Stefan Nink wird zum Enya-Fan

IN DER BURG VON LJUBLJANA bin ich ihr neulich wieder begegnet, bei einem Glas wunderbarem Teran. Besagte Burg hockt auf einem Felsen hoch über der slowenischen Hauptstadt und sieht aus, als würde sie Stadt und Land bewachen. Die meisten Leute fahren wegen des Panoramas hinauf und bekommen deswegen nichts mit von der architektonisch eindrucksvollen Vinothek, die über 300 slowenische Weine auf Lager hat – und Musik von Enya im Hintergrund. Kennen Sie, oder? Das ist diese ätherisch säuselnde Musikerin aus Irland, deren Gesang immer so ein bisschen klingt, als suche eine Elbin aus dem Herrn der Ringe den Weg nach Hause. Ich habe diese Musik früher gehasst. So richtig. Ich habe sie gehasst bis zu dem Tag, an dem ich Enya getroffen habe.

Foto: AdLumina/Ralf Ziegler
Foto: AdLumina/Ralf Ziegler

Das Interview fand im Hotel statt, und ich hatte Fragen wie zu einer Hinrichtung vorbereitet. Warum läuft Deine Musik in Zahnarztpraxen? Warum klingt die immer gleich? Kannst du auch anders singen? Also so richtig? Ich war jedenfalls in grimmer Stimmung, und dann ging die Tür auf, und eine vielleicht 1,60 Meter große, zierliche Person betrat den Raum, und es war augenblicklich um mich geschehen. Hals über Kopf habe ich mich verliebt. Es ging eine Art Leuchten von Enya aus, als sie da auf mich zu schwebte, es war, als fülle sie mit ihren vielleicht fünfzig Kilo den kompletten Raum. Augenblicklich beschloss ich, ihr keine einzige meiner vorbereiteten Fragen zu stellen, keine einzige. Stattdessen habe ich irgendetwas gestammelt und schon nach den passenden Worten gesucht, bevor es überhaupt losging mit dem Interview, es war schrecklich peinlich. Kurz vor dem Treffen hatte ich einen Nikolaus aus Schokolade für meine Freundin gekauft. „Ich hab’ dir auch was mitgebracht!“, hab ich zu Enya gesagt. Und ihn ihr geschenkt, ich Judas.

Wir haben uns dann auch überhaupt nicht über ihre Musik unterhalten, sondern über Gott und die Welt und das Leben an sich. Enya lachte, Enya strahlte, irgendwann legte sie mir kurz die Hand auf den Arm, zog sie dann aber schnell wieder weg. Wann immer ich später den Mitschnitt des Interviews angeschaltet habe, hörte ich eine weibliche Stimme, deren Charisma auch dann den Raum erfüllte, wenn man überhaupt nicht in ihm war und die Worte aus dem Aufnahmegerät kamen. Und eine männliche, die vor Aufregung zitterte und immer wieder nach richtigen englischen Worten suchte.

Zum Abschied riet mir Enya, demnächst unbedingt nach Irland zu fahren. Die anschließende lange Pause bei der Aufnahme war die Zeit, in der ich auf das fehlende „und mich auf meinem Schloss besuchen“, gewartet habe, das aber leider nicht kam, auch beim vierten oder fünften Abhören des Gesprächs war es nicht zu hören. Zum Abschied drückte sie mir die Hand und den kleinen Nikolaus aus Schokolade an ihr Herz. Wir haben uns nie wiedergesehen.

An all das musste ich neulich denken, in der Vinothek auf der Burg über Ljubljana. Der Manager kam und fragte, ob alles in Ordnung sei. „Aber ja“, sagte ich und nippte bestätigend an meinem Teran – „und die Musik, die bei Ihnen läuft: Die ist absolut super.“

 

 

Stefan Nink ist Reisejournalist. Man kennt ihn aus Funk, Fernsehen und verschiedenen Magazinen. Für uns schreibt er regelmäßig Kolumnen. "Schockverliebt in Enya" ist in »Ausgabe 1/22 von MEININGERS WEINWELT erschienen.

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Ausgabe 03/2024

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