Weinhandlung? Weinbar? Restaurant? Eventfläche? Feinkosthandel? So richtig klar ist dies beim Betreten des Hamburger Vineyard in Eimsbüttel nicht. Und das ist auch gut so. Denn das Geschäft in der belebten und beliebten Osterstraße macht wie kein zweites deutlich, wie Diversifizierung auf allen Kanälen gelingen kann, und dabei jedem Standbein, von Flaschenverkauf über Gastronomie bis hin zum B2B-Business, die nötige Aufmerksamkeit – und auch Leidenschaft – zuteil wird.
Californication
Hinter dem vielschichtigen Konzept stecken Elke Berner und ihr Partner Alexander Bolognino de Orth. Berner entdeckte ihre Liebe zum Wein in Kalifornien – als Au-Pair kam sie dort 1993 an, hat sich dann, so beschreibt sie lachend »vom White Zinfandel hochgearbeitet« und sieben Jahre lang auf einem Weingut gearbeitet. Bolognino de Orth war lange als Food & Beverage-Manager beim Hamburger Musical »Buddy Holly« tätig, hat, passend zum Amerika-Thema des Stücks, viel kalifornischen Wein verkauft. Und dort lernt er auch Berner kennen – und lieben.

Als die Musik-Show an den Eventkonzern Stage Holding verkauft wird, nimmt Bolognino de Orth seinen Hut. Er und Berner wollen gemeinsam ins Weinhandelsgeschäft einsteigen und starten mit ihrem ersten Laden auf Hamburg St. Pauli durch. Vor rund elf Jahren beziehen sie dann den Standort in der Osterstraße. Der Name, englisch für Weinberg, lag beim doppelten Kalifornien-Background der beiden nahe. Als Zusatz ergänzten Berner und Bolognino de Orth um das Wort »Weinlager«. Damit sollte schon sprachlich der Grundstein gelegt werden für die Großhandels-Tätigkeit – aber auch architektonisch lag die Lager-Assoziation nahe: Das 700 Quadratmeter große Geschäft liegt in einem Hinterhof in einer alten Fabrikhalle. Mit einer Einrichtung in einem Mix aus Industrial Flair und Weinbau-Zubehör – hölzerne Weinkisten etwa und Fässer – wird der Lagerhallen-Eindruck optisch präsent untermauert.
Handel...
Im vorderen Teil regiert das klassische Weinhandlungs-Geschehen: In einer langen Regalreihe zur Linken werden die Weine präsentiert. Der Schwerpunkt liegt auf Deutschland mit ca. 65 Prozent Sortimentsanteil, der Rest kommt aus klassischen Weinherkünften in Europa. Übersee spielt indes nur eine untergeordnete Rolle – trotz der gemeinsamen Sunshine-State-Vergangenheit der Inhaber. Der Nachhaltigkeits-Aspekt ist ein Grund dafür. »Alle unsere Winzer arbeiten nachhaltig«, betont Elke Berner.

Nicht jeder muss dafür ein Zertifikat vorweisen. Vielmehr ist es den beiden wichtig, dass sie zu ihren Lieferanten ein Vertrauensverhältnis aufbauen, genau wissen, wie und wo der Wein wächst und produziert wird. Da spielen auch naturale Weine eine Rolle, so ist das Vineyard etwa der erste Norddeutschland-Vertreter des pfälzischen Shooting-Star-Weinguts Seckinger gewesen.
Zahlreiche Delikatessen aus der Region flankieren das Weinangebot – und natürlich sind die Artikel auch online erhältlich. Und: Ab 6 Flaschen liefert das Vineyard frei Haus.
... trifft Gastronomie
Gleichzeitig sollte das Geschäft auch immer Ort des Genusses selbst sein. So laden lange, massive Holztische und -bänke den Kunden ein, Platz zu nehmen, gegen ein Korkgeld von aktuell 11,90 Euro kann jeder Wein im Sortiment direkt vor Ort getrunken werden, dazu gibt es Snacks von Wurst und Käse bis Flammkuchen, der absolute Besteller und Kundenliebling.
So lief es lange. Durch die Corona-Pandemie haben die beiden umtriebigen Unternehmer ihr gastronomisches Konzept jedoch noch einmal auf den Kopf gestellt, das kulinarische Angebot auf die nächste Stufe gehoben. Ein junger Koch mit Erfahrung in der Sterne-Gastronomie zaubert nun raffinierte Gerichte. Ganz ohne Flammkuchen ging es aber nicht: »Das konnten wir genau eine Woche durchhalten, dann haben alle danach geschrien, und wir haben die Flammkuchen wieder auf die Karte gesetzt«, erzählt Berner und lacht.

Top-Personal
Das junge Team bringt viel (Wein-)Erfahrung aus der gehobenen Gastronomie mit – viele suchten während Corona nach einer neuen Aufgabe und fanden sie im Vineyard. Dabei gilt: maximale Rotation, heißt: jeder Mitarbeiter arbeitet auf jeder Position, von Verkauf, über Service bis zum Event-Geschäft. Das hat auch den Hintergrund, dass die beiden Inhaber nie eine »personenbezogene Gastronomie« führen wollten wie sie sagen, also dass Gäste nur wegen »ihres« Kellners oder Wirts kommen. Alle 22 Mitarbeiter sind top geschult, das Unternehmen bietet WSET-Weiterbildungen an, wöchentliche Schulungen frischen das Wissen immer wieder auf.
Das dritte Standbein sind die Events, die auch während Covid im Online-Format durchgezogen wurden. »Der Deckungsbeitrag war da natürlich sehr gut – aber ich vermisse es nicht und bin froh, die Leute wieder hier vor Ort zu haben«, erklärt Berner während sie durch den großen Veranstaltungsraum im hinteren Bereich des Ladens führt.
Der Großhandel steht für etwa 60 Prozent des Geschäftsmodells. Rund 200 Kunden, von »Sylt bis Bad Tölz«, profitieren inzwischen von vielen Service-Angeboten – von schneller Lieferung mit dem Vineyard-Mobil im Hamburger Raum bis zur Weinkarten-Beratung.
Brandbuilding
Einen weiteren USP schafft man sich über exklusive Angebote: Viele Winzer vertreten die beiden im Hamburger Raum exklusiv. Die eigene Marke wird gestärkt durch Kreationen wie etwa den Perlwein »Hambourg notre perle« oder kultige Produkte wie der Riesling »Glaube-Liebe-Hoffnung« vom Pfälzer Weingut Bergdolt-Reif & Nett.
Rund 3,5 Mill. Euro Umsatz erwirtschaftet das Vineyard mit seinem maximalen Diversifizierungs-Konzept. Die aktuellen Kostensteigerungen seien bei den Großen Gewächsen kaum ein Problem, da seien 2 Euro mehr vertretbar. Schwieriger werde es bei den »Brot-und-Butter-Weinen« oder im offenen Ausschank. 8 Euro seien so etwa die Schmerzgrenze des Gastes für ein Glas Schaumwein. Doch bei so viel unternehmerischer Kreativität ist es nur wahrscheinlich, dass das Vineyard-Team auch die aktuellen Herausforderungen meistern wird. Alexandra Wrann



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