Klassisch

Sebastian BordthäuserIch sitze mit einem Freund in Hamburg beim Lunch und wir bestellen Labskaus. Wo sonst sollte man diese norddeutsche Spezialität essen, wenn nicht in einem traditionellen Sternehaus mit verlässlicher Küche, Stilsicherheit und Präzision.
 
„Ist das herrlich, Nouvelle Cuisine, wie vor 25 Jahren“, meint mein Kumpel als die Teller eingesetzt werden. Ich stimme zu und freue mich über diesen mittäglichen Anachronismus. Damals hatte das Kind wenigstens noch einen Namen, denke ich und es formuliert sich zunächst in mir, dann laut, die Frage: „Woran werden wir in 20 Jahren zurückdenken?“
 
Die Frage schien einfach, aber beim Verzehr des Labskaus entblätterte sich eine lange Diskussion: Was zeichnet Gastronomie heute aus? Nicht die Frage nach Trends oder der Zukunft der Gastronomie, sondern ganz blank die Frage: Wo steht die deutsche Hochküche heute? Man kann in wenigen Ländern hochklassiger und dabei günstiger essen als in Deutschland. Woran liegt es, dass Deutschland im Ausland jedoch immer noch über Autos wahrgenommen wird, statt über Küche? Gäste aus dem Ausland gehen lieber in die Brauhäuser, verputzen Schweinshaxen und trinken Bier, wie letztlich sogar Anthony Bourdain in Köln.
 
Ich spreche mich davon nicht frei, im Ausland landestypische Kost essen zu wollen, oft ist dieser Wunsch sogar alleiniger Reisegegenstand. Warum ist Bourdain, nehmen wir ihn exemplarisch, nicht in ein Sternerestaurant gegangen? Warum interessiert es offensichtlich keinen?
 
Liegt es an der Austauschbarkeit des Inhalts? Dass sich Hochküche zu oft immer noch über die Hochpreisigkeit der Produkte definiert? Oder ist es der Blick auf den Nachbarn Frankreich, ohne den das deutsche Küchenwunder niemals stattgefunden hätte? Fakt scheint zu sein, dass neben der Aneignung der Techniken des Kochens keine einheitliche Identität entwickelt wurde. Vor der Schwarzwaldstube steht: „Franz. Restaurant.“ Der berühmteste Koch Deutschlands kocht folglich französische Küche.
 
Restaurants klagen über Gästemangel, Touristen wollen lieber Folklore-Food statt feiner Küche, seien es Haxen, Kölsche Blutwurst oder eben Labskaus. Deutsche Küche, eine regionale Arme- Leute-Küche, könnte man natürlich 2.0 pimpen. Spektakulär ist noch immer Nils Henkels Upgrade des norddeutschen Klassikers Birne, Bohne und Speck. Ob dieses Gericht die Gästezahlen hat in die Höhe schnellen lassen, weil ein Klassiker hochkulturelle Adelung erlebte, bleibt zu bezweifeln. Ich sehe es eher so, dass es in Deutschland keine gastronomische Hochkultur gibt. Letztens traf ich David Gelb, den Regisseur von Chefs Table, und fragte ihn, was seine Sicht auf Deutsche Küche sei. „German Chefs are very fleissig and very ernst“, sagte er und teilte freudig mit, dass in der vierten Staffel auch ein Deutscher Koch dabei sei – Tim Raue. Davon, was deutsche Küche ausmacht, hatte er einfach keine Idee. Es gibt anscheinend keine Merkmale, die als identitätsstiftend im Ausland wahrgenommen werden, anders kann man dieses Phänomen nicht erklären.
 
Der Schrei nach dem Staate wird an dieser Stelle oft laut, die Regierenden sollten statt Eintopf oder Currywurst besser die gastronomische Hochkultur unterstützen. Andererseits bezweifle ich, dass man es einfach staatlich verordnen kann, sofern keine Inhalte definiert sind, wofür deutsche Küche in der Spitzengastronomie steht. Antworten auf diese Fragen haben wir auch nach der dritten Flasche Burgunder nicht gefunden. 
 

01-24

Themen der Ausgabe

PANORAMA

Wie schmeckt die Zukunft Frankens?

PROFILE

Bibraud - kreativ und innovativ in Ulm

PROBE

Bairrada und Dão - Portugals feinste Rote