Maschinell gefertigt, aber auf einem Niveau, das den mundgeblasenen Gläsern ernsthaft Konkurrenz macht: Riedel Veloce
Maschinell gefertigt, aber auf einem Niveau, das den mundgeblasenen Gläsern ernsthaft Konkurrenz macht: Riedel Veloce

Blick in die Glaskugel

Spätestens seit Putins Überfall auf die Ukraine hat sich der Markt für Weingläser fundamental verändert. Welchen Herstellern gelingt es am besten, sich auf die veränderten Bedingungen einzustellen? Wie reagieren die Sommeliers auf die Lieferengpässe?
Text: Sascha Speicher

Die Sommelierszene ist alarmiert. „Wir haben bereits im Mai bei Schott Zwiesel für die Schwarzwaldstube und 1789 den Jahresbedarf bestellt, in weiser Voraussicht“, erklärt Stéphane Gass. Lieferschwierigkeiten bestünden für das Restaurant Silberberg mit der Serie Vina. „Das verzögert sich teilweise um drei Monate. Wir arbeiten mit einer Leihfirma, um die Lieferengpässe für Veranstaltungen zu kompensieren.“

Bärbel Ring arbeitet im Söl’ring Hof mit verschiedenen Lieferanten, was in der jetzigen Situation ein Vorteil sein kann. „Wir haben Stölzle, Josephinenhütte, Glas & Co und Schott-Zwiesel im Einsatz. Unser Lieferant – Josephinenhütte ausgenommen – sitzt auf der Insel und hat immer Gläser für uns in Reserve. Bei einigen Gläsern muss man halt lange warten, etwa drei Monate, aber das war schon immer so.“ Weder ihr noch Stéphane Gass wurden bislang Preiserhöhungen angekündigt. Die Ruhe vor dem Sturm?

Sindy Kretschmar, Sommelière im Ritz Carlton Vienna, arbeitet ebenfalls mit mehreren Lieferanten: Zalto kommt im Dstrikt Steakhouse zum Einsatz, Riedel in den anderen Bars und Restaurants des Hotels. Neben den regulären Preiserhöhungen zu Beginn des Jahres, hat sich für sie bislang nichts verändert. „Auch die ­ausgehandelten Konditionen haben sich nicht verändert. Toll finde ich, dass ich nach wie vor die Möglichkeit habe, bei Events mit Leihgläsern von Zalto arbeiten zu können. ­Bezahlen muss ich nur die Transportkosten und Glas-Bruch. Ein super Service nach wie vor.“ Sowohl bei Zalto wie bei Riedel müsse sie sich aber auf längere Lieferzeiten einstellen, das sei bislang jedoch noch gut zu bewältigen.

Hersteller im Krisenmodus

Christoph Hinterleitner von Zalto betont, wie schwierig die aktuelle Situation für die Glasfirmen sei: „Die letzten zwei Jahre mit COVID-19 waren eine riesige Herausforderung. Gerade auf die Produktion in reiner Handfertigung hatten die Lockdowns sowie folgende Fehlzeiten wegen positiver Tests, Quarantäne und so weiter große Auswirkungen. Gleichzeitig stieg der private Bedarf enorm. Aufgrund eines großen Lagers konnten wir diese Zeit einigermaßen gut bewältigen.“ Doch dieser Vorrat ist aufgebraucht. Zwar laufe die Produktion aktuell wieder auf dem Niveau von vor der Pandemie, die Nachfrage sei aber noch immer sehr hoch. „Alle Produkte sind immer wieder laufend lieferfähig, auch wenn es noch einen großen Nachlauf von Bestellungen aus der Pandemie gibt. Wir bemühen uns gerade, für die Gastronomie die Lieferzeiten zu verkürzen.“

Der neueste Akteur auf dem Markt für mundgeblasene Gläser kennt nur die Ausnahmesituation: Pandemie, Energiewende, Krieg in der Ukraine – seit 2020 ist nichts mehr so wie früher, als gefühlt wöchentlich neue Glasserien oder neue Glasformen vorgestellt wurden. Als Sommeliers die freie Auswahl hatten, mutig in Preisverhandlungen starten und jederzeit nachbestellen konnten. Marcus Meyer, Mehrheitseigner und Mitgründer von Josephinenhütte, wurde 2018 von einem guten Freund auf die frühere Manufaktur Josephinenhütte in Schlesien aufmerksam gemacht, von der noch alte Gläser in Berliner Museen zu finden sind. Die Glashütte existiert längst nicht mehr, doch die Marke wurde wiederbelebt. 2019 verteilte Partner Joachim Christ die ersten, von Kurt Joseph Zalto entworfenen Gläser in Sommelier-Kreisen, 2020 ging der Shop online, kurz vor dem Lockdown. Trotz der widrigen Umstände hat das auffallende Glas sehr schnell Freunde in der Sommelier-Szene gefunden, wie Billy Wagner, der im Nobelhart & Schmutzig auf Josephinenhütte setzt. Die aktuelle Situation beschreibt Meyer ohne zu beschönigen: „Es besteht derzeit eine große Unsicherheit im Markt: Wie entwickeln sich die Preise für die Rohstoffe und die Logistik? Wie sieht die Energieversorgung in Zukunft aus? Wir haben mit unseren Partnermanufakturen in den letzten Jahren stabile Beziehungen aufgebaut, so dass wir die Produktion auf absehbare Zeit als gesichert betrachten – natürlich nur soweit, wie die Situation derzeit überhaupt sicher sein kann.“ Der CEO der Josephinenhütte bedauert, dass er den Rückenwind derzeit kaum ausnutzen kann: „Von LA über Mexiko City bis nach Berlin steigt die Nachfrage nach der Josephinenhütte Weinglas-Kollektion extrem. Wir sind sehr aktiv auf dem amerikanischen Markt und haben dafür u.a. mit dem prominenten Sommelier André Mack einen wundervollen Partner an unserer Seite. Für die nächsten Monate sind wir lieferfähig, haben aber begrenzte Kontingente. Wir haben uns entschieden, die bestehenden Märkte und Partner bevorzugt zu beliefern. Wir arbeiten derzeit schon mit Wartelisten für internationale Bestellungen. Für 2023 arbeiten wir natürlich mit Hochdruck an einer verbesserten Verfügbarkeit unserer Gläser.“

Neuheiten

Gute Belüftung: Der Josephine-Dekanter Brillant in limitierten Stückzahlen für 120,- € (EVP)
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Für den sanften Hauch Luft: Die Karaffe No. 67 von Zalto Denk Art zum Preis von 111,90 €
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Jubiläums-Edition vom „Designer of the Year 2021“ (EDIDA 2021): Zwiesel Kristallglas in Kooperation mit Sebastian Herkner
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Machinell gefertig mit mundgeblasenem Anmut: Riedel Veloce für 8,90 € je Glas
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Einem ganz gewissen Glas zum Verwechseln ähnlich: Spiegelau Definition für 9,50 € pro Glas
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Zieher mit Doppelschlag: Tesoro mit Glasdeckel für ca. 13 € (links) und Vision Fresh mit neuem Moussierpunkt für ca. 41 €
Zieher mit Doppelschlag: Tesoro mit Glasdeckel für ca. 13 € (links) und Vision Fresh mit neuem Moussierpunkt für ca. 41 €

Kein Neustart, aber immerhin ein großes Jubiläum: Auch Zwiesel Kristallglas hätte sich für sein 150-jähriges Jubiläum andere Rahmenbedingungen gewünscht. Wenige Wochen nach den Feierlichkeiten kam es zum großen Merger zwischen Zwiesel Glas und Fortessa, woraus ein für die Gastronomie interessantes Konzept resultiert: „United Tables by Zwiesel“, ein Komplettangebot für den gedeckten Tisch im Professional-Segment. Neben den Glasmarken Zwiesel Glas und Schott Zwiesel wird das Sortiment durch die Marke Fortessa im Geschirr- und Bestecksortiment ergänzt. Was die Energiekosten angeht, appelliert der Weltmarktführer im Bereich „Kristallglaserei für die gehobene Hotellerie und Gastronomie“ an die Politik: „Wir sind in der glücklichen Lage, bereits vor der Krise langfristige Lieferverträge für Gas mit fest vereinbarten Preisen abgeschlossen zu haben, was uns etwas mehr Planungssicherheit gibt. Zwiesel Glas prüft beständig Einsparpotenziale, was den Energieverbrauch angeht. Konkrete Drosselungen und daraus resultierende Lieferengpässe stehen derzeit keine zur Debatte. Umso mehr fordern wir, dass die Bundesregierung nun für Klarheit hinsichtlich der zu erwartenden Mehrkosten sorgt und dass die angekündigten Entlastungsmaßnahmen so aufgesetzt werden, dass diese auch effektiv greifen. Wir haben im Unternehmen einen Krisenstab gegründet, um uns auf verschiedene denkbare Szenarien vorzubereiten. Kurzfristig betrachtet gibt es für unser Unternehmen leider keine Alternative zum Erdgas. Eine Umstellung auf Flüssiggas wäre zwar grundsätzlich möglich, ist aber an bauliche Veränderungen geknüpft, und würde aus diesem Grund eine längere Zeit in Anspruch nehmen.“

Bei Riedel in Kufstein hat man während der Pandemie eine regelrechte Explosion der Nachfrage seitens der Privatkunden registriert: „Seit Covid ist die Nachfrage nach Manufakturware sprunghaft angestiegen und mundgeblasene Produkte sind europaweit ausverkauft und haben Lieferzeiten bis zu 15 Monaten. Hinzu kommt der Mangel an Nachwuchs. Leider haben sowohl wir, wie auch die noch verbliebenen Glashütten in Osteuropa keinen Nachwuchs, keine jungen Menschen, die sich zu Glasmachern ausbilden lassen möchten.“ Daher arbeiten sowohl Riedel wie Spiegelau an einer anderen Strategie: Das Ziel lautet, „maschinell Gläser so perfekt herstellen zu können, wie das bisher nur mundgeblasen möglich war.“ Mit den beiden Serien Riedel Veloce und Spiegelau Definition sei das erstmal in der Glasmacher Geschichte gelungen, heißt es aus Kufstein voller Stolz. „Die Gläser aus diesen Serien sind von der Haptik wie mundgeblasen, sie sind darüber hinaus stabiler, als ein üblich mundgeblasenes Glas.“ Wie der Wettbewerb tut sich auch das Duo Riedel/Spiegelau schwer, die Nachfrage zu bedienen: „Wir arbeiten daran, die ­Kapazitäten in diesem Bereich auszubauen. Aktuell beträgt die Lieferzeit allerdings bei beiden Serien mehrere Monate. Wir empfehlen also allen Interessierten, die Gläserbeschaffung mit entsprechenden Vorlaufzeiten zu planen.“ Standard-Sortimente seien zu üblichen Lieferzeiten von vier bis sechs Wochen zu erhalten.

Dominik Zieher, Zieher Glas, beruhigt vorerst seine bestehenden Kunden in der Top-Gastronomie: „Für uns stehen die Lieferfähigkeit und Lieferzuverlässigkeit im Vordergrund. Restaurants, die unsere Weinglas-Serie Vision oder unsere Weindekanter führen, können diese jederzeit nachbestellen und kurzfristig geliefert bekommen.“

Zu echten Alternativen in der Gastronomie haben sich die Gläser des Weinhändlers Döllerer entwickelt, die wie das von der Form nicht unähnliche Gabriel-Glas in einer maschinellen und mundgeblasenen Variante angeboten werden. Nur umfasst die Vinophil-Serie von Döllerer neben dem Universalglas noch verschiedene Spezial-Formen, je nach Weintyp von leicht und frisch bis kräftig. Christian Döllerer sieht sich mit den gleichen Problemen konfrontiert wie alle Wettbewerber: „Die Lieferfähigkeit hat sich bei den Maschinen-Gläsern derzeit etwas entspannt, jedoch kann der Nachfrage an mundgeblasenen Gläsern kaum nachgegangen werden. Lieferverzögerungen von sechs Monaten sind keine Seltenheit. Es fehlt einfach an Fachpersonal. Die jungen Leute wollen die harte Arbeit nicht mehr ausüben.“ Davon berichtet auch Marcus Meyer: „In den Glasbläser-Schulen in Tschechien sinken die Schülerzahlen dramatisch. Wir müssen aufpassen, dass dieses tolle Handwerk nicht ausstirbt.“

Preisthema

„Die exorbitant gestiegenen Gaspreise beeinflussen die energieintensive handwerkliche Fertigung unserer mundgeblasenen Gläser erheblich, und Produktionsoptimierungen sind hier nur in sehr engen Grenzen möglich. Deshalb haben wir Kostensteigerungen mit einer Preisanpassung zum 1. Juli 2022 aufgefangen. Die weitere Entwicklung des Gaspreises ist auch für uns nicht absehbar, sodass wir zu zukünftigen Preiserhöhungen keine Vorhersage abgeben können“, äußert sich Dominik Zieher vorsichtig. Ähnlich antwortet Zwiesel: „Bei der Beschaffung von energieintensiven Materialien zeichnen sich bereits Versorgungsengpässe ab. Ende März dieses Jahres haben wir global all unsere Partner über eine Erhöhung unserer Preise zum 1. Juli informiert. Dies diente jedoch lediglich zur Deckung der Mehrkosten. Wir müssen der aktuellen Entwicklung mit einer moderaten Preisanpassung zum 1. Januar 2023 Rechnung tragen. Unsere Lieferfähigkeit können wir, Stand jetzt, weiter aufrechterhalten.“

Auch Christoph Hinterleitner kündigt für Zalto Preissteigerungen an: „Wir haben die Kostensteigerungen lange geschluckt und dieses Jahr nach drei Jahren eine Anpassung vorgenommen. Im letzten Jahr hatten wir massive Steigerungen der Energiepreise aber auch in anderen Bereichen wie Verpackung. Es bleibt abzuwarten wie sich die Preise, aber auch die Löhne in den nächsten Monaten entwickeln werden, um dementsprechend eine moderate Anpassung im Frühjahr vorzunehmen. Es ist jedenfalls zu erwarten, dass sich vor allem im günstigsten Segment der Maschinengläser die Energiepreise am massivsten niederschlagen werden und hier dementsprechend mit hohen Preissteigerungen reagiert wird.“
Es bleibt spannend.

01-24

Themen der Ausgabe

PANORAMA

Wie schmeckt die Zukunft Frankens?

PROFILE

Bibraud - kreativ und innovativ in Ulm

PROBE

Bairrada und Dão - Portugals feinste Rote