Foto: Ralf Ziegler/AdLumina
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Stefan Nink über Geräusche im Wald

Beim ersten Mal dachte ich noch, ein anderer Wanderer sei im Dauerniesel unterwegs und gehe mit seinem großen, kranken Hund spazieren, der fürchterlich erkältet war oder frisch an den Mandeln operiert, so jedenfalls hatte es geklungen. Ich sah den Pfad hinunter. Der Wanderweg verlief in Schleifen den Hang entlang und verschwand irgendwo weit hinten im Wald. Da war niemand. Stattdessen war das Geräusch wieder da.

Jetzt klang es, als versuche der sieche Hund wie ein großer, brunftiger Hirsch zu klingen. Dieses Mal blieb ich stehen. Der Pfad war immer noch leer. Aus den Augenwinkeln glaubte ich, eine Bewegung am Hang gegenüber auszumachen, aber als ich genauer hinsah, war da nichts als Wald, Wald im Nieselregen. Und dann wieder dieses Geräusch. Zum dritten Mal.

Ach so, noch gar nicht erwähnt: Ich war nicht in Kanada unterwegs oder irgendwo in der sibirischen Taiga – ich war wandern im schönen Rheinland-Pfalz. Im Wiedtal, bei Waldbreitbach, eine Viertelstunde entfernt vom Eiscafé in der Ortsmitte. Auch deshalb war ich in diesen Augenblicken etwas irritiert: Ein Hund war das definitiv nicht. Für einen Fuchs war es viel zu laut. Dachse klingen anders und sind obendrein nachtaktiv. Und Wildschweine grunzen. Viel Auswahl blieb da nicht mehr.

In den letzten Jahrzehnten bin ich auf meinen Reisen etlichen Tieren über den Weg gelaufen, wobei ein neugieriger Grizzly in British Columbia und eine gereizte Todesotter in Australien die – sagen wir mal – interessantesten waren. Einen Wolf aber habe ich in all der Zeit nur ein einziges Mal gesehen. Im Yellowstone National Park, mit dem Fernglas, ein winziger dunkler Punkt im weißen Schnee, zwei oder drei Kilometer entfernt. Als die Tiere nach Rheinland-Pfalz zurückkehrten und in Gesprächen die Rotkäppchen-Panik aufkam, war ich immer der Erste, der beruhigte und beschwichtigte. „Was gäbe ich darum, wenn ich beim Wandern mal einen sehen würde“, hatte ich getönt. Und jetzt stand ich da im Westerwald. Und fühlte mich nicht wirklich wohl.

Beim nächsten Mal klang das Geräusch lauter und aggressiver, und näher, das auch. Ich googelte die Nummer des Forstamts. Eine nette Dame verband mich mit dem Oberförster. Der wollte meinen Standort wissen. Na ja, sagt er nach einer Weile, sie hätten fünf Junge gezählt, das sei schon ein kleines Rudel mittlerweile, und den einen oder anderen einzelnen Wolf auf Durchreise gebe es wohl auch noch. Ah, sagte ich, verstehe, dann könnte das ... Ja, das sei durchaus möglich, sagte der Oberförster, es sei nämlich nun mal nicht so, dass Wölfe immer nur wie Wölfe heulen würden – die hätten ein ganzes Repertoire an Lauten, mit denen sie untereinander kommunizierten. Und dann sagte er, dass ich ja vielleicht auch noch das Glück haben würde, einen Wolf zu sehen.

Ich habe nach dem Gespräch noch nicht einmal mehr einen gehört: Der Wald war verstummt, als habe er mein Telefonat belauscht. Ich suchte den Hang gegenüber ab. Natürlich war da nichts, und überhaupt hatte mich der letzte Satz des Oberförsters beruhigt. Komplett. Halb. Ein wenig. Mir fiel das Eiscafé in der Ortsmitte ein, und dass die dort doch bestimmt einen feinen weißen Italiener auf der Karte hatten. Ich drehte um und lief zurück. Es gibt Tage, an denen sollte man einfach nicht wandern gehen.

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Ausgabe 03/2024

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