Italien läuft Gefahr, die Ernte 2023 mit dem höchsten Lagerbestand der letzten 20 Jahre zu beginnen. In den letzten drei Jahren sind die Bestände bei gleichbleibender Produktion um 11 Prozent gestiegen.
Die Rückgänge der Verkäufe sowohl in Italien als auch auf den internationalen Hauptmärkten halten an. Man hatte gehofft, dass sich die Absätze im April verbessern würden, aber es bewegt sich nichts. Laut der jüngsten Bestandsaufnahme des Agrarministeriums lagerten zum 30. April 2023 mit 56,6 Mill. Hektoliter noch immer 5 Prozent mehr Weine als zum 30. April 2022, auch Ende März hatte der Überschuss auf 5 Prozent betragen.
Vor dem Hintergrund der akuten Überschüsse in den italienischen Kellereien haben sich die Vertreter der italienischen Branchenverbände zu einer Krisensitzung im Agrarministerium getroffen. »Die derzeitigen Lagerbestände und Marktschwierigkeiten belegen, dass die Krisensituation in einigen Weinbaugebieten anhält, vor allem im Bezug auf die Rotweine. Diese Situation besorgt die Branche vor allem, weil wir nur zwei Monate vor der nächsten Ernte stehen«, erklärt Luca Rigotti, der ranghöchste Genossenschaftler Italiens.
Rigotti, Koordinator des Weinbereichs im Dachverband der landwirtschaftlichen Kooperativen »Alleanza Cooperative« und Präsident der Gruppe Mezzacorona, fordert eine mittelfristige Strategie und die Anwendung marktregulierender Maßnahmen, um das Gleichgewicht zwischen Nachfrage und Angebot wieder herzustellen. Neben der Krisendestillation solle auch eine Neuregelung der Verteilung von Pflanzrechten in Erwägung gezogen werden, die verkaufsstarke Herkünfte bevorteilt und Ladenhüter aussetzt.
Die schnellste Lösung wäre die Krisendestillation wie in Frankreich und in Spanien. Darüber sind sich die Interessenvertreter einig, aber die Finanzierung wirft Fragen auf. Der Produzentenverband Unione Italiana Vini (UIV) spricht sich gegen die Umleitung von Mitteln aus, die bereits für Absatzförderung und Investitionen gebunden sind. »Die UIV ist sich zwar der besonderen Schwierigkeiten des Sektors bewusst – und hat sie weitgehend vorhergesehen –, ist aber der Meinung, dass die Puffermaßnahme den Sektor nicht bestrafen darf, indem strategische Mittel für sein Wachstum abgezogen werden. Wenn es in bestimmten Gebieten des Landes notwendig wird, sollte die Maßnahme der Destillation stattdessen auf ad hoc zugewiesene regionale Mittel zurückgreifen können«, heißt es in einer Stellungnahme.
Die Destillation sei in jedem Fall nur eine vorübergehende Lösung für die strukturellen Schwachstellen des Sektors. Man solle die Diskussion nutzen, um sich kritisch mit Dynamiken wie der Überproduktion auseinanderzusetzen, die auch zu Verzerrungen bei der Vergütung der Lieferkette führten.
Die Verkäufe im nationalen LEH haben im 1. Quartal 2023 erneut nachgegeben. Die Menge sank um 6,1 Prozent, der Wert stieg inflationsbedingt um 2 Prozent. Am schlimmsten trifft es die DOC-Rotweine mit einem Minus von 10,5 Prozent. Gestiegen ist lediglich die Typologie Spumante low cost mit einem Durchschnittspreis von 4,47 Euro pro Liter UVP. Selbst der Prosecco spürt Gegenwind mit einem Absatzverlust von 2,8 Prozent. Im Ausland ist die Lage kaum besser.
Der Handel auf den drei Hauptexportmärkten USA, Deutschland und Großbritannien verzeichnet laut der Erhebungen von NielsenIQ einen Mengenverlust von insgesamt 4 Prozent, der Wert sank um ein Prozent.
Diesmal sind die Schaumweine stärker betroffen als die Stillweine: Gegenüber einer Kontraktion von 3 Prozent bei den Stillweinen, gab das Segment Sparkling um 5 Prozent nach. Vor allem in Großbritannien (–10%) und in Deutschland (–6%) wurden rote Zahlen geschrieben. Die USA halten ihren perlenden Konsum (+1%), sind jedoch bei den Stillweinen um 9 Prozent abgesackt, in Großbritannien hält sich der Schaden begrenzt (–1%) und Deutschland hält die Menge.
Laut der Erhebungen ist hierzulande der Wechsel zu alternativen und günstigeren Weine spürbar, vor allem bei italienischen und deutschen Sekten oder der Wechsel von Chianti Classico zu Chianti. Unter den wenigen Ausnahmen wird der Primitivo genannt, der sowohl im Preis als auch im Absatz gestiegen ist.
In den USA geht der Negativ-Trend quer durch die stärksten Herkünfte Italiens, vom Pinot Grigio über piemontesische und toskanische Rotweine bis zum Lambrusco. In Großbritannien befinden sich die Weine auf Basis von Sangiovese im Sinkflug, auch die Handelsmarken von Pinot Grigio, die inzwischen teurer geworden sind als die Eigenmarken der Kellereien. Auch der Prosecco verliert, nur der Prosecco Rosé hält die vergleichsweise geringe Menge.
Der Negativtrend im 1. Quartal 2023 steht den damals noch guten Zahlen in der Vorjahresperiode gegenüber. Auch im Gesamtjahr 2022 waren bereits rückläufige Absatzzahlen auf den drei Hauptmärkten zu verzeichnen.
Für die italienische Weinbranche ist die Krisendestillation eine bittere Pille, die sie eigentlich nicht mehr schlucken wollte, fast eine Demütigung. Aber der Sektor hatte sich auch immer Hintertürchen offen gehalten, um tiefgreifende Strukturänderungen und eine rigorose Mengenkontrolle zu umgehen. Das ist lange gut gegangen. Nun muss Italien über einen Mix von massiver Promotion und marktregulierenden Maßnahmen versuchen, den veränderten, zunehmend komplexen Marktbedingungen die Stirn zu bieten und die Werte zu sichern. VC