Nicht von Angst regiert

Ein Unternehmer darf niemals pessimistisch sein«, gab mir der Gesellschafter einer Kellerei mit auf den Weg. Allerdings darf er auch niemals die Realitäten aus den Augen verlieren, und die Aussichten sind aktuell nicht rosig. Ich glaube, dass genau jetzt dennoch die richtige Zeit ist, sich den Spruch des Unternehmers zu Eigen zu machen, denn wir neigen aktuell dazu, vieles schwärzer auszumalen, als es sein muss.

Ja, die hohe Inflation ist besorgniserregend und für die jetzt lebenden Generationen zumindest in Deutschland weitgehend unbekannt. Allerdings verliert die Teuerung der Preise im Großhandel an Fahrt. Klassische Inflations-Erwartungen wurden im letzten Jahrzehnt weitgehend außer Kraft gesetzt. So war es nicht die Politik des billigen Geldes der Zentralbanken, die für einen Inflationsschub sorgte, sondern der Sondereffekt der durch die Pandemie gestörten Lieferketten, die das Angebot verknappten.

Bevor dieser Sondereffekt auslaufen konnte, überfiel Russland die Ukraine, und die Energiepreise begannen rasant zu steigen. 

Clemens Gerke, Chefredakteur WEINWIRTSCHAFT
Clemens Gerke, Chefredakteur WEINWIRTSCHAFT

Auch wenn die Normalisierung der Lieferketten nur langsam in der Weinbranche ankommt, weisen viele Indikatoren in diese Richtung, so lässt sich der Rückgang exorbitanter Container-Kosten leicht nachvollziehen. Und auch die Energiepreise scheinen bereits in den letzten Monaten ein Maximum gefunden zu haben. Es gibt also Hoffnung, dass eine noch schlimmere Inflation ausbleiben könnte, auch wenn Zweitrundeneffekte, z.B. durch Lohnerhöhungen, sie sicher noch eine gewisse Zeit auf einem spürbaren Niveau halten werden.

Dass die Wirtschaft auf eine Rezession zusteuert, scheint kaum ausweichlich. Dennoch sind die Begleiterscheinungen andere als früher. So bleibt die Arbeitslosigkeit in Deutschland bisher auf einem stabil niedrigen Niveau. Fachkräfte gelten im Zeichen des demografischen Wandels immer noch als Mangelware. Dadurch wird der von der Inflation ausgelöste Nachfrageschock nicht durch eine höhere Arbeitslosigkeit noch potenziert. Der schwache Euro kann zudem im Export helfen – Südeuropäern wohl mehr als im Weinexport ungeübten Deutschen.

Speziell für die Weinbranche habe ich eine weitere Hoffnung, dass sie glimpflicher davon kommen könnte als die Gesamtwirtschaft. Das Profil des Standard-Weinkäufers ist das eines etwas besser situierten Bürgers. Diesen wird die Inflation auch schmerzen, allerdings könnte er in der Lage sein, seinen Lebensstil weitgehend aufrecht zu erhalten und dem Wein treu zu bleiben. 

Ich bin mir sicher, dass die nächsten zwölf Monate nicht die gesamte Weinbranche auslöschen werden, zu oft wird das Glas aktuell als halbleer wahrgenommen. Natürlich haben sich einige Rahmenbedingungen verschlechtert, und wir werden im nächsten Jahr mehr Konsolidierungen sehen als ohne diese. Wer bisher Spitz auf Knopf kalkuliert hat, kann nächstes Jahr in Bedrängnis geraten, wenn ihn Kostensteigerungen kalt erwischt haben. Wenn bisher moderater arbeitende Wettbewerber die Kostensteigerungen nicht vollständig weitergeben und auf einen Teil einer real existierenden Marge verzichten, kann ihr Angebot plötzlich auch genauso interessant wirken.

Wenn in den letzten Wochen von betriebsbedingten Entlassungen die Rede war, dann meistens in der IT- und Start-Up-Welt. Die Zinswende macht manche auf billigem Geld aufgebaute Geschäftsidee zu einem für die Investoren jetzt teuer werdenden Luftschloss. Die Frage nach dem Return on Investment wird in der kommenden Zeit mit mehr Nachdruck gestellt werden. 

Das heißt nicht, dass alle Online-Unternehmen pleitegehen, aber auch hier wird sich die Konsolidierung beschleunigen. Für manches traditionelle Unternehmen können sich durch die Krise auch Chancen ergeben. Begehrte Spezialisten, die zuvor nicht zu kriegen waren, kommen so auf den Markt und können die bisher stockende digitale Transformation gut aufgestellter Unternehmen beschleunigen. Allerdings erfordern Investitionen und antizyklisches Denken innerhalb einer Krise Mut. Eine Eigenschaft, die keinem Unternehmer fehlen sollte, die er allerdings nicht mit Tollkühnheit verwechseln darf.
 

Ausgabe 8/2024

Themen der Ausgabe

Württemberg

Die Bewirtschaftung zu teuer, die Bestockung sehr rot – die Weingärten im Ländle stehen vor Veränderungen.

Christof Queisser

Der Vorsitzende der Geschäftsführung von Rotkäppchen-Mumm im Interview.

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Wenn die Sonne scheint, muss es nicht immer weiß sein – wann Rotwein auch im Sommer passt.