Der Aufruf erfolgte Ende Mai: Winzer in Bordeaux, die ihre Rebfläche ganz oder teilweise roden möchten, können hierfür ab sofort auf einer Online-Plattform einen Antrag stellen. Was traurig klingt, wurde von den Bordelaiser Weinmachern größtenteils sehnsüchtig erwartet, ja, in großen Demos herbei protestiert: Die massive Überproduktion von hauptsächlich Rotwein soll mit der Rodung von beinahe 10 Prozent der Fläche des größten französischen Weinbaugebiets (108.000 ha) eingedämmt werden. Bis zu 100 Mill. Euro lassen sich die französische Regierung und die EU die Marktbereinigung kosten, mit etwa 6.000 Euro je Hektar plus Rodungskosten können die Weinbergsbesitzer rechnen.
Das Problem
4,1 Mill. Hektoliter Wein entstanden in Bordeaux im Jahr 2022, 85 Prozent sind Rotweine. Eine, glücklicherweise, eher unterdurchschnittliche Ernte – das 10-Jahres-Mittel liegt bei 4,6 Mill. Hektolitern. Doch während die großen Châteaus mit ihren klangvollen Namen wenig Probleme damit haben, ihre Ware an Mann und Frau zu bringen, entfällt ein Großteil der Rotweinproduktion auf generische Weine im Einstiegsbereich, die gefüllt oder als Fassware auf den Markt kommen.
Oder eben nicht auf den Markt kommen: Verkauft wurden im letzten Jahr so etwa nur 3,98 Mill. Hektoliter, ein Minus von 5 Prozent.
Während die Rodung der Reben eine Maßnahme zur künftigen Produktions-Reduktion darstellt, erfährt die aktuell überproduzierte oder bereits aus Vorjahren vorhandene Menge ein anderes Schicksal: Sie wird destilliert. Rund 2,5 Mill. Hektoliter sollen in ganz Frankreich zu Industriealkohol verarbeitet werden. Nochmal geschätzte 160 Mill. Euro vom Steuerzahler, denn natürlich werden die Erzeuger mit öffentlichen Geldern entschädigt, um aus Wein Schnaps zu machen.
Die Problematik ist nicht neu, bereits 2005 wurden rund 180.000 Hektoliter destilliert – damals lag die Jahresproduktion bei mehr als 6 Mill. Hektolitern. Und auch damals war eine Krisenrodung von bis zu 10.000 Hektar im Gespräch – letztlich wurden nur 4.000 Hektar rausgerissen, mithilfe von zusätzlich strikten Ertragsbeschränkungen konnte die Erntemenge innerhalb von zwei Jahren um 17 Prozent gesenkt werden und der damalige Präsident des Conseil Interprofessionnel du Vin de Bordeaux (CIVB), Christian Delpeuch, erklärte: »Die Weinkrise in Bordeaux ist beendet«.
Krise reloaded
Nun ist sie wieder da – und betrifft beileibe nicht nur Bordeaux, Auch in anderen Anbaugebieten wurde bereits zum letzten Mittel der Branntweinherstellung gegriffen – zuletzt etwa als coronabedingte Lockdowns massive Absatzprobleme verursachten und rund 2,6 Mill. Hektoliter vom Markt genommen werden mussten. Und auch bei der aktuellen Überproduktions-Problematik sind andere Anbaugebiete wie das Languedoc oder das Rhonetal involviert und müssen unvermarktbare Überschüsse loswerden. Christophe Chateau, Kommunikationschef beim CIVB, schätzt sogar, dass das Languedoc deutlich mehr Wein krisendestillieren müssen wird als Bordeaux.
Als größte Region Frankreichs, mit dem enormen Fokus auf Rotwein, steht Bordeaux aber im Zentrum der Krise. Für einige Winzer stellt sich so gar die Frage »Weitermachen oder nicht?« Dabei geht es nicht nur um sinkende Einnahmen durch Absatzrückgänge. Auch die massiv steigenden Kosten machen es für die derzeit rund 5.300 Weinproduzenten nicht einfach, profitabel zu arbeiten. Viele Winzer, die Weine im Einstiegsbereich erzeugen, sind deutlich älter als 50 Jahre, finden weder einen Nachfolger noch einen Käufer für ihre Flächen (»selbst geschenkt will die Weinbergsflächen niemand«, berichtet so etwa ein Brancheninsider).
Eine Umfrage der Landwirtschaftskammer des Department Gironde ergab, dass rund ein Viertel der Winzer ihren Beruf aufgeben wollen. Für sie bedeutet die geförderte Rodung die einzige Möglichkeit aus dem Weinbusiness auszusteigen und zumindest ein wenig finanzielle Entschädigung zu erhalten.
Die Gründe
»Eigentlich gibt es zwei Bordeaux«, fasst es Exportmanager Tobias Lassak von der Grands-Chais-de-France-Tochter Crus et Domaines de France zusammen. Und in beiden Bereichen spielen sich unterschiedliche Dramen ab: An der Spitze erlebt die Region, wie die wichtigsten Flaggschiffe sich aus dem Klassifikationssystem der prestigeträchtigsten Appellationen verabschieden, wie etwa die prominenten Weingüter Angelus, Cheval Blanc und Ausone 2021/2022 in Saint-Émilion. Sie sind schlicht nicht angewiesen auf den Grand-Cru-Classé-Stempel auf dem Etikett, ist ihr Name als Marke nicht nur beim gut betuchten Verbraucher doch längst eingeführt.
Dabei ist es eben diesen Châteaus und ihrem Image zu verdanken, das die gesamte Region zu Weltruhm aufsteigen konnte. Zwar machen anderen Weinregionen wie das Burgund Bordeaux seinen Rang an der Spitze der wichtigsten Weininvest-Herkünfte streitig, wie die jüngsten Auswertungen der Londoner Fine-Wine-Börse Liv-Ex zeigen. Absatz- und vor allem wertmäßig haben die Grands Crus Classés jedoch keine Probleme, ganz im Gegenteil, steigen doch die Preise der En-Primeur-Kampagnen Jahr um Jahr in immer schwindelerregendere Höhen. Sie stehen dabei jedoch nur für geschätzt 5 Prozent der Fläche. Und obgleich sie die ganze Aufmerksamkeit auf sich ziehen, ist es das »zweite« Bordeaux, wo die großen Mengen entstehen, an denen zahlreiche Arbeitsplätze und Existenzen hängen.
»Der eher grüne, Tannin- und Säure-geprägte Stil mit Paprikanoten kommt nicht mehr so gut an«
Die beiden Einstiegs-Appellationen Bordeaux und Bordeaux Supérieur machen gemeinsam 43 Prozent der Fläche aus. Sie sind es, die derzeit im Krisenfokus stehen, bestätigt auch Bordeauxexperte Lassak: »Der Handel scheint an der Ware kaum noch Interesse zu haben, teilweise liegen die Weine auf dem Weingut, und der Winzer bekommt sie nicht los«. Das Problem sei das (nicht vorhandene) Image dieser generischeren Herkünfte, vor allem in Konkurrenz zu den berühmten Nachbarn: »Der Konsument greift eher zu einem Saint-Émilion für 15 Euro als zu einem Bordeaux Supérieur für 9 Euro, weil die Kategorie nicht gut genug bekannt ist«, konstatiert Lassak.
Verschleppte Krise
Auch sieht er keine zweite Krise, sondern meint: Die erste Krise in den Nuller-Jahren war nie wirklich beendet, wie es damals hieß. »Der enorme Absatzaufschwung in China hat das Problem quasi überdeckt. Die Überproduktion existierte weiterhin, ging jedoch nach Asien.«
Mehr als die Hälfte des Weines der Region, 55 Prozent, wird in Frankreich getrunken – doch vor allem hier herrscht Konsumflaute, wie auch der CIVB bestätigt: »Der Absatz im Heimatmarkt geht seit Jahren zurück, bereits im letzten Jahr sank der Konsum in Frankreich auf 40 Liter pro Kopf und Studien zeigen, dass in den nächsten 5–10 Jahren voraussichtlich noch weitere 10 Liter weniger getrunken werden, also nur noch 30 Liter pro Kopf«, sagt Christophe Chateau. Verbraucher tränken weniger, dafür besser, schwerer Rotwein sei weniger gefragt, dafür leichtere Weinarten wie Weiß-, Rosé- oder Schaumwein. Auch internationale Marktforschungen zeigen, dass der Rotweinkonsum seit Jahren rückläufig ist und in Zukunft bestenfalls eher stagnieren wird.
Und auch im Ausland schwächelt Bordeaux an vielen Fronten. Der Export ging zuletzt um 7 Prozent zurück auf 235 Mill. Flaschen. Vor allem der so wichtige chinesische Markt ist covidbedingt extrem geschrumpft: um 23 Prozent gegenüber 2021 auf 41 Mill. Flaschen – zu Glanzzeiten waren es 70 Mill. Flaschen. Der Handel nach Deutschland brach indes um 11 Prozent ein auf 17 Mill. Flaschen. Dabei hilft es wenig, dass in den meisten Destinationen der Wert gesteigert werden konnte oder zumindest weniger stark zurückging als die Menge – ein Effekt, der in erster Linie den Preissteigerungen der Spitzen-Weingüter sowie der Inflation zu verdanken ist.
»Bordeaux ist kein Selbstläufer«, konstatiert auch Andreas Brensing, Geschäftsführer der Rewe-Fachhandelstochter Kölner Weinkeller, wo Bordeaux als umsatzstärkste Herkunft mit rund 850 Positionen und 250 Châteaus eine wichtige Rolle spielt. »Man hat sich zuletzt in Deutschland zu wenig drum gekümmert, weil es vielen auch nicht notwendig schien.« Er bestätigt, dass das Image und die Wahrnehmung der Region von Kundenseite aus nur wenig mit der Produktionsrealität vor Ort zu tun hat: »Die meisten denken bei Bordeaux an die großen Châteaus, nicht an die 95 Prozent oder mehr, die auch unter dem Label Bordeaux laufen. Die Kundschaft, die die einzelnen Appellationen in Bordeaux noch unterschiedlich wahrnehmen, die ist inzwischen zu alt geworden.« Bordeaux, ist er überzeugt, habe sein Profil im Ultra-Premiumbereich, Top-Weingüter, die als Marken fungierten – doch darunter sei Bordeaux beim Verbraucher kaum eingeführt. »Das ist sehr schade, da es durchaus viele kleine Weingüter gibt, die sich Mühe geben und Top-Qualitäten liefern, auch zu sehr guten Preisen.« Hat die Region also durch die zu lange Fokussierung auf seine Stellung im Luxussegment ihr eigenes Absatzgrab geschaufelt?
Die Lösung(en)?
»Bordeaux ist die bekannteste Weinherkunft der Welt«, hält man beim CIVB dagegen, räumt aber auch ein, dass gleichzeitig beim Verbraucher mitschwingt: Bordeaux ist (zu) teuer. Ziel müsse sein, so metaphorisiert man dort treffend, »nicht nur die Haute Couture zu verkaufen, sondern auch die Kategorie Prêt-à-porter«.
Diversifizierung ist daher das Gebot der Stunde. Einerseits mit Blick auf die Absatzmärkte: Das Verhältnis von Inlands- versus Auslands-Verkäufen gelte es umzukehren, sodass der Export in Zukunft den größeren Stellenwert einnimmt, um die Abhängigkeit vom französischen Konsumenten zu lockern. Dabei sollen auch neue Märkte erschlossen werden – in einigen Ländern Afrikas etwa verzeichnet Bordeaux bereits jetzt hohe zweistellige Zuwachsraten, so liegt die Elfenbeinküste mit 6 Mill. Flaschen bereits auf Platz 9 im Volumenranking. Auch Nordamerika verspricht, insbesondere mit Blick auf die weitere Wertsteigerung, viel Wachstumspotenzial, genauso wie das kaufkräftige und weinaffine Skandinavien, bisher nur mit Dänemark (auf Platz 16 nach Menge) in den Top 20 der Exportliste vertreten, soll stärker in den Fokus genommen werden.
»In China wird der Absatz auch wieder zulegen«, ist sich Christophe Chateau sicher, nachdem dort die striktesten Covid-Maßnahmen sukzessive fallen. Klare Wachstumsmärkte in Asien sind dagegen die kleineren Länder: Südkorea, Taiwan und Vietnam etwa.
Fokus Bio
Bedeutender Teil der aktuellen Bordeaux-Offensive sind auch die Themen Bio und Nachhaltigkeit. Ein wichtiger Ansatzpunkt, hat doch die mit einem eher feuchten Klima gesegnete Region stets gegen eine Vielzahl an Rebkrankheiten mit Pestiziden kämpfen müssen – was ihr nicht allzu selten ein schlechtes Image eintrug, man denke nur an Valérie Murat und ihre Initiative »Alerte aux Toxiques!«, die gar gegen den Pestizid-Einsatz in der Region vor Gericht zog. Und auch Kommunikationsmanager Chateau gesteht ein: »Da haben wir als Weinregion die letzten 40 Jahre einen schlechten Job gemacht. Das ändert sich aber seit einiger Zeit.« Aufholen also im Bio-Schnellschritt heißt die Devise.
Und die Zahlen, die der Verband mit Freuden kommuniziert, sprechen eine eindeutige Sprache: 25.310 Hektar, mehr als ein Viertel also, sind Stand 2021 bio-zertifiziert oder in Umstellung, sogar 75 Prozent der Rebfläche inzwischen mit mindestens einem Umwelt-Zertifikat ausgezeichnet. Dass dazu auch das Label Haute Valeur Environmentale (HVE) zählt, das auch, aber nicht nur in Frankreich wegen der eher laschen Regularien zum Einsatz chemischer Pestizide in der Kritik steht, ist für die Organisation zweitrangig. »Wir sehen die Zertifikate nicht in Konkurrenz zueinander, sondern glauben, dass jeder Schritt in Richtung Umweltschutz ein guter und ein richtiger Schritt ist«, sagt Chateau.
Im Mittelpunkt der Kommunikationskampagne steht jedoch vor allem der biologische Weinbau. »Bordeaux wird grün« ist die Message. Das Bio aber nicht gleichzusetzen ist mit Nachhaltigkeit, das weiß man auch hier – und unternimmt erste Anstrengungen auch den ganzheitlichen Ansatz, der über den Weinberg hinausgeht, einzubeziehen. So wurde bereits 2020 das regions-eigene Label »Bordeaux Cultivons Demain« entwickelt, das auch soziale und ökonomische Aspekte berücksichtigt und den Austausch unter den Erzeugern fördern will, vom kleinen Weinbauern bis zur großen Genossenschaft. Ende 2023 sollen rund 200 Produzenten zertifiziert sein. Bis zum Jahr 2030 soll zudem der Ausstoß von Treibhausgasen der Region um 54 Prozent gegenüber 2007 reduziert werden – Stand heute sind es bereits 39 Prozent.
Neue Stile braucht das (Aus-)Land
Der »eher grüne, Tannin- und Säure-geprägte Stil mit Paprikanoten«, gibt Tobias Lassak zu bedenken, komme nicht mehr so gut an. »Bordeaux-Wein ist vor allem als Dinner-Begleitung bekannt«, ergänzt auch Brand- und Exportmanagerin Caroline Vigneron vom CIVB: »Wir müssen uns daher stärker auf die verschiedenen Genussmomente einstellen, und Bordeaux als Wein auch für weniger formelle Trink-Gelegenheiten etablieren.«
Für den deutschen Markt sieht sie große Chancen für Crémant, der in Bordeaux mit 91.000 produzierten Hektolitern zuletzt Rekordzahlen erreichte – eine Verdreifachung innerhalb der letzten zehn Jahre. Einen USP will man sich vor allem mit Rosé-Crémant schaffen, um den Hype der trendy Weinfarbe im Schaumweintrinker-Mekka Deutschland aufzugreifen.
Doch auch leichter verständliche Rotweine, Stichwort Easy-Drinking, stehen auf der Agenda: »Wir wollen«, fasst Vigneron zusammen, »neue Profile, neue Produzenten, neue Techniken anbieten«. Und da liefert Bordeaux in der Tat inzwischen ab, stellt auch Lassak fest: »Interesse und steigende Nachfrage sehen wir bei einem neuen Typ an Bordeauxweinen mit einer zugänglicheren Weinstilistik – und die gibt es!«
Passé ist bei vielen Produkten die klassische Bordeaux-Flasche, Vergangenheit das strenge Traditions-Etikett mit dem Abbild (irgend-)eines (Symbol-)Châteaus. Stattdessen buhlen bunte Labels um die Gunst der Verbraucher, witzige oder philosophische Weinnamen und Slogans brechen mit dem Klischee des altehrwürdigen Tropfens. Viele Weine werden »sans soufres ajouté« gefüllt, also ohne zugesetzten Schwefel, in Amphoren ausgebaut oder gar – ganz im Sinne der CO₂-Reduktion – in neuartigen Papierflaschen abgefüllt. Oder zumindest in Leichtglas: Hier hätten die Erzeuger größtenteils von der 600-Gramm-Flasche auf 440 Gramm umgestellt, heißt es. Viele Weine kommen jung auf den Markt, und räumen mit der oftmals verqueren Vorstellung auf, dass Bordeaux, zumindest die Einstiegsqualitäten, gereift sein müsse für den rechten Trinkgenuss.
»Auch wir sehen einen Rückgang beim Verbraucher in Frankreich und auf verschiedenen Auslandsmärkten«, berichtet Exportmanager Thomas Seguy von der größten Genossenschaft der Region, Tutiac, zu denen 550 Mitglieder gehören, die zusammen eine Fläche von 5.000 Hektar bewirtschaften. »Über die letzten Jahre haben wir daher unsere Produktionskapazitäten für Weißwein erhöht und intensiv an der Qualität unserer Roséweine gearbeitet – die sind heute ein wichtiges Asset für uns.« Zudem setzt man bei Tutiac auch verstärkt auf Crémant oder auf Piwis, die inzwischen in der Region bereits versuchsmäßig angebaut werden.
Sorten-Transparenz
Neue und alte Sorten in Anbau und Vermarktung sind das nächste Stichwort im Strategiepapier der Region. Wo der nicht-weinkundige Verbraucher beim Rebsorten-Mix bislang im Dunkeln tappte, wird der Flascheninhalt nun häufiger aktiv kommuniziert – nicht nur in kleiner Schrift auf dem Rückenetikett, sondern als Verkaufsargument groß auf der Vorderseite. Denn immer öfter landet nicht mehr nur der klassische Bordeaux-Blend mit dem bekannten Zwei- oder Dreiklang aus Cabernet Sauvignon, Cabernet Franc und Merlot in der Flasche. Zunehmend wird reinsortig ausgebaut und auch Petit Verdot und Malbec, eigentlich Klassiker der Region, doch beim Verbraucher kaum gesetzt, zeichnen ein Bild eines vielfältigeren Bordeaux.
Weitere Sortenvielfalt wird kommen: 2020 hat die Appellationsbehörde INAO, zunächst für Bordeaux und Bordeaux Supérieur die roten Sorten Marselan, Touriga Nacional, Castets und Arinarnoa zugelassen sowie Alvarinho, Petit Manseng und Liliorila für Weißweine. Natürlich dienen diese Sorten, die in heißeren Gegenden beheimatet sind, vor allem dazu die Region für den fortschreitenden Klimawandel mit immer wärmeren Temperaturen zu wappnen. Doch begrüßt man auch beim CIVB den Nebeneffekt, Bordeaux so in der Vermarktung breiter aufzustellen.
Viele der Probleme, die Bordeaux hat, sind nicht individuell, wie etwa die Überproduktion. Doch bei einer Fläche so groß wie die ganz Deutschlands ist die Herausforderung umso größer, sich auf wandelnde Marktbedingungen flexibel einzustellen. Die Dynamik, mit der die Region sich nun zukunftsfähig aufstellen will, gibt aber Grund für Optimismus. Alexandra Wrann
Die Piraten von der Gironde
Wein »abseits ausgetretener Pfade« wollen 30 Winzer aus dem Bordelais erzeugen und vermarkten. »Union des Vignerons Bordeaux Pirate« heißt ihr Zusammenschluss. Alle Mitglieder eint der Wunsch nach Anderssein, Innovation, Individualität. Das können alte Rebsorten sein, die wiederbelebt werden, ein anderes Packaging, ein besonders auffälliges Marketing – alles, was eben anders ist als das klassische Bordeaux – und sich auch oft außerhalb der AOP-Regularien bewegt.
2019 kam die Idee für das Projekt auf, damals noch als offene Facebook-Gruppe für den Austausch unter Gleichgesinnten – inzwischen hat die Gruppe mehr als 3.500 Mitglieder. 2020 folgte der erste öffentliche Auftritt als Gruppe bei der französischen Weinmesse Wine Paris.
Als »3. Weg« versteht man sich, erklärt Mit-Initiator Jean-Baptiste Duquesne zwischen dem Grand-Cru-Geschehen ganz oben an der Spitze und dem Einstieg, oftmals als Fassware vermarktete, eher technische Weine mit wenig Handschrift. Seit 2022 ist der Zusammenschluss ein eingetragener Verein.
Ganz ohne ein paar Regeln geht es aber nicht: Wer Mitglied werden möchte, zahlt eine jährlichen Beitrag von 200 (<10 ha) oder 400 Euro und muss mindestens einen seiner Weine einer Experten-Jury vorstellen. Es gibt zwei Stufen: »Bordeaux Pirate« für Bordeaux AOP-Weine und »Cuvée Pirate« für Vin de France. Zu An-, Ausbau und Vermarktung jedoch werden explizit keinerlei Vorschriften gemacht. Gerade die Offenheit für neue Herangehensweisen, so meint man, ermögliche maximale Innovationsfähigkeit.
Dieser Artikel erschien in WEINWIRTSCHAFT 11/2023. Hier geht es zum Shop, wo Sie die Ausgabe nachbestellen, oder ein Abo abschließen können..
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