Alexandra Wrann, Chefredaktion WEINWIRTSCHAFT
Alexandra Wrann, Chefredaktion WEINWIRTSCHAFT

Trendbewusstsein

Wann entsteht ein Trend – und wann wird er herbeigeredet? Wie oft haben wir in den vergangenen Jahren des Kaisers neue Kleider bestaunt und letztlich festgestellt, dass es doch nur alte Lumpen sind? Nur ein paar Beispiele aus der Tech- und Netzwelt: das von Sony in den 1990er Jahren entwickelte Speichermedium Mini Disc, das doch nicht zur zweiten CD wurde, das kurzweilig gefeierte und dann schnell fallengelassene Social Network Google Plus und, Sie erinnern sich vielleicht, der Hype um das neue Audio-Talkshow-Tool Clubhouse, das nach kurzer Euphorie so schnell wieder verschwand, wie es auftauchte. 

In der Weinwelt ist das mit Trends jedoch so eine Sache. Wer setzt hier die Trends? Sicherlich spielt die Spitzen-Gastronomie mit ihren erfahrenen und neugierigen Sommeliers eine wichtige Rolle, fungieren sie doch als Mittler zwischen Erzeuger und Weintrinker, sind immer auf der Suche nach neuen Entdeckungen, tauschen sich viel aus, sodass ein neues Produkt, eine neue Kategorie schnell von Restaurant zu Restaurant, Weinbar zu Weinbar, ja, geradezu trendet. 

Aus marktwirtschaftlicher Sicht jedoch ist im Umgang mit dem Begriff Vorsicht geboten. Ja, die Multiplikatoren an Glas und Flasche sind für das Aufkommen von Trends von großer Bedeutung. So beschreibt das Fachblatt Trend Report: Ein Trend »ergibt sich, wenn eine bestimmte Masse von Unternehmen, Personen oder Meinungsführern (relativ zu ihrer jeweiligen Gesamtzahl) einer bestimmten Verhaltensweise oder Entwicklung unterliegt.« Der Teufel steckt hier im Detail, oder vielmehr in der Klammer: »relativ zu ihrer jeweiligen Gesamtzahl«. Damit kann ein Trend etwa innerhalb der Szene-Sommelerie durchaus als solcher gelten.

Mit Blick auf den gesamten Weinmarkt ist jedoch nur in den seltensten Fällen ein echter, großer Trend abzulesen. PetNat oder Orangewein etwa machten eine ganze Zeit lang viel von sich hören, dominierten die Social-Media-Kanäle von influencenden Weinkennern – den Weinmarkt jedoch beileibe nicht. 

Ein weiteres aktuelles Beispiel: Der vermeintliche Trend zum leichten Rotwein. Immer wieder hört man, der Verbraucher würde einen delikateren, sommerlicheren Roten wünschen, der mit weniger Alkohol auskommt. Das Supermarktregal spricht eine andere Sprache. Nicht die Beaujolais und Spätburgunder dieser Welt landen im Einkaufswagen, sondern nach wie vor die eher schweren Tropfen, allen voran alles aus Appassimento- oder Appassite-Produktion, die naturgemäß höhere Alkoholgradationen hervorbringt.

Tatsächlich ist und bleibt das der eigentliche Trend, der noch längst nicht abgeflaut ist, ganz im Gegenteil: Jüngst erst wurde das Appassimento-Verfahren als Unesco-Kulturerbe vorgeschlagen (Seite 7), andere Länder eifern dem italienischen Original nach und entwerfen eigene Weintypen aus (an-)getrockneten Trauben. Auch Rosé, Prosecco, Pinot Grigio, teils Produktkategorien, die kaum ein Szene-Sommelier auf seine Karte setzt, können mit Fug und Recht als echte, weil marktdurchdringende, Trends bezeichnet werden. Alexandra Wrann

Alexandra Wrann, Chefredaktion WEINWIRTSCHAFT
Alexandra Wrann, Chefredaktion WEINWIRTSCHAFT

Der Einfluss von Fachhandel und Gastronomie darf dennoch nicht unterschätzt werden. Wenngleich nicht alles, was in einer Weinblase gefeiert wird, es zum Megaerfolg mit millionenfachen Absatzzahlen schafft, ist jeder Händler, Importeur, Sommelier für die Branche Gold wert, der bereit ist, abseits ausgetretener Pfade einzukaufen.

Nur so bleibt die Weinwelt so bunt, wie sie ist, wird die Dominanz geschmacklichen Einheitsbreis zumindest aufgebrochen, haben Herkünfte, Erzeuger, Stile eine Chance, die eben nicht den Mainstream bedienen. Das muss nicht immer gleich zum Trend ausgerufen werden, ist aber ein immenser Beitrag zur Vielfalt – und schließlich ein Grund, warum viele, ich vermute die meisten von uns, das Weinthema mit so viel Leidenschaft verfolgen: weil wir stets Neues lernen und entdecken.

Das haben wir übrigens auch in unserer Trollinger-Verkostung (Seite 46). Vielleicht nicht der nächste Megatrend, aber eine Sorte mit Top-Qualitäten, die eine tolle Ergänzung auch für das Fachhandels-Regal sind – teilweise übrigens mit angenehm wenig Alkohol!

Ausgabe 8/2024

Themen der Ausgabe

Württemberg

Die Bewirtschaftung zu teuer, die Bestockung sehr rot – die Weingärten im Ländle stehen vor Veränderungen.

Christof Queisser

Der Vorsitzende der Geschäftsführung von Rotkäppchen-Mumm im Interview.

Sommerwein

Wenn die Sonne scheint, muss es nicht immer weiß sein – wann Rotwein auch im Sommer passt.