Nichts ist wie vorher Der Blick auf Mayschoß zeigt das Ausmaß der Zerstörung und die Arbeit in den Trümmern; Foto: PhotoScape - stock.adobe.com
Nichts ist wie vorher Der Blick auf Mayschoß zeigt das Ausmaß der Zerstörung und die Arbeit in den Trümmern; Foto: PhotoScape - stock.adobe.com

Ein Jahr danach

Der 14. Juli 2021 hat an der Ahr alles für immer verändert. Die Bilder der dramatischen Überflutungen sind bis heute ebenso wenig vergessen wie die anschließende Welle der Hilfsbereitschaft der Menschen, die zu Tausenden ins Tal kamen. Wie gestalten sich das Leben und der Weinbau hier über ein Jahr später?
Text: Sebastian Bordthäuser

Im Dezember 2021 übergaben wir die Spenden der Sommelier-Aktion an fünf ausgesuchte Betriebe außerhalb des VDP. Die brutale Zerstörung der gesamten Infrastruktur im Tal war erschütternd, als wir nur fünf Monate nach der Flut Julia und Benedikt Baltes, Michael Fiebrich und die Gebrüder Baltes in Dernau trafen. Was darüber hinaus eindringlich in Erinnerung geblieben ist, war der ungezügelte Optimismus, dem wir begegneten. Unabhängig von den Schäden im Tal, die die Menschen noch viele weitere Jahre begleiten werden, wollten wir von den Betrieben wissen, was sich in den letzten eineinhalb Jahren getan hat. Wie ist der Stand der Dinge, zwei Ernten nach der Flut? Was hat ihnen Mut gemacht? Welche Probleme haben sich seitdem aufgetan und ist vielleicht sogar etwas besser geworden?

„Als man vor dem Trümmerhaufen stand, kam natürlich zuerst die Überlegung: Macht man überhaupt weiter? Oder anders gesagt: Kann man weitermachen?“ erinnert sich Markus Bertram. Doch die Entscheidung war schnell getroffen, ein Tenor, der uns so gut wie einstimmig überall begegnete. „Mich persönlich hat es sehr gestärkt, als ich in der zweiten oder dritten Nacht in der Notunterkunft den geretteten Laptop rausholen konnte und die Flut an E‑Mails gelesen habe. Unterstützende Mails, Einzelhändler mit Flutwein-Aktionen, die Sommelier-Aktion. Es waren einzelne Reaktionen und das gewaltige Echo der Leute, was einem Mut gemacht und beflügelt hat, weiterzumachen.“

Anpacken angesagt

Aus guten Worten, E-Mails und Zuspruch wurde gelebte Solidarität, die auch die Winzer in die Pflicht genommen hat. „All die Helfer vor Ort haben sofort mit angepackt. Das hat einem selbst auch ‘nen Arschtritt gegeben, sich zusammenzuraufen und weiterzumachen“, so Markus Bertram.

Aus guten Worten, E-Mails und Zuspruch wurde gelebte Solidarität, die auch die Winzer in die Pflicht genommen hat. „All die Helfer vor Ort haben sofort mit angepackt. Das hat einem selbst auch ‘nen Arschtritt gegeben, sich zusammenzuraufen und weiterzumachen“, so Markus Bertram.

Neben der Aufnahme des alltäglichen Lebens musste Struktur geschaffen, die Arbeiten koordiniert und die Lese des ohnehin schwierigen Jahres vorbereitet werden. Der Pflanzenschutz stand an, viele Keller waren überflutet, Maschinen zerstört, defekt oder schlichtweg weggespült. Bertram selbst hatte Glück im Unglück, denn die Betriebsgebäude blieben stehen. „Wir wurden zwar von der Strömung verschont, dafür lief der Hof voll bis zu einem Wasserstand von 4,80 Meter, weit in den ersten Stock.“ Einige Geräte konnten repariert werden, die Traubenmühle und die Edelstahltanks waren schnell wieder einsatzbereit.

Abgesehen von den Herausforderungen der nahenden Lese unter haarsträubenden Bedingungen kamen enorme finanzielle Belastungen auf die Betriebe zu. „Der Wiederaufbau mit Heizung und Elektro, im Betrieb, im Gutsausschank und privat: Da kriegt man schnell das Geld gewechselt. Mit solchen Summen hatte ich bislang nicht zu tun, und ich habe es auch nicht mehr vor“, so Markus Bertram.
Andere Betriebe hat es dagegen noch härter getroffen. Zwischen Dernau und Rech fehlen gut acht Hektar, die Gesamtsumme der Flutverluste wird auf ca. 40 Hektar geschätzt, die Flachlagen sind allesamt hin. Inwieweit dort wieder Weinbau betrieben werden kann steht derzeit in den Sternen. Einige Flächen werden perspektivisch nicht mehr zu bewirtschaften sein. Für andere wird der Boden derzeit chargenweise analysiert, sodass Areale, die in Ordnung sind, wieder bepflanzt werden können.

In Dernau steht eine Flurbereinigung an, einige Winzer überlegen, in die Höhe zu gehen, was verwaltungstechnisch aber nicht einfach ist. Dennoch hat der Landkreis großes Interesse daran, die Betriebe im Tal zu halten. Dass die Gebrüder Bertram bleiben, ist gesetzt. Der nächste Schritt ist die Wiedereröffnung des Betriebes für Anfang 2024. Bis dahin behilft man sich mit noch einer 36-Quadratmeter-Containerlösung für die Vinothek und das Büro.

Es geht weiter – aber wie?

Auch für Julia und Benedikt Baltes stand außer Zweifel, dass ihr Projekt fortsetzen. „Es war uns von Anfang an klar, dass wir weitermachen. Unsere Reben stehen hier und auch wir sind hier mit unseren Böden verwurzelt“, erzählt Julia. Die Entscheidung stand fest, ob die Umstände dies erlauben stand hingegen in den Sternen. „Letztes Jahr befand sich alles auf der Kippe, weil alles zerstört war: kein Wasser, kein Strom, keine Maschinen. Es stellte sich ernsthaft die Frage, ob wir ernten und die Trauben verkaufen. Es lag nie an der Motivation, es war die Frage: Wie schnell und auf welche Art und Weise kriegen wir das hin? Und das war nur möglich durch die unglaubliche Hilfe der Menschen.“

Einer der drängendsten Punkte: die kaputte Infrastruktur (hier in Kreuzberg); Foto: SanGero - stock.adobe.com
Einer der drängendsten Punkte: die kaputte Infrastruktur (hier in Kreuzberg); Foto: SanGero - stock.adobe.com

Die bedingungslose Hilfsbereitschaft der Menschen wird von allen Betrieben ausnahmslos als Mutmacher Nummer eins angegeben. Sie war nicht nur eine kleine Motivation weiterzumachen, sondern eine essentiell treibende Kraft – unabhängig von den Hilfen des Landes oder vom Staat.

„Die Busse mit Menschen, die ins Tal gekommen sind und geholfen haben und alles gemacht haben, im Schlamm gestanden, geschleppt, saubergemacht: Das hat uns Mut gegeben. Die Welt ist besser als oft dargestellt. Länder- und generationenübergreifend. Darüber hinaus gab es weltweite Aktionen, neue Fässer, Versteigerungen, Menüabende, Flutweinflaschen. Gastronomen und alle anderen haben sich von ihrer besten Seite präsentiert und uns stolz gemacht, Winzer zu sein“, schildert Julia Baltes.

Nach der Welle der Hilfsbereitschaft hat der Alltag wieder Einzug gehalten im Ahrtal – vor veränderter Kulisse und mit drastischen Auswirkungen auf das Leben jedes Einzelnen. „Letztlich hat sich alles verändert,“ erzählt die Winzerin: „Die gesamte Struktur im Tal ist neu und temporär. Ich fühle mich oft, als hätte ich einen zweiten Job in einem Bauunternehmen. Die Straßen sind kaputt, der Kindergarten im Nachbarort ist in einem Container, es gibt keinen Bäcker im Dorf. All die Dinge des täglichen Lebens haben sich verändert.“

Verändert hat sich somit auch der Blickwinkel aufs Tal; die Perspektive der Bewohner und die der Besucher. „Leute, die dieses Jahr das erste Mal ins Tal kamen, waren schockiert und dachten: „Oh mein Gott, hier ist ja noch nichts passiert!‘. Die Menschen, die hier leben hingegen sind begeistert, was schon alles passiert ist. Wir wohnen beispielsweise wieder in einem Haus und nicht in einer Ferienwohnung. Es ziehen wieder Leute ins Dorf, das Dorfleben nimmt Fahrt auf, es gibt einen Kindergarten und einiges mehr. Vieles ist passiert, aber es liegt auch noch Vieles vor uns.“

Am wenigsten passiert ist bei der öffentlichen Infrastruktur, so der einheitliche Tenor. Das verlangsamt und erschwert den Alltag. „Man ist aus allen Abläufen und Gewohnheiten raus, das ist schon anstrengend“, so Paul Schumacher vom gleichnamigen Marienthaler Weingut. „Man muss sehr viel improvisieren, starke Nerven haben und optimistisch bleiben.“

 Praktische Übergangslösungen bei Weingut Paul Schumacher
Praktische Übergangslösungen bei Weingut Paul Schumacher

Neue Strukturen und langsame Mühlen

Durch die Trennung von Wohnen und Arbeiten ergibt sich nicht nur für die Schumachers ein komplett neuer Tagesablauf. „Diese Trennung bedeutet irrsinnigen Mehraufwand: Im letzten Jahr bin ich 30.000 km gefahren. Das ist alles Zeit, die vom Wesentlichen abgeht.“
Auch die an den Betrieb angeschlossene Straußwirtschaft der Schumachers wurde diesen Sommer bereits auf den Rosenberg verlegt. Eine Entscheidung, die stellvertretend für das Tal steht. Der Tourismus ist eingebrochen und auch unter den Winzern beobachtet Schumacher Veränderungen. „Der Zusammenhalt bröckelt.“ In den letzten zwei Jahrzehnten setzten Winzer wie Genossenschaften gemeinsam auf Qualität statt auf Masse, um den Ahrwein aus der Nische des halbtrockenen Ausflugsschoppens zu holen und das Tal als kulinarische Destination zu etablieren. „Man hat 20 Jahre daran gearbeitet, die Qualität zu sichern – und dann kommt ein Einheitspreis nach Mostgewicht.“ Ein Einheitspreis, mit dem die Genossenschaften ihren Mitgliedern ein Auskommen sichern, ungeachtet der Qualität oder Herkunft der Trauben. Eine kurzfristig nachvollziehbare Entwicklung, die perspektivisch aber die Bemühungen der Vergangenheit gefährdet.

Sämtliche Aktionen der öffentlichen Hand dauern sehr lange, Informationsfluss ist nicht vorhanden. Man weiß nicht, was an Hochwasser Prävention gemacht wird, wann Straßen gebaut werden und auch darüber, ob die Bahn wieder kommt, gibt es keine Infos. Eine Fahrt mit dem Rad von Altenahr nach Neuenahr ist laut Schumacher eine Gefahr für Leib und Leben.

Umso engagierter ist man dafür im privaten Rahmen. Jeder möchte so schnell wie möglich raus aus dem Provisorium und zurück in geregelte Verhältnisse. Wohnen, arbeiten und vielleicht ein wenig Freizeit – ein Begriff, der seit der Flut zum Fremdwort wurde. Doch die Menschen im Tal sind zäh. Nur ein Selbstvermarkter hat aufgegeben, zwei weitere Produzenten liefern fortan an die Genossenschaft. Der Rest macht weiter, auch wenn die Bürokratie die Geduld mitunter strapaziert. „Man muss den Spagat schaffen zwischen Dank für die Hilfe und Ärger über die Bürokratie. Aber manchmal ist es zum Haareraufen, was man alles für Anträge beibringen muss“, so Julia Baltes. „Das ist ein langwieriger Prozess, es gibt viele offene Fragen, die keiner beantworten kann, ungeklärte Zuständigkeiten, das alles neben Baustelle, Alltag und Arbeit. Schreiner können Aufträge stoppen, aber das Weinjahr läuft ja weiter. Bürokratie ist eine Mörder-Aufgabe.“

Im Betrieb der Gebrüder Baltes ist man vom 2022er-Herbst positiv überrascht
Im Betrieb der Gebrüder Baltes ist man vom 2022er-Herbst positiv überrascht

Hoffnung spendet nach allen Schwierigkeiten des fortlaufenden Krisenmanagements der 2022er Jahrgang. „Die Spitze ist da und die Basis ist auch da“, summiert Schumacher das Jahr. „Die Trauben sind gesund trotz über 100 mm Niederschlag. Das Holz ist früh reif, ebenso die Kerne, und das ohne hohe Mostgewichte. Gut, dass es so kalt ist.“ Auch die Gebrüder Bertram sind zufrieden: „Die Qualitäten sind gut bis sehr gut, und die Menge ist größer als gedacht. Wegen der Trockenheit hatten wir mit geringem Ertrag und kleinen und mageren Trauben gerechnet, aber der Regen hat das zur rechten Zeit kompensiert.“ Trotz aller Herausforderungen ziehen die Winzer Kraft aus dem, worum es letztlich geht. Julia Baltes formuliert das passende Schlusswort: „Ein Team zu haben, schöne Trauben zu lesen, guten Wein zu machen und ganz normal das Winzerdasein zu genießen, das gibt total Hoffnung.“

02-23

Themen der Ausgabe

PANORAMA

Fellbacher Lämmler – der Alleskönner

PROFILE

Auf leiser Mission – Henne-Sommelier Fabrice Thumm inspiriert Kölns Weinszene

PROBE

VDP – der aktuelle Jahrgang