Malerisch: Im Lavaux im Waadtland stehen die Reben am Genfersee (Foto: iStock.com/cdbrphotography)
Malerisch: Im Lavaux im Waadtland stehen die Reben am Genfersee (Foto: iStock.com/cdbrphotography)

Lebendige Vielfalt

Mit mehr als 250 kultivierten Rebsorten, von denen rund 80 als einheimisch gelten, zählt die Schweiz zu den vielfältigsten Weinbauländern der Welt. Während der Ursprung der ältesten Sorten bis ins 14. Jahrhundert zurückreicht, gibt es auch einige Neuheiten, die immer häufiger in den Weinbergen Schweizer Winzer zu finden sind. Eine spannende Auswahl an Schweizer Weinen finden Sie außerdem in unserer Verkostung für »Ausgabe 01/2023 von MEININGERS WEINWELT. 

Text: Sophia Langhäuser 

Wer in der Schweiz unterwegs ist, ist nicht selten erstaunt darüber, wie facettenreich ein so kleines Land sein kann. Am besten reist man mit dem Zug, denn der ist, anders als in manch anderen Ländern, meistens pünktlich und man kann sich ganz nebenbei auch noch der vorbeirauschenden Schweizer Naturidylle widmen. Vielerorts verläuft die Bahnstrecke vorbei an Flüssen, Seen und Bergen, jeweils durch eine der insgesamt sechs Schweizer Weinregionen: das Wallis, das Waadtland, die Deutschschweiz, Genf, Tessin und die Drei-Seen-Region.

Während man in der Westschweiz, zu der die Anbauregionen Genf, Wallis, das Waadtland und die Drei-Seen-Region zählen, den Fokus auf traditionelle Rebsorten legt, spielen in der Deutschschweiz immer häufiger auch sogenannte pilzwiderstandsfähige Rebsorten (PIWIs) eine wichtige Rolle. Aufgrund höherer Niederschlagsmengen sind die robusteren Rebsorten dort eine gute Möglichkeit, um den Aufwand an Pflanzenschutzmitteln zu reduzieren und die Ökosysteme im Weinberg zu fördern. Winzern in wetterstabileren Regionen wie dem Wallis oder dem Waadtland fehlt dagegen noch häufig der entscheidende Anreiz, um PIWIs in ihren Weinbergen zu pflanzen. Auch, weil die neuen Sorten dort – anders als in der Deutschschweiz – bisher nur vereinzelt die geschützte Herkunftsbezeichnung AOC (Appellation d’Origine Contrôlée) tragen dürfen und deshalb nur schwer vermarktet werden können.

Weinbau und Forschung vereint das Weinbauzentrum Wädenswil miteinander (Foto: Siffert/weinweltfoto.ch)
Weinbau und Forschung vereint das Weinbauzentrum Wädenswil miteinander (Foto: Siffert/weinweltfoto.ch)

Die Deutschschweiz im Wandel

Vom traditionellen Räuschling, der sogenannten Züriseerebe, oder dem Müller-Thurgau, der auch unter dem Namen Riesling-Sylvaner bekannt ist, bis hin zum Blauburgunder (Pinot Noir), setzen die 16 zur Deutschschweiz zugehörigen Weinbaukantone zwar weiterhin auf traditionelle Reben, lassen sich aber immer häufiger von den neuen Rebsorten begeistern. So auch Urs Zweifel, der das gleichnamige Weingut inklusive Weinhandel am Rande der Stadt Zürich am sogenannten „Zürcher Höngg“ betreibt. Rund 40 verschiedene Weine, vom traditionellen Pinot Noir bis hin zur PIWI-Cuvée, bereichern das Sortiment des Zürcher Winzers, dessen Familie bereits seit Anfang des 15. Jahrhunderts Höngger Reben besitzt. Cédric Thévenaz ist Kellermeister im Weingut Zweifel und legt großen Wert darauf, die ganz eigene Charakteristik der neuen Rebsorten bestmöglich zu nutzen. „PIWIs funktionieren hervorragend im Cuvée, sowohl gemeinsam als auch in Kombination mit traditionellen Rebsorten“, erklärt er. So finden in der Cuvée Ursus Weiss die traditionellen Sorten Johanniter und Sauvignon Blanc aber auch die PIWI-Sorte Vidal Blanc ihren Platz. Frische Zitrusaromen, Cantaloupe und herb-fruchtige Grapefruit treffen bei diesem Wein auf eine angenehme Süße-Säure-Balance, gelbes Steinobst und Salzzitrone. Ihr bestverkaufter Rotwein wird unter dem Namen Ocioto vermarktet und aus Pinot Noir und Garanoir sowie der PIWI-Sorte Regent gekeltert. Die vollmundige Cuvée ist konzentriert und kraftvoll und kann es mit so manchem Gewächs aus rein traditionellen Rebsorten problemlos aufnehmen. Mit echtem Handwerk sowie dem Mut zur Innovation zeigt das Team rund um Urs Zweifel, dass PIWIs sich längst ihren Platz in den Weinregalen verdient haben.

Der heimische Chasselas nimmt rund 60 Prozent der Rebfläche im Waadtland ein (Foto: Siffert/weinweltfoto.ch)
Der heimische Chasselas nimmt rund 60 Prozent der Rebfläche im Waadtland ein (Foto: Siffert/weinweltfoto.ch)
Gamaret wurde in Wädenswil entwickelt und ist mittlerweile weit verbreitet (Foto: Siffert/weinweltfoto.ch)
Gamaret wurde in Wädenswil entwickelt und ist mittlerweile weit verbreitet (Foto: Siffert/weinweltfoto.ch)

Mindestens genauso optimistisch geht auch das Weinbauzentrum in Wädenswil am Zürichsee an die neuen Rebsorten heran. Gemeinsam mit Agroscope, der Schweizer Forschungsgruppe im Bereich Weinbau, wird in Wädenswil seit Mitte der 1960er Jahre an einem neuen Züchtungs-Programm gearbeitet: In einem ersten Versuch wurden dort zunächst neue Rebsorten wie zum Beispiel der heute weitverbreitete Gamaret entwickelt. Die aus einer Kreuzung der Sorten Gamay und Reichensteiner entstandene Rotweinsorte ähnelt zwar aromentechnisch dem Gamay, aufgrund ihrer Lockerbeerigkeit gilt sie aber als weniger anfällig gegenüber Botrytis. In einem zweiten Züchtungsprogramm fokussierte man sich auf die Pilzwiderstandsfähigkeit und züchtete die PIWI-Sorte Divico, die mit nur ein bis drei Bio-Spritzungen im Jahr auskommt. Im Vergleich: Bei konventionellen Rebsorten sind sechs bis zehn Behandlungen notwendig. Ein weiterer Meilenstein folgte einige Jahr später mit der Entwicklung der weißen PIWI-Sorte Divona. Genau wie ihr rotes Pendant weist die neue Sorte eine hohe Resistenz gegenüber echtem und falschem Mehltau auf und überzeugt geschmacklich mit fruchtigen und floralen Noten.

Da bereits etablierte PIWI-Sorten wie der Regent in Jahren mit hohem Befallsdruck allerdings in ähnlichen Abständen wie konventionelle Rebsorten gespritzt werden müssen, werden bereits neue Rebsorten mit stärkeren Resistenzen gezüchtet. 15 vielversprechende Varianten, die nur selten oder im besten Fall gar nicht mit Pflanzenschutzmitteln behandelt werden müssen, befinden sich aktuell im Versuchsanbau, erste marktfähige Weine wird es voraussichtlich ab 2026 geben. „Die neuen Sorten müssen sich alle an die Gegebenheiten des Klimawandels anpassen können“, erzählt Kathleen Mackie-Haas, die Leiterin der Agroscope-Forschungsgruppe Extension Weinbau und spielt damit auf die immer häufiger werdenden Wetterextreme an. Probierfreudige Weininteressenten sehen in den PIWIs auch bereits gute Alternativen zu traditionellen Rebsorten. Dennoch findet man sie derzeit nur selten in Supermarktregalen und sucht vor allem in Gastronomien vergeblich nach den noch häufig unbekannten Sorten. Die Herausforderung für die PIWI-Weine sei nicht etwa mangelnde Qualität oder der Geschmack der Sorten, erzählt Lorenz Kern, der Leiter für Weinbau und Oenologie im Weinbauzentrum Wädenswil, das Problem sei die Kommunikation. Durch mehr Aufklärungsarbeit und Storytelling könne in Sachen PIWIs noch viel erreicht werden. Zunächst aber liegt es in der Hand der Produzenten, verstärkt auf die neuen Rebsorten zu setzen, um künftig auch im Handel und der Gastronomie flächendeckender vertreten zu sein.

Wer die neuen Sorten probieren möchte, muss im Weinbauzentrum Wädenswil nicht lange suchen. Denn im zugehörigen Weingut Dreistand, das seinen Namen den drei Weinbergs-Standorten Wädenswil, der Halbinsel Au und der Stäfa Sternenhalde verdankt, setzt neben traditionellen Sorten auch auf den An- und Ausbau verschiedener PIWI-Sorten. Hier wird Hand in Hand mit dem Weinbauzentrum und Agroscope gearbeitet, wodurch neue Erkenntnisse in der Forschung schnellstmöglich praxisnah umgesetzt werden können.

Hoch hinaus: im Wallis erstrecken sich die Weinberge zum Teil bis auf 800 Meter (Foto: www.swisswine.ch)
Hoch hinaus: im Wallis erstrecken sich die Weinberge zum Teil bis auf 800 Meter (Foto: www.swisswine.ch)

Traditionsreiches Wallis

In der Westschweiz geht man dagegen etwas zögerlicher mit dem Anbau der neuen Rebsorten um. Während man im Wallis erst 1995 auf einer kleinen Versuchsfläche begann, PIWIs anzubauen, waren in der restlichen Schweiz schon mehr als 50 Hektar mit den neuen Sorten bepflanzt. Erst zehn Jahre später wurden schließlich die ersten in den AOC-Sortenkatalog der Region aufgenommen. Obwohl das Interesse der Walliser am Anbau der neuen Rebsorten stetig zunimmt, nehmen diese nur einen geringen Anteil der rund 4 900 Hektar großen Rebfläche ein. Auf den in Terrassen angelegten Weinbergen, die meist nach Süden ausgerichtet sind, gedeihen stattdessen traditionelle Schweizer Rebsorten wie zum Beispiel die fruchtbetonte Petite Arvine, die auch zur Süßweinherstellung verwendete Heida (Savagnin Blanc) oder der berühmte Fendant (Chasselas) sowie die roten Sorten Pinot Noir, Gamay und Diolinoir.

Das malerische Tal, das mittig von der Rhône getrennt wird, entstand vor rund 20 000 Jahren durch den Rückgang der damaligen Gletscher. Durch das besonders trockene und milde Klima und die geringen jährlichen Niederschlagsmengen ist die Region für den Anbau spätreifender Sorten prädestiniert. Während sich auf der rechten Uferseite die sonnenbestrahlten und damit auch beliebtesten Weinlagen befinden, hat das linke, schattigere Ufer ebenso seine Vorteile. Viele Walliser Winzer entscheiden sich dazu, aromareiche Rebsorten vermehrt in den kühleren Lagen anzubauen, um die Reifezeit zu verlangsamen und die Aromenentwicklung zu fördern. Diesem Schema folgt auch Grégory Dubuis, der Geschäftsführer von Maison Gilliard, einer der ältesten Walliser Weinkellereien. Auf den rund 64 Hektar Weinbergen, die sowohl auf der rechten als auch auf der linken Uferseite liegen, werden hauptsächlich heimische Sorten wie Petite Arvine, Heida, Johannisberg, Humagne Rouge oder Cornalin angebaut. Aus den Trauben, die in prädestinierten Lagen wie dem Clos de Cochetta oder Visperterminen, einer der höchsten Weinberge Europas, wachsen, produziert man hier sowohl frische als auch vollmundige, saftige Weine mit reifen Aromen.

Die in Terrassen angelegten Weinberge sind typisch für das Lavaux (Foto: iStock.com/Anthony SEJOURNE)
Die in Terrassen angelegten Weinberge sind typisch für das Lavaux (Foto: iStock.com/Anthony SEJOURNE)

Der Chasselas der Waadtländer

Folgt man der Rhône in Richtung Genfer See befindet man sich bereits nach nur wenigen Kilometern in der Weinregion Waadtland. Ganz besonders stolz sind die Waadtländer Winzer auf ihren Chasselas, der rund 60 Prozent der Rebfläche einnimmt. Aufgrund der verschiedenen Bodenbeschaffenheiten findet man dort sowohl fruchtig-leichte Weine als auch komplexere und zum Reifen prädestinierte Gewächse. Auch im Weingut La Craussaz hat man sich den Chasselas zum Steckenpferd gemacht. Anders als in manch anderen, kühleren Regionen, wo die Rebsorte primär fruchtig-leichte Easy-Drinking-Weine hervorbringt, nutzt man hier die Komplexität des Chasselas für sich und produziert hochwertige und lagerfähige Weine. La Crausaz liegt inmitten der Unterregion Lavaux, umgeben von terrassenförmig angelegten Weinbergen, mit Blick auf den Genfer See und die Alpen.

Das Lavaux, was übersetzt so viel wie Tal bedeutet und von Lausanne bis nach Montreux und Vevey reicht, kann bereits auf eine lange Geschichte zurückblicken: Schon im Mittelalter hatten Zisterziensermönche das Potenzial der Region erkannt und dort händisch die ersten Weinberge in Terrassen angelegt. Und auch heute noch ist das Gebiet für die Winzer etwas ganz besonderes und wurde deswegen nicht ohne Grund 2007 zum UNESCO Welterbe bestimmt. Geprägt von den klimatischen Einflüssen des Genfer Sees und den Steinmauern, die die Wärme der Sonne in der Nacht an die Reben abgeben, entstehen dort kraftvolle und charakterstarke Weine.

So duftet der ausschließlich im Stahltank vergorene 2020 Chasselas Dézaley Renard von La Crausaz nach weißem Weinbergspfirsich und Aprikosenkernen und zeigt sich am Gaumen zwar elegant, aber mit der nötigen Substanz, mineralisch und animierend.

Das Potenzial der Sorte wird deutlich, probiert man den gleichen Wein von 2012: In der Nase Grapefruit, Walnuss und exotische Früchte, am Gaumen vollmundig und komplex, aber noch absolut frisch. Auch ein Chasselas von 1991 überzeugt: Frische Gartenkräuter, gelbes Steinobst und leicht laktische Noten werden von einer feinen Säure begleitet und man vermutet nicht, dass dieser Wein aus dem vorherigen Jahrtausend stammen soll. Traditionelle Rebsorten können hier so einiges. Den neuen Züchtungen sollte man aber dennoch eine Chance geben, auch wenn sie sich ihren Platz in der ersten Liga erst noch erobern müssen. 

WEINGÜTER 

WESTSCHWEIZ

Maison Gilliard
Hochwertige Weine aus traditionellen Rebsorten
https://gilliard.ch

Domaine de la Crausaz
Traditionelles Weingut im Lavaux mit dem Fokus auf Chasselas-Weinen
www.lacrausaz.ch

 

DEUTSCHSCHWEIZ

Weinbauzentrum Wädenswil
Forschung Weinbau & Oenologie
www.weinbauzentrum.ch

Weingut Dreistand
Elegante und ausdrucksstarke Weine mit innovativem Touch
www.weinbauzentrum.ch/de/dreistand

Zweifel Weine
Spannende Cuvées aus traditionellen Rebsorten und Piwis
www.zweifel1898.ch

 

WEITERE TIPPS

Les Celliers de Sion
Walliser Weine aus den Häusern Maisons Bonvin und Varone & vielseitige Weinerlebnisse
https://celliers.ch

Schwarzenbach Weinbau
Von unkompliziert bis komplex, traditionelle Weinkultur vom Zürichsee
www.schwarzenbach-weinbau.ch

Weingut Familie Hansruedi Adank
Sortentypische Weine mit Charakter
www.adank-weine.ch

 

Ausgabe 03/2024

Erhältlich ab 8. März: MEININGERS WEINWELT Ausgabe 03/2024

Themen der Ausgabe

Feines Frische-Duo

Mineralischer Albariño schmeichelt Fischeintopf mit Gemüse: Das Winepairing zum Start ins Frühjahr hat sich Sommelier Emrah Isitmen aus Karlsruhe für Sie ausgedacht und damit eine Geschmackskombination für pures Atlantik-Feeling kreiert … »weiter zu Rezept & Weintipp

Rieslinge von Weltruhm

Bettina Bürklin-von Guradze hat das Pfälzer Topweingut Dr. Bürklin-Wolf perfekt für die Zukunft aufgestellt und verrät im Gespräch mit Chefredakteurin Ilka Lindemann, wie sie dabei Traditionen, Familie und Biodynamie unter einen Hut gebracht hat.

Weinbar-Guide London

Die Gastroszene der britischen Hauptstadt ist lebendig wie nie und kann zuweilen ganz schön überfordernd sein. Wir waren für Sie vor Ort und zeigen Ihnen in dieser Ausgabe die angesagtesten Weinbars und Locations für jeden Anspruch.