Mehr Spaß. Mehr Wein erleben

Martin Kössler

Wein soll Spaß machen. Warum grenzen wir dann jene, die nicht so selbstverständlich im Wein unterwegs sind wie wir, mittels Wein-Geheimsprache und Jahrgangsprotz aus? Warum mystifizieren wir Geschmack, statt ihn zu erläutern? Warum tun wir so, als müßte man Länder, Regionen, Lagen und Jahrgänge in- und auswendig kennen, um Wein genießen zu können? Warum verstecken wir uns hinter Brimborium, statt für Qualität im Wein zu begeistern? Viel zu lange sind Handel und Gastronomie den einschlägigen Punkteverkäufern gefolgt. Deshalb fehlt ihnen heute die Kompetenz zum eigenen Profil und das Wissen zu vermitteln, warum Wein so schmeckt wie er schmeckt.

Der Wein von heute ist anders als er gestern war. Vielfältig in Stil und Qualität wie vermutlich noch nie in seiner Geschichte, auch dank Bio und Biodynamik; in der Machart so unterschiedlich, daß er Konventionen sprengt; in der Technik so entwickelt, daß seine Uniformität langweilt, auf der anderen Seite aber auch so „natürlich“ und naturbelassen, daß wir ihn für fehlerhaft halten, weil er unsere Konventionen als zu eng entlarvt.

Radikal diversifiziert sich auch der Weinmarkt. Auf die Globalisierung folgt die Individualisierung. Vergessene Rebsorten, unbekannte Appellationen und traditionell handwerkliche Herstellungsverfahren werden wichtiger als Status und Renommee großer Namen. Was gestern als „groß“ galt, finden wir heute normal, morgen vermutlich banal. Paradigmenwechsel. Wein darf wieder Charakter haben.

Noch findet das kaum Niederschlag in Gastronomie und Handel. Originelle Weinkonzepte sind und bleiben, hier wie dort, die Ausnahme. Statt dessen überlassen wir es der fröhlich ungenierten Natur- und Orange-Wein-Bewegung, jung und alt für Wein zu begeistern, der keine „Gesetze“ kennt, keine Grenzen, keine bornierten Attitüden. Erst wenn der Sommelier/die Sommelière den Gast für den Unterschied zwischen Wein vom Rübenacker und von der Steillage zu begeistern verstehen, wenn sie dessen Lust auf Geschmack schüren und Wein zum Erlebnis machen können, wird hierzulande nicht mehr am Ziel vorbei ausgebildet. Dass einige der besten Sommeliers der Welt keine entsprechende Ausbildung absolviert haben, sollte zu denken geben.

Martin Kössler
 
Weinfachhändler und Querdenker der Szene
K & U Die Weinhalle, Nürnberg
 

01-24

Themen der Ausgabe

PANORAMA

Wie schmeckt die Zukunft Frankens?

PROFILE

Bibraud - kreativ und innovativ in Ulm

PROBE

Bairrada und Dão - Portugals feinste Rote