Clemens Gerke, Chefredakteur WEINWIRTSCHAFT
Clemens Gerke, Chefredakteur WEINWIRTSCHAFT

Der perfekte Sturm?

Die aktuellen Weinmarktzahlen geben Grund zu Besorgnis und lassen sich nur bedingt schönreden, auch wenn eine gewisse Skepsis angebracht ist. Um 10 Prozent soll der deutsche Weinmarkt 2022 geschrumpft sein. Aufgrund von Preiserhöhungen fällt das Minus im Wert niedriger aus. Während Nielsen auf einen Umsatzrückgang von 6,5 Prozent kommt, sieht IRI einen Umsatzrückgang von 6,3 Prozent – Zahlen, die eng beieinanderliegen.

Allerdings gibt es einen gravierenden Unterschied zwischen den beiden Ergebnissen. IRI bezieht sich ausschließlich auf den LEH und erkennt einen Mengenrückgang von 9,6 Prozent, während Nielsen den Gesamtmarkt beleuchtet. Jedoch berücksichtigen auch die Nielsen-Zahlen nicht die Gastronomie, die 2022 ohne Frage angezogen hat, was die Zahlen in ein etwas anderes Licht rückt.

Brach der Weinkonsum Ende 2022 ein?

Wie ist also die Entwicklung des gesamten Weinmarkts? Für den Weinkonsum wurde vor wenigen Wochen ein Rückgang von 4 Prozent verkündet. Aber zwischen 4 und 10 Prozent liegen noch einmal Welten. Allerdings beleuchtet der Weinkonsum nur den Zeitraum von 1. August 2021 bis 31. Juli 2022. Die fünf Monate, in denen die monetären Auswirkungen der Krise sich am stärksten auswirken, fehlen also.

Um in diesen fünf Monaten ein Gesamtjahresminus von 10 Prozent zu erreichen, hätte der Weinmarkt aber noch viel drastischer einbrechen müssen. Geht man der Einfachheit halber davon aus, dass der Absatz in diesen normalerweise absatzstarken fünf Monaten so hoch wäre wie in den 7 Monaten zuvor, hätte der Rückgang in den letzten fünf Monaten bei 16 Prozent liegen müssen.

Unternehmen nicht so negativ gestimmt

Schon 10 Prozent sind eine Marke, die keineswegs unbemerkt bleibt, bei 16 Prozent Rückgang im Weihnachtsgeschäft wäre ein Riesen-Aufschrei zu hören, der so nur bedingt festzustellen ist. Hinzu kommt, dass Nielsen ausweist, dass der Rückgang für deutsche Weine mit 14 Prozent im Gesamtjahr besonders stark ist. Die größeren Vermarkter beurteilten das Weihnachtsgeschäft dagegen als unspektakulär ohne große Verluste oder Gewinne.

Betreiben sie Schönfarberei? Vielleicht ein bisschen, doch ihre Einschätzung passt zu der allgemeinen Stimmung, als absehbar wurde, dass Gas- und Stromversorgung diesen Winter standhalten würden und dass es Entlastungspakete gibt. Auch die Zahlen großer Unternehmen widersprechen dem Ergebnis. Rotkäppchen-Mumm verkündete für das abgelaufene Jahr Wachstum. Die Hawesko Holding sieht einen Umsatzrückgang von weniger als 2 Prozent. Reh Kendermann hatte bei der Präsentation seiner Jahreszahlen bis Juni 2022 Ergebnisse vorzuweisen, die kongruent mit den Daten des Weinkonsums waren und erklärte, dass das Kalenderjahr 2022 besser lief als das Geschäftsjahr, also ohne Einbruch im letzten Halbjahr. Zudem sei der Rückgang im LEH-Geschäft zu erwarten gewesen, weil die Gastronomie wieder geöffnet gewesen sei.

Stabiler Fassweinmarkt

Was mich am meisten an der Aussagekraft der Zahlen zweifeln lässt, ist die Entwicklung des Fassweinmarkts, der viel volatiler als der Gesamtmarkt ist. Angesichts einer größeren Ernte 2022 und eines in der Menge zurückgegangenen Exports müsste ein Rückgang des Absatzes deutscher Weine um 14 Prozent für massive Veränderungen sorgen. Das gilt umso mehr, als nach einer normalen Ernte auch badische und württembergische Weine wieder mit rheinland-pfälzischen um Regalplätze kämpfen.

Doch von einem solchen Druck ist nichts zu spüren. Die Nachfrage ist ungebrochen gut und die Preise stabil. Für Dornfelder werden Erlöse erzielt, die nach den preislichen Übertreibungen nach der Mini-Ernte 2010 unerreichbar schienen. Die Kellereien scheinen sich also sicher zu sein, den Wein zu brauchen, um die mit dem Lebensmittelhandel vereinbarten Kontrakte zu erfüllen.

Neuorientierung gefordert

Doch auch wenn ich in meiner Skepsis richtig liege und die Marktforschung den Rückgang überzeichnet oder die Gastronomie den Rückgang kompensiert, ist das kein Grund zur Freude. Schließlich wird deutlich, dass es den Weinerzeugern nicht gelungen ist, die entstandenen Mehrkosten vom Konsumenten bezahlen zu lassen. Viele Betriebe hatten schon vor Beschaffungskrise und Inflation knapp kalkuliert. Jetzt geht es noch mehr ans Eingemachte.

Schön ist die Lage also bei weitem nicht. Die Konsolidierung der Weinwirtschaft wird sich durch die Krise beschleunigen. So viel steht fest. Sollten die Marktforschungsinstitute die Schwere doch richtig einschätzen, wären die Zutaten für einen perfekten Sturm gelegt, der einen radikalen Umbruch in den nächsten zwei Jahren bewirken könnte.

Auch das ist noch nicht zu spüren. Dennoch ist die Lage so ernst, dass jeder Betrieb sich hinterfragen sollte. Der Geisenheimer Praxistag zur ökonomischen Nachhaltigkeit von Weingütern in der Krise hat noch einmal deutlich aufgezeigt, wie sehr die gestiegenen Kosten die Unternehmen belasten. Wer bisher mit einem »Weiter wie gehabt« über die Runden gekommen ist, sollte sicher sein, dass das kein tragbares Konzept für die Zukunft ist.

Dabei kann es durchaus auch eine Lösung sein, sich künftig auf den Weinbau zu konzentrieren und ausschließlich Trauben zu vermarkten und so Kostenexplosionen im Keller zu vermeiden. Mischkonzepte mögen den Vorteil der Risikostreuung haben, doch kostenseitig sind sie fast immer mit Einbußen verbunden. Je größer ein Unternehmen ist, desto sinnvoll kann es sein, viele Bereiche abzudecken, für kleinere Betriebe taugt die Spezialisierung nicht nur zur Profilierung.

Egal welche Strategie man für sich findet, wichtig ist es sich auf eine zu festzulegen, die zu den eigenen Stärken passt. Denn auch wenn der perfekte Sturm ausbleibt, dürfte das Wetter in den nächsten Monaten dennoch so ungemütlich werden, dass man sich dafür richtig kleiden muss. Clemens Gerke

 
 

Ausgabe 8/2024

Themen der Ausgabe

Württemberg

Die Bewirtschaftung zu teuer, die Bestockung sehr rot – die Weingärten im Ländle stehen vor Veränderungen.

Christof Queisser

Der Vorsitzende der Geschäftsführung von Rotkäppchen-Mumm im Interview.

Sommerwein

Wenn die Sonne scheint, muss es nicht immer weiß sein – wann Rotwein auch im Sommer passt.