Michael Bode-Böckenhauer (l.) und Alexander Marschall mit WW-Redakteurin Iris Trenkner-Panwitz bei der Verleihung des WEINWIRTSCHAFT Weinhändler des Jahres Preises (Foto: Ralf Ziegler AD LUMINA)
Michael Bode-Böckenhauer (l.) und Alexander Marschall mit WW-Redakteurin Iris Trenkner-Panwitz bei der Verleihung des WEINWIRTSCHAFT Weinhändler des Jahres Preises (Foto: Ralf Ziegler AD LUMINA)

Genussvoll nachhaltig

Darmstadt Hauptbahnhof: Wer hier ankommt kann sich glücklich schätzen, denn – direkt auf dem Bahnhofsvorplatz erwartet einen ein ebenso außergewöhnlicher wie empfehlenswerter Weinfachhandel: vinocentral. Das Geschäft liegt in dem ehemaligen, denkmalgeschützten und schönen Bahnhofshotel. »Direkt auf dem Bahnhofsplatz« ist wörtlich zu nehmen, denn hier fährt sogar die Straßenbahn mitten durch die Außenfläche der Gastronomie!

Zentraler gehts in Darmstadt nicht. Vinocentral liegt direkt am Hauptbahnhof im ehemaligen Bahnhofshotel (Foto: Iris Trenkner-Panwitz)
Zentraler gehts in Darmstadt nicht. Vinocentral liegt direkt am Hauptbahnhof im ehemaligen Bahnhofshotel (Foto: Iris Trenkner-Panwitz)

Was heute ein breit aufgestellter Fachhandel ist, fing zunächst italienisch an. 1993 eröffneten die beiden Inhaber und Geschäftsführer Michael Bode-Böckenhauer und Alexander Marschall ein Geschäft für den Vertrieb italienischer Kaffeemaschinen und Spezialitäten, darunter – natürlich – auch Wein. Im Laufe der Zeit hat sich daraus ein weit über die Stadtgrenzen hinaus bekannter Weinfachhandel entwickelt, bzw. ein konvivialer Genusstempel, denn: Neben einem exquisiten Weinsortiment gibt es hier auch eine eigene Kaffeerösterei und allerbeste Feinkost.

Kleine Speisen, Tagessuppen, belegte Panini, Antipasti, Trüffel, Schinken, Käse und vieles mehr konkurrieren hier miteinander um die Gunst der Kunden – alles to go oder to stay. Mit seinen kundenfreundlichen Öffnungszeiten, wochentags von 8 bis 22 Uhr und samstags ab 10 Uhr, ist es von morgens bis abends ein absoluter Place to be, wo die Kunden in Stoßzeiten Schlange stehen. 

Allein 40 ihrer Weine gibt es im offenen Ausschank, eine gute Gelegenheit für eine Entdeckungstour. Gegen einen Aufpreis von 15 Euro können alle Flaschen aus dem Sortiment auch vor Ort genossen werden.

Europäisch

Die Auswahl ist groß. Rund 1.600 Weine und Schaumweine gehören zum Sortiment, mittlerweile überwiegend aus Deutschland, gefolgt von Frankreich, Italien und Österreich. Sie setzen auf Europa, denn: »Hier ist doch eigentlich alles an Weinen abgedeckt, und es gibt noch so viel zu entdecken«, begeistern sich Alexander Marschall und Lasse Böckenhauer, der mittlerweile in den elterlichen Betrieb mit eingestiegen ist, »da braucht man keine Weine aus Übersee teuer zu importieren.« Außerdem passe dies auch nicht zu ihrer Überzeugung für Nachhaltigkeit. Und so wundert es auch nicht, dass es bei vinocentral u.a. 44 Weine aus Osteuropa gibt sowie 39 aus Portugal und 31 Weine aus Griechenland. 

Ihr Sortiment ist handverlesen selektiert, »von der Stange« gibt es hier nur wenig und auch nur, wenn die Weine die Inhaber wirklich überzeugen. Ihre Auswahl hat nur ein einziges Motto, wie Marschall unterstreicht: »Bei uns entscheidet immer die Qualität und nicht so sehr, was gerade angesagt ist. Wir sind hier gern eher missionarisch tätig«.

Das ist, neben Umweltaspekten, auch mit ein Grund, warum sie immer mehr Bioweine im Sortiment führen. »Sie haben bei unseren Blindverkostungen gegenüber vielen konventionell hergestellten Weinen meistens besser abgeschnitten«, erklärt Marschall. Das fünfköpfige Weinteam des Hauses hat Ansprüche an einen guten Wein und auch viel Pioniergeist. »Ein Wein sollte seine Herkunft, seine Tradition und seinen regionaltypischen Charakter widerspiegeln«, so die Kriterien. Sie sind neugierig auf Neues, dafür sind sie immer wieder auf kleineren Messen unterwegs und bei Winzern vor Ort. Die großen Messen spielen für sie eine untergeordnete Rolle. Schon lange kämen die Produzenten aber auch auf sie zu, was sie freut und in ihrer Arbeit bestätigt.

Bestätigung erhalten sie auch von Kundenseite, die für die ausgesuchten Weine auch gern den entsprechenden Wert bezahlen. Den größten Absatz verbucht vinocentral im gehobenen Preissegment zwischen 7 und 29,99 Euro pro Flasche. Das Einzugsgebiet geht mit einem Radius von 150 Kilometern weit über Darmstadt hinaus, wovon der Versandhandel 46 Prozent ausmacht, das Ladengeschäft 29 und etwa 24 Prozent die Gastronomie. 

Die Schatzkammer

Auch die junge Generation um Lasse Böckenhauer setzt bei der Auswahl der Weine auf neue Impulse. Er schwört auf Charakterweine, »die junge Schiene«, aber auch auf klassische Weine des gehobenen Segments. Sein Steckenpferd ist die vinocentral-Schatzkammer, eine Auswahl an Raritäten: Gereifte Weine, Auktionsweine und Weinikonen, die im Handel nur schwer zu finden sind. »Dafür brenne ich«, so Böckenhauer. »Alle Wein-Raritäten sind nur für den Genuss vor Ort bestimmt und zu einem sehr fairen Preis«, wie er sagt. Mit viel Gespür sorgt er dafür, dass die Schatzkammer nie leer ist. 
 

»Alle Wein-Raritäten sind nur für den Genuss vor Ort bestimmt und zu einem sehr fairen Preis« 

Die in Geisenheim studierte Kollegin und Weinfachberaterin Glunhye Yook trägt zum »freakigen« Part bei vinocentral bei, wie die Betreiber erzählen. »So naturnah wie möglich«, ist ihr Motto. Auch das sorgt bei vinocentral für frischen Wind und eine interessante Bandbreite des Sortiments.

Am Puls der Zeit

In dem historischen Gebäude steht die Zeit nie still. Die Zeit der Corona-Pause in der Gastronomie haben die Inhaber dafür genutzt, ihre Ladenfläche noch einmal neu zu gestalten. Helle schöne Holzregale, breitere Gänge und die Verlegung der Gastronomie-Tische in die Randzonen der Räumlichkeiten generieren den neuen »Abstand« und geben den Weinkunden mehr Platz für ausgiebiges Stöbern. 

Viele modernste digitale Tools wurden eingeführt und unterstützen die Kunden bei Informationen zu den Weinen und Winzern, Bestellvorgängen und Bezahlungen am Tisch und in der eigenen Lagerlogistik. Mit einer Kundenkarte kann man alle Käufe an Bar, Restaurant oder Frischtheke tätigen und bezahlt erst vor dem Verlassen des Geschäfts. Im Folgejahr wird dem Kunden außerdem ein Bonus von 3 Prozent des verbuchten Jahresumsatzes gutgeschrieben. Mittlerweile nutzten 13.000 Kunden diesen Vorteil. Bei allen digitalen Tools: die persönliche Beratung bleibe dennoch oberste Maxime. 

Mit Esprit und Nachhaltigkeit

Das Team besteht aus 40 Mitarbeitern, wovon fast die Hälfte in Vollzeit arbeitet. »Unterschiedliche Charaktere, Professionen, Nationalitäten und Altersklassen machen die Seele und Dynamik unseres Betriebs aus«, bekräftigen die Geschäftsführer. Mit zum Team gehören auch zwei junge Menschen mit Beeinträchtigung, die voll in die täglichen Aufgaben integriert sind. Man spürt diesen Esprit-Mix, wenn man vinocentral betritt und auch die familiäre Atmosphäre und die Freude an der Arbeit. 
 

Mit dem klimaneutralen Lastenfahrrad versorgt vinocentral seine Kunden im Stadtbereich und beliefert auch sein eigenes Ladengeschäft mit Nachschub (Foto: vinocentral)
Mit dem klimaneutralen Lastenfahrrad versorgt vinocentral seine Kunden im Stadtbereich und beliefert auch sein eigenes Ladengeschäft mit Nachschub (Foto: vinocentral)

Besonders beeindruckt hat uns als Redaktion das Nachhaltigkeitskonzept, das bei vinocentral gelebte Überzeugung und Praxis ist und wofür die WEINWIRTSCHAFT sie nach 2017 zum 2. Mal mit dem Preis als »Weinhändler des Jahres« verdient auszeichnet.

Neben dem Voranbringen der bio-, biodynamisch und nachhaltig erzeugten Weine aus Europa nutzen sie als externes Weinlager die Kellerräume einer ehemaligen Schokoladenfabrik, die ganzjährig weder beheizt noch gekühlt werden müssen; im Laden steht nur gefiltertes Leitungswasser auf der Karte – und dann ist da noch das Lastenfahrrad.

Mit diesem klimaneutralen Fahrrad versorgen sie nicht nur ihr Ladengeschäft, sie beliefern auch, in Zusammenarbeit mit Studenten der Universität, ihre Kunden im Stadtbereich. Im Lager werden eigens maßgeschneiderte Container gepackt und per Lastenzug über eine Schiene aufs Fahrrad gebracht. 

Was will man mehr? Der Fachhandel ist ein Weinparadies, zukunftsorientiert und nachhaltig. Es fehlt eigentlich nichts – bis auf ein Ladenschild. Aber das ist nicht schlimm, denn: Wer Qualität sucht, der wird vinocentral finden. Iris Trenkner-Panwitz

Ausgabe 8/2024

Themen der Ausgabe

Württemberg

Die Bewirtschaftung zu teuer, die Bestockung sehr rot – die Weingärten im Ländle stehen vor Veränderungen.

Christof Queisser

Der Vorsitzende der Geschäftsführung von Rotkäppchen-Mumm im Interview.

Sommerwein

Wenn die Sonne scheint, muss es nicht immer weiß sein – wann Rotwein auch im Sommer passt.