Vor ein paar Wochen hatte ich zwei Erlebnisse, die mir deutlich zeigten: Die Weinbeschreibungen von Kritikern und sonstigen Profis hängen immer noch viel zu sehr in ihrer eigenen Bubble fest. Mit einer guten Freundin öffnete ich zwei unterschiedliche Flaschen: einmal hochpreisigen Rotwein aus dem Priorat, einmal ziemlich wilden Pét Nat von der Mosel, mit ähnlich knalliger Farbe wie jenes Exemplar, das ich hier auf dem Bild inspiziere. Mit einer etwas größeren Runde gab es dann unter anderem je eine Pulle Winzerchampagner, Prestige-Cuvée (aus einem größeren Champagner-Haus) und traditionellen Flaschengärsekt aus Deutschland. Sämtliche Mittrinker sind Wein- und Genuss-affin, sie kommen aber nicht ständig und nicht beruflich mit dem Thema in Kontakt. Das Bemerkenswerte: Alle haben sofort registriert, wie unterschiedlich die Schaumweine in Sachen Duft und Geschmack waren. Ich hatte mich erst mal bewusst mit Hintergrundinfos zu Rebsorten, Erzeuger, Malo oder Hefelager zurückgehalten, und dennoch trafen viele der Beobachtungen die Sache recht gut. So fanden alle, dass der am längsten auf der Hefe gereifte Schaumwein irgendwie am dichtesten und harmonischsten war, tatsächlich fiel auch das Attribut „salzig“. Beim Schäumer ohne BSA fiel der Runde die säurebetontere Art und das Mehr an Zitrusfrucht ebenfalls beeindruckend gut auf. Aber nach den ersten Beschreibungen wurde es schnell ruhig.
„Mir fehlen die Adjektive, und was mir noch so in den Kopf kommt, ist sicher alles Quatsch“, sagte eine Mittrinkerin. Wir tasteten uns dann Schluck für Schluck etwas ran und mit den entsprechenden Infos, wie der jeweilige Schaumwein entstanden ist, hatte sie die Adjektive wie von selbst parat. Viel Hefe- und Holzfasseinfluss? Klar, natürlich duftet das nach Bäckerei, Buttercroissant, Nuss-Nougat, dem Mandelmus aus dem Bioladen und den Apfelringen, die man schon mal selber getrocknet hat. Reinsortiger Chardonnay? Ja, das wirkt irgendwie weißfruchtiger als Champagner aus Pinot Noir, der trotz fast identisch heller Farbe nach roten Beeren duftet. Mir haben diese Abende einmal mehr gezeigt: Wein und seine Beschreibung braucht nicht in erster Linie ein riesiges Vokabular und Fachbegriffe, sondern viel, ja sogar sehr viel von etwas anderem: Kontext. Eric Asimov, ein von mir sehr geschätzter Journalist und Weinkritiker für die New York Times, hat das vor nicht allzu langer Zeit unter der Headline „It’s Time to Rethink Wine Criticism“ so formuliert: „One of the core goals of any good wine writer should be to give consumers the tools to educate themselves.“
Diese Tools liefert man Asimov zufolge am besten durch Wissenstransfer. Möglichst viele und detaillierte Hintergründe der Produktion erklären, Kontext herstellen und dadurch den Lesern und Weinfans die Chance geben, ihre eigenen Meinungen, Präferenzen, Kaufentscheidungen und im Idealfall ihr eigenes Vokabular zu entwickeln. Gerade angesichts der heutigen, nie dagewesenen Vielfalt mit Naturwein, Pét Nat, Orange Wines, Piwis & Co., ist das wichtiger als je zuvor. Denn die erschmeckt jeder auf seine eigene Art und Weise. „I believe that the most valuable thing wine writers can do is to help consumers develop confidence enough to think for themselves“, bringt Asimov es auf den Punkt, und ich kann mich da nur anschließen. Ob ein Wein nach Apfel, Nashi oder Pfirsich duftet und man ihn aromatisch sofort beschreiben kann, ist in diesem Lernprozess völlig nebensächlich. Seien Sie einfach neugierig – und selbstbewusst.