Foto: JFL Photography/stock.adobe.com
Foto: JFL Photography/stock.adobe.com

Rhone – das Beste aus der Schweiz

Die Region zwischen Genf und Wallis ist ein einziges Paradies des Genusses. Entlang der Rhone fallen die Unterschiede zwischen Weinstilistik, Rebsorten und kulinarischen Spezialitäten allerdings so gewaltig aus, dass der Reisende aus dem Staunen nicht mehr herauskommt.

Text: Wolfgang Faßbender

264 Kilometer sind es, welche sich die Rhone auf Schweizer Staatsgebiet hinzieht: vom Rhonegletscher bis zur französischen Grenze, über drei Kantone. Wer dem Fluss folgt, wird nicht nur trinkbare Überraschungen entdecken, sondern auch eine Fülle von gastronomischen Erfahrungen machen, Naturschönheiten finden und historische Zusammenhänge begreifen.

Wallis – ein Paradies historischer Rebsorten

Doch zunächst sollte sich der Neugierige ein paar Kilometer von der Rhone entfernen, um den Überblick zu gewinnen. Von ganz oben hat man bekanntlich die beste Aussicht, und hoch hinauf geht es im Wallis schnell. Das Tal ist ­schmal, die Berge sind steil. Kein Wunder, dass die Winzer seit Jahrhunderten auf die Hänge ausweichen, fast alle nutzbaren Flächen mit ­Reben bepflanzen. Aber dass es jemand so weit getrieben hat wie die Winzer in Visperterminen, erstaunt dann doch immer wieder. Zumal die Weinberge oberhalb von Visp in Zeiten des Klima­wandels mehr Zukunft haben als je zuvor. Bis auf 1 150 Metern geht es hinauf, nirgendwo in Europa existieren so große zusammenhängende Rebflächen in dieser Höhe. Und die 
Sache ist ja auch sinnvoll: Gewürztraminer vom Berg kann, bedingt durch die herrschenden Temperaturunterschiede zwischen Tag und Nacht, unglaublich frisch und fein ausfallen.

Foto: franzeldr/stock.adobe.com
Foto: franzeldr/stock.adobe.com

Doch Gewürztraminer, respektive seine etwas weniger würzige Variante namens Heida, ist nur eine von unzähligen Sorten, die auf der Walliser Rebfläche von insgesamt rund 4 800 Hektar gedeihen. Zu finden sind auch rare, fast nur oder ausschließlich hier gedeihende Spezialitäten. Petite Arvine und Amigne, Himbertscha oder Lafnetscha unter den Weißweinsorten, Cornalin oder Humagne Rouge bei den Rotweinen. Warum sich so vieles erhalten hat? Es ist wohl dem einst abgelegenen Alpental zu verdanken, aber auch dem Beharrungsvermögen der Walliser, die ungern bewährte Traditionen aufgeben.

Im Naturpark Pfyn-Finges allerdings ist vieles anders als früher. Räuber sollen sich hier in grauer Vorzeit versteckt haben. Aber heute lässt sich das Naturschutzgebiet Pfynwald, einer der größten zusammenhängenden Föhrenwälder der Alpen mit seinen heißen Steppen und der einzigartigen Landschaft, sicher und ungestört entdecken. Salgesch, gleich nebenan, hat sich mit Haut und Haaren dem Rotwein verschrieben und überdies Maßstäbe im Marketing gesetzt; schon 1988 wurde hier der Grand Cru ins Leben gerufen, eine auf besondere Qualität hinweisende Auszeichnung. In Sierre kann man das überprüfen und Salgescher Pinot Noir zum Terroir-Raclette im Restaurant Château de Villa genießen. Gruppen ab zehn Personen können noch eine Übernachtung im Château Mercier anschließen. Im Schloss inmitten der Wein­berge zu schlafen und am nächsten Morgen ein deftiges Walliser Frühstück zu genießen, gehört zu den Höhepunkten einer Rhone-Tour. Weil zum Walliser Gesamtpaket aber auch der Käse gehört, darf ein Besuch der Augstbord-Schau­­­käserei nicht fehlen. Oenologischer Höhepunkt ist anschließend die Berggemeinde Grimentz. Hier lässt sich der legendäre Gletscherwein 
entdecken, der seit vielen Generationen in alten, immer wieder aufgefüllten Fässern reift. Da laufen einem schon beim geführten Rundgang historische Schauer über den Rücken.

Degustieren ist freilich das eine, ausgiebiges Schlemmen das andere – und da hat das Wallis einiges zu bieten, auf dem Berg und im Tal. Aus ihrem Café du Centre in Chamoson haben Maria und Stéphane eine der attraktivsten Gastroadressen des Kantons gemacht. Halb Weinbar, halb Bistro, servieren sie Charbonnade oder Fondue, Pinot Noir oder Walliser Syrah. Zu Beginn des Essens sollte es aber ein Glas Fendant sein, wie der Chasselas auf Walliser Art heißt. Jung und frisch, ist dies ein eher säurearmer, fruchtiger Weißwein, über den man nicht lange nachdenken muss, der aber im besten Falle erstaunliche Komplexität aufweist. Ein ganzes Menü mit dem passenden Walliser Wein zu begleiten, wäre hier eine Leichtigkeit, ist aber auch in Zermatt möglich, dem hochgelegenen, für den ­Autoverkehr gesperrten Ausflugsort. Hauke Pohl, Küchenchef im luxuriösen Boutiquehotel The Omnia, kocht auf kreative Weise, und die Sommelière Ramona Reich zeigt, dass Walliser Wein mitnichten jung getrunken werden muss, sondern ausgezeichnet reifen kann.

Waadt – das Land des Chasselas

Apropos Reife. Genau diese Eigenschaften besitzen auch viele jener Gewächse, die im Nachbarkanton erzeugt werden. In die Waadt gelangt der Reisende automatisch, denn bevor die Rhone in den Genfersee mündet, bildet sie die Grenze zwischen Wallis und Waadtland. Chasselas ist die mit Abstand wichtigste Sorte, die auf den fast 3 800 Hektar Rebfläche der Waadt angebaut wird. Stammt er von guten Winzern und besten Lagen, lässt er sich ohne Probleme zehn oder 20 Jahre einlagern. Er wird oft sogar spannender, entwickelt im besten Fall nussige Würze und passt perfekt zu vielen Käsesorten. Der 1975 Dézaley, den neulich Sommelier Edmond Gasser im Lausanner Restaurant Anne-Sophie Pic servierte, begeisterte alle Anwesenden. Zwar ist das Dézaley traditionell Nummer eins, was die Chasselas-Herkünfte der Waadt angeht, aber es mangelt auch jenseits der steil zum Genfersee abfallenden Felsen nicht an erstklassigen Chasselas. Das lässt sich sogar wissenschaftlich unterfüttern durch einen ­Besuch im Conservatoire du Chasselas in Mont-sur-Rolle und Rivaz. Die Vielfalt alter Klone soll hier erforscht und das genetische Erbe der seit mehr als 1 000 Jahren in der Gegend nachweisbaren Sorte bewahrt werden. Wer an die Theorie noch ein bisschen Praxis anschließen möchte, kann die Badoux­thèque aufsuchen, eine schicke Kombination aus Weinbar und -laden. Wo sich ganz nebenbei herausfinden lässt, dass am Chasselas doch ein paar Wege vorbeiführen. Sauvignon Blanc, ­Pinot Gris oder Viognier haben sich in der Waadt nämlich ebenfalls als Weißweinsorten etabliert, im roten Bereich sollte man Merlot, Garanoir und Gamaret versuchen. Wer noch tiefer in die Geschichte des Weinbaus und des Kantons eindringen will, fährt am besten aufs Château d’Aigle – Reben draußen, Weinmu­seum und Etikettensammlung drinnen – und bucht gleich noch eine Tour mit dem Lavaux Express: Die bunt bemalte Bahn durchquert die Weinberge in dieser spektakulären Landschaft.

Rebenmeer und atemberaubender Seeblick: der Genfersee in Lavaux; Foto: sam74100/123rf.com
Rebenmeer und atemberaubender Seeblick: der Genfersee in Lavaux; Foto: sam74100/123rf.com

Und weil Zugfahren bekanntlich Appetit macht, schließt sich für echte Gourmets die Suche nach dem besten Restaurant an. Zum Glück hat sich die Waadt zu einer der attraktivsten Genießerregionen der Schweiz entwickelt und pendelt zwischen deftigen Klassikern wie dem Saucisson Vaudois, der Waadtländer Wurst, und französischen Finessen. Montreux und Lausanne sind allemal für feinste Küche gut, aber höchste Steigerung wird in einem 
unscheinbaren Ort namens Crissier erreicht. Chefkoch Franck Giovannini steht in der Tradition seiner berühmten Vorgänger wie Frédy Girardet und Benoît Violier. Im Restaurant de l’Hôtel de Ville verteidigt er die drei Sterne im Guide Michelin und hat in Camille Gariglio einen herausragenden Sommelier gefunden. Ein ganzes Menü nur mit Walliser, Waadt­länder und Genfer Weinen begleiten zu lassen, ist für diesen die kleinste aller Übungen. Nach dem Essen aber bitte nicht den Spaziergang durch die Weinberge vergessen, vielleicht durch jene in der Gegend von Morges. Die Wanderung vom Schloss Vufflens zum Schloss von Morges zeigt nicht nur die Schönheit des Weinbaugebietes La Côte, das wie das Lavaux zur Waadt gehört, sondern auch eine unglaubliche Fülle an mittelalterlicher Kultur. 

Genf – die selbstbewusste Metropole

 

Foto: Alexander Demyaenko/stock.adobe.com
Foto: Alexander Demyaenko/stock.adobe.com

Von der Idylle geht es schnurstracks in die Metropole. Von Ruhe und weintrinkender Beschaulichkeit ist in Genf keine Spur zu finden. Täglich kommen viele zum Arbeiten aus Frankreich über die Grenze, Touristen sitzen am Ufer des Genfersees, internationale Diplomaten treffen sich in einem der vielen Gourmetrestaurants zum Mittagessen. Und dennoch muss man nicht weit fahren, um das andere Genf zu erleben, den ländlichen Teil jenen Kantons, der gemessen an der Einwohnerzahl eine verblüffende Menge Wein produziert. Vielfalt ist auf den rund 1 400 Hektar Reben wichtig, und neben den beiden Klassikern Chasselas (weiß) und Gamay (rot) haben sich längst andere Sorten etabliert. Ein paar Winzer zu besuchen und sich durchzukosten, bei Pinot Noir und Cabernet Franc, bei Sauvignon Blanc und Aligoté, wäre die eine Möglichkeit, Genfer Weinkultur zu erleben. Die andere begänne mit einer Kreuzfahrt auf der Rhone: Während einer zweieinhalbstündigen Fluss­reise lässt sich entdecken, welche Bedeutung der Wein für das kulturelle Selbstverständnis der Einheimischen hat. Ein Rundgang auf dem Reblehrpfad von Dardagny führt auf sechs ­Kilometern in die Tätigkeit des Winzers übers Jahr hinweg und in das Engagement der hiesigen Erzeuger ein. Dass ein Großteil des Genfer Weines vor Ort getrunken wird, in traditionellen Gasthäusern wie der Auberge de Chouilly oder in modernen Gourmetbistros wie dem Café de Peney, ist angesichts der Qualität nicht verwunderlich. Zum Abschluss einer Reise entlang der Rhone sollte man sich aber doch ein ausgiebiges Mittag- oder Abendessen bei Philippe Chevrier gönnen, dem wohl berühmtesten Koch des Kantons Genf. Der dienst­habende Maître erläutert hier oben auf dem Hügel von Peney-Dessus die kostbaren Schätze des Käsewagens. Diese stammen aus der Schweiz oder – Berührungsängste gibt es im Grenzgebiet nicht – aus dem nahen Savoyen, und auch zum Soufflé mit hausgemachten ­Vanilleeis danach findet sich Passendes von Genfer Weingütern. Zumindest einigen der vielen Geheimnisse des Schweizer Rhone­weines kommt man so auf die Schliche. Um auch alle anderen zu lüften, bleibt indes nur die Rückreise über die Waadt ins Wallis.

Empfehlenswert: eine Bootstour auf dem Genfersee oder auf der Rhone
Empfehlenswert: eine Bootstour auf dem Genfersee oder auf der Rhone
Schlagworte

Ausgabe 03/2024

Erhältlich ab 8. März: MEININGERS WEINWELT Ausgabe 03/2024

Themen der Ausgabe

Feines Frische-Duo

Mineralischer Albariño schmeichelt Fischeintopf mit Gemüse: Das Winepairing zum Start ins Frühjahr hat sich Sommelier Emrah Isitmen aus Karlsruhe für Sie ausgedacht und damit eine Geschmackskombination für pures Atlantik-Feeling kreiert … »weiter zu Rezept & Weintipp

Rieslinge von Weltruhm

Bettina Bürklin-von Guradze hat das Pfälzer Topweingut Dr. Bürklin-Wolf perfekt für die Zukunft aufgestellt und verrät im Gespräch mit Chefredakteurin Ilka Lindemann, wie sie dabei Traditionen, Familie und Biodynamie unter einen Hut gebracht hat.

Weinbar-Guide London

Die Gastroszene der britischen Hauptstadt ist lebendig wie nie und kann zuweilen ganz schön überfordernd sein. Wir waren für Sie vor Ort und zeigen Ihnen in dieser Ausgabe die angesagtesten Weinbars und Locations für jeden Anspruch.