Holt den Wein endlich aus der Leichenhalle raus!

Der Name Oliviero Toscani sagt Ihnen nichts? Sind Sie sicher? Ich werfe mal noch einen Namen in die Runde: Benneton. Jetzt bricht bei all jenen, die in den 1980er und 1990er Jahren mit offenen Augen und Ohren durch die Welt gezogen sind, eine Bilderflut los. Oliviero Toscani ist ein begnadeter Fotograf, ein provokanter Kreativer, ein erfolgreicher Pferdezüchter - und seit ein paar Jahren auch begesiteter Weingutsbesitzer.

Es war ein Paukenschlag für die Mode- und die Werbebranche gleichermaßen, als Toscani dem bis dato eher konservativ aufgetretenen Konzern Benetton den Slogan „United Colours of Benetton“ verpasste und ein subtiles Spiel mit Bildern und ganz viel Kopfkino begann. Nie zuvor hatte jemand mit Werbung dermaßen provoziert und wachgerüttelt: Die Blut verschmierte Armeehose und das T-Shirt eines in Bosnien getöteten Soldaten, ein sterbender Aidskranker im Kreis seiner Familie, ein Priester, der eine Nonne küsst, eine schwarze Frau, die einem weißen Baby die Brust gibt – die Liste der Werbemotive, die uns auch heute noch sofort beim Namen Benetton einfallen, ist lang. Es sind gewaltige Bilder und der kreative Kopf hinter den Werbekampagnen war Oliviero Toscani. Den Wahl-Toskaner aber auf Fotografie, Werbung oder gar nur Benetton zu reduzieren, wäre allerdings, wie zu behaupten, dass man aus Eiern nur Omelette machen könne.

Oliviero Toscani - Fotograf für Benetton

Geboren wurde Oliviero Toscani 1942 in Mailand, der Vater war Pressefotograf, die Mutter arbeitete in einer der zahlreichen Bekleidungsfirmen. Ein konventionelles, bürgerliches Leben, das stellte Toscani schon früh fest, konnte nicht sein Weg sein. Er ging nach Zürich und studierte Fotografie und Grafik an der Kunstgewerbeschule. Johannes Itten, der Begründer der Farbtypenlehre, war sein Lehrmeister. Ittens Prägung ist in Toscanis Werk bis heute klar erkennbar. Minimalistisch, aufgeräumt, zeitlos. „Bauhaus ist mir schon zu barock“ sagt Toscani selbst über sich. Er bereiste die Welt, lernte Sprachen und Kulturen kennen und hatte die bekanntesten Models und die größten Künstler seiner Zeit vor der Linse: Claudia Schiffer und Monica Bellucci, die Beatles und die Rolling Stones, Andy Warhol und Federico Fellini – Oliviero Toscani fotografierte sie alle.

Mal für die Vogue, die Elle oder auch für die von ihm geleitete Zeitschrift Colors, dem wohl innovativsten, grafisch radikalsten und absolut zeitlosen Magazin, das letztendlich nur daran scheiterte, dass Oliviero Toscani sich in einem Strudel der Verpflichtungen gefangen sah: „Als ich eines Morgens die Koordination der Urlaubsanträge auf dem Tisch hatte, war mir bewusst, dass es hier nicht weitergehen kann.“ Ein Urlaubsfan ist Toscani ohnehin nicht: „Woran erinnert man sich bei Michelangelo? An das, was er im Urlaub gemacht hat oder an das, was er erarbeitet hat? Am Strand ist er genauso verbrannt wie alle anderen Idioten, vielleicht sogar noch mehr, weil er so wenig Zeit für Urlaub hatte. Es ist Deine Arbeit, die Dich von anderen unterscheidet! Ich fahre nicht in Urlaub, ich lebe mein Leben.“

Auch mit dem Begriff Hobby kann er nichts anfangen: „Was ist ein Hobby“? Etwas, das ich lieber machen würde als meine tatsächliche Arbeit? Oder etwas, das ich nicht ganz so gewissenhaft wie meine Arbeit mache? Ich liebe meine Arbeit. Mein Hobby ist nur mein Leben.“ Schnell wurde Oliviero Toscani zum hochdotierten Fotografen – und selbst zum Star. Das ermöglichte ihm, sich seinen Jugendtraum zu erfüllen: ein Haus in der Toskana, an der Küste, unweit der Stelle, wo er viele Sommerferien mit einem Klassenkameraden verbracht hatte, dessen Eltern dort ein Ferienhaus besaßen.

Oliviero Toscani - Wein ist Lebensfreude und ein Genussmittel

Es entstand sein ganz privater Rückzugsort, das Gegenstück zum Leben im Flugzeug und in Hotelzimmern auf der ganzen Welt, sein Ruhepol. „Ich liebe die Toskana, das Licht, die Luft.“ Über die Jahre vergrößerte sich das Grundstück auf heute rund 120 Hektar, die sich Toscani mit seiner Familie, rund 60 Pferden und neun Hunden teilt. Außerdem wurzeln auf Toscanis Boden 6 000 Olivenbäume und seit 2003 auch Reben. Es war sein Nachbar Angelo Gaja, der ihn dazu brachte, Weinreben zu pflanzen. „Wenn Du es nicht machst, dann lass es mich bitte machen“ bat Gaja seinen Freund. Angelo Gaja war fasziniert von einer ganz besonderen Parzelle auf 450 Meter Höhe, einer absoluten Nische mit viel Sonne, viel Wind und sehr eisenhaltigen Böden. Während Angelo Gaja ein Team für das Weingutsprojekt zusammenstellte, begann Toscani seine Entdeckungstour durch die Weinbranche – und war entsetzt. Sein erster Besuch der Vinitaly, Italiens wichtigster Weinmesse, erinnere ihn an eine Antiquitätenmesse, so Toscani: „Alle wollen irgendwie aristokratisch erscheinen und haben keine eigenen Ideen.“

Aber es ist nicht nur das Etikettendesign, das ihn nachdenklich stimmt. Es ist auch die generelle Auseinandersetzung der Menschen mit Wein. „Ich finde es so traurig, wenn ich abends in einem Restaurant sitze und die Menschen mit ernster Miene in die Weingläser riechen und mit nachdenklich gerunzelter Stirn in den leeren Raum starren sehe. Ein kleiner Schluck, ein noch ernsterer Blick, und dann wird andächtig diskutiert. Was soll das? Sind wir hier auf einer Beerdigung? Ist Wein so etwas Ernstes, dass wir ihn nicht genießen dürfen? Holt den Wein endlich aus der Leichenhalle raus. Wein ist Lebensfreude und ein Genussmittel.“ Das Unglück beginnt laut Toscani schon mit der Ausstattung, die ihm viel zu antiquiert ist. „Was sollen all die Schlösser und diese pseudo- aristokratische Anmutung auf den Etiketten? Was sagt mir das über den Wein? Dass er teuer ist?“

Dementsprechend konträr ist dann auch die Ausstattung des „OT“, des bislang einzigen Weines von Oliviero Toscani. Ein Rotwein, drei verschiedene Etiketten, aber ganz minimalistisch: OT in Cyan, Magenta oder Gelb, eine Hommage an seinen Lehrmeister Johannes Itten. „Alle haben mir gesagt, dass Weinetiketten nicht blau sein dürften. Warum? Wer hat das festgelegt? Ich mag mein blaues Etikett besonders gerne.“ Auch auf die Frage, warum es überhaupt drei Etikettenfarben gibt, hat Toscani erwartungsgemäß die passende Antwort: „Ich habe drei Paar Schuhe, drei Hemden, drei Jeans, und trotzdem steckt doch immer der gleiche Fuß, der gleiche Oberkörper und die gleichen Beine darunter, oder nicht?“ In seinen Augen zeigt sich eine wunderbare Mischung aus Angriffslust, Spieltrieb und kreativem Nachdenken: „Der Wein hat drei Etiketten, weil ich möchte, dass er drei Etiketten hat. Ganz einfach.“ Der Inhalt ist in jedem Fall sehr gut. Und nicht nur das: die Cuvée aus Syrah, Cabernet Franc und Petit Verdot aus der exponierten Hügellage sowie etwas Teroldego aus einer Parzelle in der Ebene verbindet wunderbar Klasse und Finesse mit Trinkfluss. Letzteres Attribut ist Toscani besonders wichtig: „Ein guter Wein macht Spaß beim Trinken, animiert, regt zum Nachdenken und Diskutieren an.“ Und weil sich Wein laut Toscani erst in Gesellschaft richtig entfalten kann, trinkt er aus Prinzip nie alleine: „Wein ist wie Sex – es sei denn Du masturbierst.“

Wie schon in anderen Branchen wird Toscani auch in der Weinbranche deutliche Spuren hinterlassen, da bin ich mir nicht erst am Ende des Besuchs auf dem Weingut sicher. Denn OT ist nicht der nächste Wein eines Prominenten oder Stars, sondern die kompromisslose Umsetzung dessen, was Toscani von einem Wein erwartet. „Ich will Weine, die wie Mozarts Musik sind. Vielleicht technisch nicht so brillant wie Bach oder Wagner, dafür aber unvergleichlich fröhlich und animierend.“

Richard Grosche 

Credit: Ronny Kiaulehn Photogaphy

Ausgabe 03/2024

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