Ab etwa drei gibt’s Rauferei

Kolumne Peter H. Müller

Pünktlichkeit ist die Devise.Wenn man sich im Zeichen der gesitteten Hochkultur des 
Weingenusses unter gleichgesinnten Aficionados und Liebhabern auf einer Verkostungsveranstaltung befindet und man Dialoge aufschnappt, wie: „Sie rempeln mich schon die letzten zehn Minuten an, aber macht nichts.“ „Host an Clown g‘frühstückt, oda woas?!“ Wenn einem der Zugang zum Spucknapf verwehrt bleibt oder man es nicht zurück an den Stand des Winzers schafft, weil man sich kurz am nächstgelegenen Hochtisch Notizen machte, was am eigentlichen Tisch des Winzers nicht mehr möglich ist, weil dieser mit einem Watt aus aufgeweichtem Weißbrot, Wein, Speichel und Wasser bedeckt ist und sich die Flut angekündigt hat. Wenn DJ Ötzi auch da ist und Grissini in sich rein schiebt mit einer Gestik, in der andere ihre Zigarren halten, er generell eh kaum Wein probiert, sondern schlussendlich halt nichts anderes macht, als Grissini in sich reinzuschieben. Wenn ganze Trauben von Menschen über die übrig gelassenen, angebrochenen Flaschen eines kurz zuvor verlassenen Winzerstandes herfallen wie Hyänen über das verbliebene Aas eines gerissenen Gnus. Wenn etwa vierzig Prozent der anwesenden Besucher sich kognitiv irgendwo zwischen Harald Juhnkes‘ Definition von Glück und Johnny Depp in seiner Rolle als Raoul Duke aus „Fear and Loathing in Las Vegas“ befinden, in der Szene, in der er mit an den Podex geschnalltem Reptilienschwanz durch das überflutete Hotelzimmer watet. Wenn sich, dem täglich grüßenden Murmeltier gleichend, stets wiederholende Szenen abspielen, in denen der Winzer von der Mittel­mosel, der sein gesamtes Portfolio dabei hat, aufgefordert wird, seinen Riesling einzuschenken. Wenn man von großen, oder zutreffender breiten, grauen Herren beiseitegeschoben wird mit den Worten: „Ich hab schon Wein getrunken, da hast du dir noch in die Windeln gemacht“, und man darauf lediglich antworten kann „...offensichtlich.“ 

Ja, wenn diese Szenen sich abspielen, dann hat man das zweifelhafte Vergnügen, sich auf einer offenen Probe mit Endverbrauchern zu befinden und es ist so etwa drei Uhr am Nachmittag. Deswegen ist Pünktlichkeit die Devise, denn dann ist es an der Zeit, zu gehen.
In Österreich nennt man sie übrigens Letztverbraucher. Auf ein spannendes, gemeinsames Weinjahr 2020 und Euer aller Wohl!

Schlagworte

01-24

Themen der Ausgabe

PANORAMA

Wie schmeckt die Zukunft Frankens?

PROFILE

Bibraud - kreativ und innovativ in Ulm

PROBE

Bairrada und Dão - Portugals feinste Rote