Bewusstes Weglassen

Sebastian Bordthäuser

Sebastian Bordthäuser rüttelt die Gastronomie wach und spricht sich gegen Vegetarier-Bashing aus.
 
Der Vegetarier ist zur Zeit der meist besprochene Gast in unserem Metier, schlechter geht es nur noch dem Veganer. Die Attitüde, mit der beiden Bewegungen hierzulande begegnet wird, hinterlässt jedoch Fragen bei mir. Insbesondere, wenn ich einen Blick nach England, Skandinavien oder in die USA werfe.
 
Brechen wir die Sache herunter auf die Basis, ohne Polemik: Vegetarier sind Leute, die etwas nicht essen möchten aus dem Portfolio, das uns der globale Überfluss der westlichen Hemisphäre ständig bereithält. So, als wenn einer keine Zucchini mag, oder Himbeeren. Oder eine Gluten-Allergie hat. Allergien oder Unverträglichkeiten stehen allerdings auf einem anderen Blatt. Vegetarismus jedoch ist letztlich nichts anderes, als einen Cheeseburger ohne die fiese Gurke zu bestellen. Jemand lässt halt etwas weg. Ich frage mich allerdings seit geraumer Zeit, woher die moralische Bewertung kommt, wenn jemand sagt: Lass die Gurke drauf, aber tu das Fleisch weg. Ich empfinde die Reaktion der Fleischesser darauf als militant. Mich stört das ewige Genörgel, wenn ein Vegetarier ins Restaurant kommt.
 
Wer giesst das Fundament, das uns moralisch berechtigt, dem anderen seinen Entscheid madig zu machen? Es abzulehnen, eine Kreatur zu essen, von der wir wissen, dass sie leidet und wir dieses Leiden als intelligente und empathische Wesen vermeiden könnten. Das ist eine ernsthaft berechtigte Frage. Und der Frage Folge leistend nehme ich Bezug auf den Tenor in den Social Media, wo mir immer öfter ein Vegetarier-Bashing negativ auffällt. „Zwei Vegetarier ohne Anmeldung am Samstag Abend? Arschlöcher…“ Leute, was ist los mit Euch? Könnt ihr nicht kochen? Habt ihr Euer Mise en place nicht gemacht? Und warum sollen die Leute nur Beilagen essen? Als Strafe, dass sie kein Steak bestellen, wie ihr es dauernd auf Gastro VZ oder Facebook zu Mittag postet? Ich denke, die vegetarische Küche ist eine größere Herausforderung als ein Stück Fleisch zum perfekten Garpunkt zu führen. Noch dazu ist dies einfach eine Entwicklung, die sich nicht aufhalten lässt, folglich müssen wir uns auf lange Sicht damit auseinandersetzen.
 
Nach Angaben des deutschen Vegetarierbundes leben zwischen 8 und 9 Prozent der Bevölkerung in Deutschland vegetarisch. Vegetarismus ist nicht länger eine Randerscheinung, er ist öffentlich. Und auch Restaurants sind öffentlich. Warum sind wir nicht einfach kreativ? Wenn Gemüse so viel weniger wert ist in der Küche als Steak, dann sollte es doch ein Leichtes sein, dieses ohne viele Mühen in etwas Leckeres zu verwandeln. Mir stellt sich die Frage, ob wir es mit Köchen zu tun haben, die ihre Grundzutaten sowie Gartechniken beherrschen oder ob hier ein Grabenkampf geführt wird, der einfach auf Dauer keine Sieger kennt. Die Gastronomie ist im Wandel. Und dazu gehört, auch die fleischlose Klientel zu bedienen. Wir haben das Glück, ohne Krieg in einer Zeit zu leben, in der wir alles im Überfluss essen können. Und letzlich machen wir den Job nicht aus Narzissmus, sondern für den Gast. Und das führt folglich auch zu vegetarischen Gängen oder Menüs, begleitet nicht nur von Wein, sondern vielleicht von Saft? Oder Limo? Oder Tee? Das ist jetzt Eure Wahl …
 
Sebastian Bordthäuser
Sommelier in Steinheuers Restaurant,
Bad Neuenahr-Ahrweiler

01-24

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Wie schmeckt die Zukunft Frankens?

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Bibraud - kreativ und innovativ in Ulm

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Bairrada und Dão - Portugals feinste Rote