Wenn Winzer von Piwis reden, rümpfen viele Verbraucher die Nase. Doch die pilzwiderstandsfähigen Sorten sind besser als ihr Ruf. Weil sie Pflanzenschutzmittel sparen, manchmal wie gemacht sind für den Klimawandel und zudem tolle Weine liefern.
Text: Wolfgang Faßbender
Ansgar Galler erinnert sich noch gut an das Frühjahr 2020 und an den einsetzenden Spätfrost. Seinen Dornfelder-Reben gefiel die Kälte ganz und gar nicht, die Triebe trugen massive Schäden davon. Die Stöcke der Sorte Pinotin allerdings, gleich daneben, seien nicht erfroren, berichtet Winzer Galler, der zusammen mit seiner Frau Katja ein Weingut im pfälzischen Kirchheim betreibt. Pinotin treibt spät aus, steckt viele Spätfröste weg. Ein gutes Beispiel dafür, welche Vorteile jene Reben bieten, die unter Winzern als Piwis bekannt sind. Leider sind sie unter diesem Namen bekannt, muss man sagen, denn eine weniger attraktive Abkürzung hätte sich niemand ausdenken können. Piwis klingt eher wie eine neue exotische Spaßfrucht als nach einer ernsthaften Kategorie von Weinen. Noch schlimmer ist allerdings die Langfassung „Pilzwiderstandsfähige Reben“. So ein Begriff mag den Oenologen begeistern, den Verbraucher reizt es kaum, weil er beim Wortbestandteil Pilz eben an Fäulnis denkt und nicht an ein Genussmittel. Von selbst verkaufen sich die Piwis kaum. „Man muss die Werbetrommel rühren“, sagt Ansgar Galler.
Zum Glück gibt es Abhilfe. Von „Neuen Innovativen Rebsorten“ sprechen jene, die sich der Problematik bewusst sind. Vielleicht genügte es aber auch schon, sich vernünftige Namen für die einzelnen Sorten auszudenken, bevor diese am Markt angeboten werden. Wer soll denn ernsthaft eine Flasche VB CAL 604 kaufen, wenn er auch Riesling und Grauburgunder haben kann? Man kann also nicht sagen, dass alles in Butter wäre im Bereich der Neuzüchtungen der modernen Art, über die man schon im 19. Jahrhundert nachdachte. Bereits damals entstanden aus Europäerreben und entfernten amerikanischen Verwandten die sogenannten Hybriden, die auf mehr oder weniger gelungene Weise Resistenzen und Geschmack zusammenbrachten. Auch die Franzosen waren schon früh aktiv, züchteten Sorten wie Maréchal Foch und Seyval Blanc, die noch heute Rollen spielen. Anderswo begann man erst in den Achtzigern des vergangenen Jahrhunderts intensiv nachzudenken. Zuvor war es in der Rebzucht eher um höhere Erträge und Mostgewichte gegangen. Dann aber wurde so manchem Züchter und einigen Winzern klar, dass ganz andere Themen anstehen. Die Bedeutung der Resistenzen gegen Mehltau & Co. wurde erkannt, das Umweltbewusstsein nahm zu. Zu den ersten Piwis, die sich auch deshalb etablierten, weil Pflanzenschutzmaßnahmen massiv zurückgefahren werden konnten, gehörten Johanniter (weiß) und Regent (rot). Vor allem der aus Diana und Chambourcin gezüchtete Regent setzte sich auch flächenmäßig durch, rangiert heute auf Platz sieben der deutschen Rotweinsorten, belegt fast 1 800 Hektar. Ein ähnlicher Boom im weißen Segment ist bislang allerdings nicht zu beobachten.
Doch das könnte sich bald ändern – zumal die Sorte VB CAL 604 jetzt endlich einen echten Namen bekommen hat. Sauvignac klingt chic und nach Sauvignon Blanc, was auch in aromatischer Hinsicht passt. Vor allem aber besitzt der Newcomer im besten Falle das, was so mancher Piwi bislang vermissen ließ: Struktur und Würze, Nachhaltigkeit und Frische. Die Weine der von Valentin Blattner in der Schweiz gezüchteten Sorte dürften das Potenzial haben, skeptische Verbraucher zu überzeugen; auch Muscaris, eine an Muskateller erinnernde Sorte, macht Freude. Als Geheimtipps im weißen Bereich werden zudem Calardis Blanc und Souvignier Gris genannt, während Cabernet Blanc zwar beliebt ist, aber für manchen Weintrinker ein bisschen allzu neutral ausfällt. Rotweinfans unter den Winzern schwören dagegen auf Pinotin oder Satin Noir – der eine mit Spätburgunder, der andere mit Cabernet Sauvignon gezüchtet, jeweils mit sogenannten Resistenzpartnern. Erfahrene Winzer sind sicher, dass da noch mehr kommen wird. „Piwis werden spannender“, sagt Andreas Schnürr, der im rheinhessischen Gundersheim das Weingut Wohlgemuth-Schnürr führt und 2009 mit den pilzwiderstandsfähigen Weinbergsbewohnern begonnen hat. Nachhaltigkeit steht für den Landwirt im Vordergrund. „Wir werden an einer deutlichen Reduzierung der Pflanzenschutzmittel nicht vorbeikommen“, sagt Schnürr. Eine Erkenntnis, die noch nicht bei jedem Winzer angekommen ist. Die EU-Vorgaben verlangen nämlich mittelfristig eine deutliche Verminderung dieser Hilfsmittel, während das Klima in vielen Weinbaugebieten und manchen Jahren eher mehr erforderte – im nassen Frühjahr 2016 war dies deutlich zu spüren. Der Aufwand für Pflanzenschutz musste damals vervielfacht werden, die Biowinzer kamen an den Rand ihrer Möglichkeiten. Starker Pilzdruck und der Verzicht auf systemische Spritzmittel lässt sich halt kaum in Einklang bringen. Bio statt Piwi ist als Rezept für Nachhaltigkeit eben auch nicht ohne Nebenwirkungen. Kein Wunder, dass viele weitdenkende Winzer in Europa Interesse an den neuen Sorten zeigen. Solche in England, Tschechien oder Schweden, wo es viele konventionelle Reben aus klimatischen Gründen schwer haben, aber auch Kollegen aus Italien oder der Schweiz, wo problemlos Klassiker wachsen.
Vielleicht muss es aber auch gar nicht ein Entweder-oder sein. Andreas Schnürr arbeitet nicht zertifiziert biologisch, während Winzer-Kollege Ansgar Galler Mitglied bei Bioland ist. Beide aber denken nicht daran, den konventionellen Sorten die Daseinsberechtigung abzusprechen. Die Mischung aus Alt und Neu öffnet schließlich bereits Ressourcen. Man könnte sie nutzen, um aus Piwis das zu machen, was der Franke Stephan Krämer hinbekommt. Sein mit spontaner Vergärung, einem Anteil an ganzen Trauben und sehr wenig Schwefel erzeugter Johanniter ist ebenso spannend wie es die süßen, auf der Zunge vibrierenden Solaris- und Johanniterauslesen des Pfälzer Weinguts Anselmann sind. Von Piwis sollte man da nicht reden, lieber von Toweis – tollen Weinen.