutlich jünger. Die Entscheidung, bei der Tirage wieder auf Kork zurück zu gehen, fällt also wieder einmal unter die Kategorie zurück zu den Wurzeln.

 Vier Dom Ruinarts zeigten bei Meininger's Sommelier Summit den Einfluss des Naturkorkens bei der Reifung; Fotos: Nikita Kulikov
Vier Dom Ruinarts zeigten bei Meininger's Sommelier Summit den Einfluss des Naturkorkens bei der Reifung; Fotos: Nikita Kulikov

01-24

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Bibraud - kreativ und innovativ in Ulm

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Bairrada und Dão - Portugals feinste Rote