Massiver Kalkstein: Die Abbruchkante über dem Saumagen zeigt, worin die alten Reben wurzeln
Massiver Kalkstein: Die Abbruchkante über dem Saumagen zeigt, worin die alten Reben wurzeln

Saumagen neu interpretiert

Saumagen gleich Koehler-Ruprecht: Zwei Jahrzehnte wurde die Kallstadter Spitzenlage fast ausschließlich mit einem Weingut assoziiert. Bis Steffen und Andreas Rings auf die Bühne traten und dafür sorgten, dass Saumagen heute nicht nur für Riesling, sondern auch für Spätburgunder als eine der besten Lagen Deutschlands gilt. Längst hat ein regelrechter Run auf die besten Parzellen eingesetzt.
Text: Sascha Speicher

Wir sind mehr oder weniger zufällig an diese Parzelle im Saumagen gekommen“, verrät Andreas Schumann. Der Weinberg gehört dem Weingut Schumacher, das nicht so recht wusste, wie sie ihren Riesling aus dieser steilen, biozertifizierten Parzelle mit altem, aber lückenhaften Rebbestand wertschöpfend vermarkten sollten. Sie fragten Andreas Schumann um Rat. Der Betriebsleiter des Weinguts Odinstal konnte ihnen zumindest bestätigen, dass es keineswegs an der Qualität des Weins liege. Als im folgenden Jahr der Wein als Fasswein vermarktet wurde, griff Schumann ein und pachtete den Weinberg langfristig. Seine erste Lese 2021 stellte er auf dem Sommelier Summit erstmals einem größeren Publikum vor, noch unfiltriert und ungeschwefelt, aber mit der typischen, naturalen Handschrift, die auch die anderen Odinstal-Rieslinge auszeichnet. Eine weitere Interpretation dieser außergewöhnlichen Lage.

Fotos o.l. und u.r.: Nikita Kulikov
Fotos o.l. und u.r.: Nikita Kulikov

Alles andere als zufällig kam Karsten Peter zu seinen drei Parzellen im Saumagen. Als er sich entschied, das Familienweingut in Bad Dürkheim zu übernehmen, streckte er sofort seine Fühler Richtung Kallstadt aus und wurde in den Gewannen Kreidkeller, Kirchenstück und Nil fündig. Im Nil veredelte er die Anlage sogleich mit einer eigenen Selektion um. Auch für ihn ist der 2021er der Premierenjahrgang im Saumagen und mit diesem setzte er sogleich ein fulminantes Ausrufezeichen: rassig, mit feiner flintiger Reduktion, tänzelnd leichtfüßig und mit unwiderstehlichem Trinkanimo. Karsten Peter ist auf Anhieb einer der besten trockenen Rieslinge der Pfalz gelungen. Im Vergleich zu Peter und Schumann ist Philipp Kuhn schon fest etabliert in Kallstadt. Die Ernte 2022 war bereits Kuhns zehnte im Saumagen. Inzwischen bewirtschaftet der Laumersheimer Winzer hier sechs Parzellen, verteilt auf verschiedene Gewanne.

Seine älteste Anlage wurde 1988 gepflanzt. Das gilt für die meisten Weingüter, die das Glück haben, im Saumagen Weinberge zu besitzen. Damals wurde im Zuge einer Flurbereinigung ein Großteil der Lage neu bepflanzt. Der südlichste Teil wurde bereits 1984 flurbereinigt, sodass hier die ältesten Rebanlagen im Besitz der Weingüter Bühler, Müller-Ruprecht, MKquadrat und natürlich Koehler-Ruprecht zu finden sind. Dominik Sona von Koehler-Ruprecht möchte das Alter der Reben aber nicht zu stark in den Vordergrund stellen: „Unser legendärer 1990er Saumagen stammt von einer Parzelle, die 1984 gepflanzt worden war. Das waren damals also sehr junge Reben.“

Eine große Große Lage

Die Größe der Lage bringt fast schon zwingend eine gewisse Heterogenität mit sich. Gleichzeitig eröffnen sich dadurch Möglichkeiten für „auswärtige“ Weingüter, hier und da eine Parzelle im Saumagen zu pachten oder gar zu kaufen. Die drei größten Besitzer im Saumagen sind aber drei Lokalmatadore: Die Weingüter Koehler-Ruprecht, Schröder-Weisenborn und das Weingut am Nil bewirtschaften mit knapp 12 Hektar fast ein Drittel der Gesamtfläche. Die wird je nach Quelle mit 37 bis 39,9 Hektar beziffert. Der VDP.Die Prädikatsweingüter hat 33,2 Hektar als Große Lage klassifiziert, womit der Saumagen bezogen auf die Fläche die drittgrößte unter den Pfälzer Spitzenlagen darstellt, hinter dem Laumersheimer Kirschgarten und dem Forster Ungeheuer, aber noch vor Lagen wie Kastanienbusch, Im Sonnenschein oder Weilberg. Niemand kennt diese Lage besser als Dominik Sona, der seit 13 Jahren das Weingut Koehler-Ruprecht leitet. „Als ich anfing, lag der Quadratmeterpreis im Saumagen bei 6 bis 7 Euro. Heute sind es 70 bis 100 Euro“, belegt er den Run auf diesen Weinberg mit Zahlen. Koehler-Ruprecht bewirtschaftet heute 13 Hektar Weinberge, vier davon im Saumagen. Der Aufstieg des Saumagens kam erst durch die Erfolge seines Vorgängers, Bernd Philippi, zustande, wie Sona erklärt: „Historisch galten Kirchenstück, das heute Teil des Saumagens ist, und Kobnert als Spitzenlagen. Der Steinacker ist sogar eine der ältesten nachweisbaren Lagen der Pfalz.“ Tatsächlich kommt im Steinacker an vielen Stellen der Kalkstein noch viel unmittelbarer zum Vorschein als im Saumagen, in dem sich an vielen Stellen eine unterschiedlich dicke Lösslehmschicht über den steinigen Untergrund gelegt hat.

Puzzle-Stücke: links der alte Steinbruch,  darüber die Gewann Kreidkeller, unter den Terrassen die Gewann Im Saumagen, davor das Horn; Foto: Weingut Rings
Puzzle-Stücke: links der alte Steinbruch, darüber die Gewann Kreidkeller, unter den Terrassen die Gewann Im Saumagen, davor das Horn; Foto: Weingut Rings

Durch den Saumagen verläuft eine ­Geländestufe, die den Aufbau des Kalksteins sehr schön sichtbar macht. Im Kernstück des Saumagens befinden sich an dieser Stufe zwei Terrassen. Eine davon gehört dem Weingut Koehler-Ruprecht. Die zweite haben vor einigen Jahren Bernd Philippi und die Familie Knipser erworben, woraus sich ein Streit zwischen Philippi und den neuen Eigentümern von Koehler-Ruprecht entwickelte. Diese Terrasse wurde vom Duo Knipser/Philippi nun mit bestem französischen Pinot-Material neu bepflanzt. Aufgrund der geringen Fläche werde die Menge immer limitiert bleiben, so Stefan Knipser: „Mehr als zwei Fässer werden das nicht werden.“ Dennoch freut er sich schon auf die Jungfernlese des ersten Spätburgunders der Saumagen GbR. Angesichts der unbestrittenen Pinot-Kompetenz der Knipsers dürfte sich hier mittelfristig ein interessanter Vergleich mit dem Spätburgunder aus dem Saumagen von Rings entwickeln.

Für beide, Rings wie Philippi/Knipser, liegt der Fokus im Saumagen jedoch auch weiterhin auf Riesling. Nur drei der insgesamt elf Parzellen von Rings im Saumagen sind mit Spätburgunder bestockt. Diese sind inzwischen 20 Jahre alt und das zunehmende Rebalter ist neben der persönlichen Entwicklung der beiden Winzer der Grund dafür, dass ihr Großes Gewächs aus dem Saumagen inzwischen zu den allerbesten deutschen Spätburgundern gehört. Der herausragende 2019er gilt bislang als ihr Meisterstück, der 2020er ist im Vergleich eine Spur blaubeeriger und samtiger, ganz im Sinne des auch im Burgund vorherrschenden Zeitgeistes. Eine unverwechselbare, klare, puristische Handschrift haben Steffen und Andreas Rings bereits zwei, drei Jahre früher bei ihrem Riesling GG gefunden und ihr Riesling „Kreid“ aus der Gewann Kreidkeller, nicht zu verwechseln mit der Lage Kreidkeller, zeigt auf beeindruckende Weise, welchen mineralisch-zitrischen Charakter der Saumagen entwickeln kann, wenn wenig Bodenauflage den Kalkstein bedeckt. Den Rings-Brüdern ist es mit ihren Spitzenweinen gelungen, dem Saumagen ein zweites, frisches und modernes Gesicht zu verleihen.

Der Saumagen heute (rechts) und früher (links)
Der Saumagen heute (rechts) und früher (links)

Das Bild des klassischen, etwas üppigeren Saumagen-Rieslings hat in den 1990er-Jahren Koehler-Ruprecht geprägt. Das Adjektiv „zeitlos“ beschreibt diese Stilistik wohl am besten. Dominik Sona erntet die Trauben nach wie vor nach Farben und danach baut sich auch die Pyramide auf: „Zuerst kommen die grünlich-hellgelben Trauben, daraus wird der Saumagen Kabinett trocken. Dann die goldenen, aus denen wir die Spätlese trocken erzeugen und zum Schluss die bernsteinfarbenen Rieslingtrauben. Das wird dann die Auslese trocken.“ Er setzt auf späte Lese statt Ausdünnen. „Bei Kabinett geht es um Leichtigkeit, bei der Spätlese um Eleganz und bei der Auslese um Komplexität“, so Sona.

Auf zehn Prozent der Fläche im Saumagen leistet sich Sona den Luxus, mit anderen Sorten zu experimentieren. Neben den Parzellen von MKquadrat und Karsten Peter hat er gelben Orleans gepflanzt. In der Gewann Am Gaumberg im Norden des Saumagens Weißburgunder und Chardonnay, der bereits 1988, damals noch als Versuchsanbau, gesetzt wurde. Und damit einer der ältesten Chardonnay-Weinberge der Pfalz ist. Zurück zum Riesling: Sona setzt konsequent auf spontane Vergärung, ohne Einsatz von Enzymen oder Bentonit, und den Ausbau in alten Holzfässern, von denen er nach der Ära Philippi einige ausgetauscht hat.

Holz und Stahl

Große Holzfässer & Spontangärung bei Koehler-Ruprecht, Rings und Karsten Peter – diese drei Spitzenbetriebe zeigen einen Weg auf, um im Saumagen Rieslinge der Extraklasse zu erzeugen. Kein Holz im Spiel, aber eine lange, sehr schonende Pressung und eine sich anschließende, langsam beginnende Spontangärung, gefolgt von einem ausgedehnten Hefelager prägen den Stil von Philipp Kuhn. Auf Vergärung im Stückfass mit neutralen Hefen und fast zwei Jahre Entwicklung auf der Vollhefe setzt Oliver Zeter. Der Edel-Negociant von der Mittelhaardt hat ebenfalls seine Fühler Richtung Saumagen ausgestreckt und wurde in der Gewann Nill fündig. Nil oder Nill – gemeint ist immer der gleiche Teil des Saumagens, doch es existieren unterschiedliche Schreibweisen.

So erklärt sich auch der Name des Weinguts am Nil, das nach dem Kauf durch die Familie Pohl aus dem früheren Weingut Eduard Schuster hervorging. Die Entwicklung ist rasant: Von anfangs 12,5 über aktuell 32 auf mittelfristig 40 Hektar wurde die Rebfläche gesteigert. Zum Gesamtkonzept gehören auch Gastronomie und eine Eventlocation. 2020 wurde nach Aussage von Geschäftsführerin Christine Ludt alles auf den Prüfstand gestellt. „Im Ausbau setzen wir immer auf eine Kombination aus einem Teil Holz und einem Teil Stahl. Speziell für den Saumagen haben wir in neue Stück- und Doppelstückfässer investiert, weil wir überzeugt sind, dass diese am besten zu der Lage passen.“

Der Saumagen Riesling 2020 lässt deutlich den Einfluss der Erstbelegung erkennen, doch die Vertikale bis 2013 zeigt ebenso klar, dass die Entwicklung in die richtige Richtung zu gehen scheint. Fun fact: Neben Spätburgunder erzeugt das Weingut am Nil auch einen Riesling-Sekt im Saumagen.
Wer weder mit Spontangärung noch mit Holzfassausbau Freude hat, wird den Stil von Müller-Ruprecht sehr schätzen. Das Weingut unter Leitung von Sabine und Philipp Wöhrwag erzeugt in den Gewannen Nil (N) und Horn (H) zwei Saumagen-Rieslinge, die sich durch intensive, exotische Fruchtaromen auszeichnen. Bis 2021 existierte noch eine Silvaner-Parzelle, doch nun heißt es: volle Konzentration auf Riesling.

Neue Namen kommen hinzu. Einer verabschiedet sich, aber nicht ganz. Letztmals in 2020 hat Markus Schneider seinen Riesling Saumagen als Lagenwein erzeugt. Der Ellerstadter Erfolgsbetrieb hat sich jedoch entschieden, die Trauben aus dem Saumagen künftig mit denen einer anderen kalkreichen Lage zu cuvetieren. Man darf gespannt sein.

Und auch die Tage des Saumagen Rieslings des Weinguts Fußer sind gezählt. Für drei Jahre, von 2018 bis 2020, haben Georg Fußer und die Rings-Brüder 0,2 Hektar Reiterpfad und Saumagen getauscht. Die markante Fußer-Handschrift bereichert ohne Frage die Saumagen-Palette: Ganztrauben-Pressung, anderthalb Jahre auf der Vollhefe. Eine kraftvolle Interpretation der Kallstadter Parade-Lage. Es wäre durchaus wünschenswert, wenn diese Geschichte eine Fortsetzung fände. Doch es ist längst nicht mehr so leicht, an geeignete Pachtflächen heranzukommen. Schon gar nicht in biologischer Bewirtschaftung.


Der Saumagen - die Fakten

  • Offiziell 39,9 ha (Quelle: Gemeinde Kallstadt), andere Quellen sprechen von 37 ha
  • Eckdaten VDP.GROSSE LAGE® SAUMAGEN
  • klassifiziert 33,2 Hektar
  • Zwischen 160 und 200 Meter über NN
  • Zu 20 Prozent steil, zu 75 Prozent hängig und zu 5 Prozent flach
  • Klassifizierte Rebsorten: Riesling, Spätburgunder
  • Der Saumagen liegt westlich, also oberhalb des Ortes Kallstadt in Richtung Leistadt
  • Umgeben auf drei Seiten von der Lage Steinacker (VDP.Erste Lage)

Geologie

  • Durchlässige und tiefgründige Böden aus Löss-Lehm, Kalkmergel mit vielen kleinen Kalksteinchen
  • Im Untergrund Kalkstein aus dem Tertiär, darüber eine wechselnd starke Auflage von Löss
  • Speziell in der Gewann Kreidkeller hauptsächlich reiner bzw. verwitterter Kalkstein
  • In einem Teilstück einer Gewann Terra Rossa (Kalksteinrotlehm)

Eigentümer und Pächter:

1,3 ha - Weingut Müller-Ruprecht, Kallstadt
verteilt auf sechs Parzellen, Pflanzjahre 1984, 1985, 1988, 2021 und 2022; seit 2021 nur noch Riesling, davor noch eine Parzelle Silvaner;
Sabine & Philipp Wöhrwag

1,2 ha - Weingut Philipp Kuhn, Laumersheim
verteilt auf 6 Parzellen, gepflanzt von 1988 bis 2013

0,65 ha - Weingut Markus Schneider, Ellerstadt
zwei Parzellen, eine aus 1986, eine 2019 gepflanzt

0,4 ha - Weingut Metzger, Asselheim
zwei Parzellen im ursprünglichen Saumagen; verantwortlich Martin Metzger

0,35 ha - Weingut Karsten Peter, Bad Dürkheim
verteilt auf drei Parzellen in Kreidkeller, Nil und Kirchenstück; alle 1988 bepflanzt, Nil mit eigener Selektion umveredelt

0,3 ha - Weingut Zeter, Haardt
1 Parzelle in der Gewann Nill, 1990 gepflanzt

0,2 ha - Weingut Odinstal, Wachenheim
seit 2021 gepachtet, eine Parzelle im steilen Teil des Saumagens

0,14 ha - Weingut MKquadrat, Kallstadt
(ehemals Weingut Horcher)
1 Parzelle, 1984 gepflanzt; Betriebsleiter Wolfgang Grün

0,12 ha - Weingut Koch, Kallstadt
eine Parzelle

Wie schmeckt Saumagen? Eine Frage, die gar nicht so leicht zu beantworten ist.

01-24

Themen der Ausgabe

PANORAMA

Wie schmeckt die Zukunft Frankens?

PROFILE

Bibraud - kreativ und innovativ in Ulm

PROBE

Bairrada und Dão - Portugals feinste Rote