Schaumwein aus Norditalien: Oltrepò Pavese (Foto: #Coltrepo/Consorzio Tutela Vini Oltrepò Pavese/www.consorziovinioltrepo.it)
Schaumwein aus Norditalien: Oltrepò Pavese (Foto: #Coltrepo/Consorzio Tutela Vini Oltrepò Pavese/www.consorziovinioltrepo.it)

Franciacorta und Oltrepò Pavese: Schaumwein aus Norditalien

Franciacorta und Oltrepò Pavese sind Nachbarregionen in der Lombardei. Die Spumanti der kleinen Franciacorta haben sich in wenigen Jahrzehnten qualitativ gleich hinter der großen Champagne eingereiht. Die sprudelnden Highlights unseres Tastings Schaumwein aus Norditalien finden Sie in Ausgabe 04/2023 von MEININGERS WEINWELT. Die Auswertung der gesamten Vergleichsprobe lesen Sie »hier.

Text: Matthias Stelzig

In Oltrepò Pavese werden schon seit Mitte des 19. Jahrhunderts Schaumweine mit Flaschengärung produziert. In Deutschland ist die Region aber nur wenigen bekannt. Also: Zeit sich kennenzulernen. „Meine Familie liebte Champagner und französische Weine überhaupt“, erzählt Ottavia Giorgi di Vistarino (Conte Vistarino Società Agricola) und zieht das Verb in dem Satz sehr lang. Ihr Ururgroßvater reiste in die Champagne und schaute sich – wie so manche Besucher der Region – ab, wie dort Wein gemacht wurde. „Den ersten eigenen Schaumwein machte er aus Malvasia.“ Und der war wohl eher mittel. Von der nächsten Reise brachte der Conte Augusto Giorgi di Vistarino Pinot Nero-Setzlinge mit. Das war 1850. „Den Pinot Noir und die traditionelle Flaschengärung hat mein Ururgroßopa ins Oltrepò Pavese gebracht“, doziert Ottavia Giorgi di Vistarino. So jedenfalls steht es in der Familiengeschichte geschrieben. Auch wenn andere Kollegen Ähnliches für sich beanspruchen. Die ersten Pinot Noir-Stecklinge am Südufer des Po gediehen prächtig. „Kalkhaltige Böden“, sagt Ottavia, „sind ein idealer Boden für die Sorte.“

Damit könnte die Region das Sektwunder in Norditalien eigentlich schon für sich beanspruchen. Allerdings produziert Oltrepò Pavese fast zwei Drittel des Stillweins in der Lombardei. Zum Repertoire gehören 72 offizielle Rebsorten, die von Uva Rara über Riesling bis zu Malvasia und Müller-Thurgau reichen, darunter süße Varianten, wie etwa den moussierenden roten Bonarda. Das Ass des Oltrepò Pavese, die Schaumweine aus Pinot Noir und den anderen Champagner-Sorten, steckt also noch im Ärmel. Champions sind nämlich die Nachbarn in der etwa halb so großen Franciacorta.

Franciacorta: Stilles Land, Unternehmergeist und rostige Nägel

Im Franciacorta bestehen die Böden aus Ton, Kalkstein, Mergel und ähneln denen in Oltrepò Pavese. Auch Spumante hat eine Tradition, der Qualitätsschub setzte jedoch viel später, dafür mit einem beachtlichen Wissenstransfer ein. Das Weingut Berlucchi füllte hier 1961 die ersten Schaumweine aus traditioneller Flaschengärung ab. Verantwortlich im Keller zeigte sich Franco Ziliani, der bei Moët & Chandon in der Champagne gelernt hatte.

Maurizio Zanella brachte sich für sein Weingut Ca’ del Bosco einen Oenologen aus der Champagne mit. „Ich hatte keinen Plan, aber im Alter von 17 Jahren die Produktion in der Champagner gesehen“, erinnert sich der Sohn einer Speditionsunternehmerfamilie und streicht sich nachdenklich über seinen grauen Vollbart. „Da dachte ich mir, das können wir genauso gut. Oder besser.“ 1978 füllte er seine ersten 6000 Flaschen Metodo Classico ab – und von da an ging es steil bergauf. Maurizio ließ sich eine Maschine patentieren, die das Dégorgement unter Ausschluss von Sauerstoff durchführte. „Ich brauchte nur noch wenig Schwefel. Das gab es noch nicht.“ Die Franzosen waren schon mal geschlagen. Seitdem hat er immer mehr Arbeitsschritte verbessert. Ca del Bosco produziert heute in einer absoluten Hightech-Anlage Millionen Flaschen. Dort wird nach der selektiven Ernte jede Lesekiste elektronisch erfasst und noch einmal nachsortiert. Die übrigen Trauben werden maschinell in einer Art Jacuzzi-Pool gewaschen und später getrocknet. Fertig ist er noch lange nicht: „52 Ernten sind im Weinbau nichts. Wir brauchen mindestens 100 Jahre, um einen Stil zu entwickeln.“ Ca del Bosco ist einer der größten, besten und modernsten Schaumweinerzeuger der Welt.

Die Franciacorta ist eigentlich ein eher stiller Landstrich. Am besten bekannt für den Lago dIseo, mit dem Verpackungskünstler Christo mal durch knallgelbe schwimmende Brücken, über die mehr als eine Millionen Besucher flanierten, die Insel San Paolo mit dem Festland verband. Die Franciacortese waren ganz froh, als der Rummel vorbei und sie wieder allein mit dem pittoresken Monte Isola waren. Der hält den tiefwurzelnden Reben einige zu kalte Winde vom Stamm. Ein anderes Markenzeichen des Weinbaus sind energische Unternehmer. Vittorio Moretti (Terra Moretti) in Erbusco ist einer von ihnen. In den 70er-Jahren machte der Bauunternehmer tatsächlich in einer Garage seinen ersten Wein und ist dafür bekannt, dass er Bewerber in Job-Interviews auch mal alte Nägel geradebiegen lässt. „Man muss schließlich das Handwerk beherrschen.“ In der Produktion herrscht trotzdem Technik vor, was man an einer Abfüllanlage, die 5000 Flaschen pro Stunde ausstößt, oder den Peristaltikpumpen, furchtbar teuren Geräten, die in der Intensiv-Medizin für menschliches Blut entwickelt wurden, erkennen kann.

Schaumwein aus Norditalien: Franciacorta (Foto: Jacopo ventura/Shutterstock.com)
Schaumwein aus Norditalien: Franciacorta (Foto: Jacopo ventura/Shutterstock.com)

Seide schließt die Lücke

Darüber hinaus hatte Vittorio Moretti auch eine Pionierrolle für den Satèn (wörtlich „Seide“), eine sehr italienische Abwandlung des Franciacorta, hauptsächlich aus Chardonnay, mit etwas milderer Kohlensäure und geringerem möglichen Restzucker, die elegant eine Lücke zwischen Prosecco und klassischem Franciacorta schließt. Moretti hat mit viel Sinn fürs Detail auf den Böden seines Bellavista 125 verschiedene Parzellen identifiziert, die er alle handverlesen, einzeln vinifizieren und dann assemblieren lässt. Auch hier leitet ein Franzose, Richard Geoffrey, ehemals Chef de Cave bei Dom Pérignon, die Kellerarbeiten. Die Weine für seine Cuvée „Vittorio Moretti“ stellt der 82-Jährige persönlich zusammen.

Genau mit dieser Sorte Perfektionisten ist die Franciacorta nicht nur eine der vielfältigsten Regionen Italiens, sondern auch eine Spitzenherkunft für Schaumwein geworden. „Aber wir haben nicht vergessen, wo wir herkommen“, Silvano Brescianini, Präsident des Consorzio per la tutela del Franciacorta, mag klare Ansagen: „Fließendes Wasser gibt es erst seit 1963. Heute haben wir das Plumpsklo gegen den Ferrari eingetauscht.“  

Oltrepò Pavese: Noch ein Ass im Ärmel

In Oltrepò Pavese gibt es auch große Produzenten, doch vor allem Genossenschaften. Ein Weinbauer besitzt im Durchschnitt kaum zwei Hektar Weinberge, mit denen man keinen Schaumwein produzieren kann. „Wir waren Bauern“, erinnert sich Giulio Fiamberti, Besitzer der Azienda Fiamberti, einem Bio-Weingut mit 200-jähriger Geschichte. „Wein war für uns zuerst mal Lebensmittel. Für gute Tropfen brauchten wir einen Plan.“

„Den haben zum Glück immer mehr“, erklärt Carlo Veronese den neuen Trend. Lange, so der Direktor des Branchenverbands Tutela Vini Oltrepò Pavese, seien auch die besten Weine an große Einkäufer von Firmen wie Campari, Cinzano, Martini & Rossi oder Zonin gegangen. Immerhin kaufte Gianni Zonin, Besitzer der größten Weinfirma Italiens, die Tenuta Il Bosco und baute sie zu einem hochwertigen Erzeuger aus. Nur ein weiteres Zeichen des Aufbruchs. Wie bei fast allen guten Winzern spielt Pinot Noir eine Hauptrolle. „Die Sorte fördert die tiefsten Geheimnisse des Terroirs zu Tage“, das wusste Ottavia di Vistarino schon ziemlich früh in ihrem Berufsleben. Die studierte Oenologin und Betriebswirtin konzentriert sich besonders auf den wohl größten Schatz des Oltrepò Pavese. Statt des Anbaus im großen Maßstab hat sie sich auf die Suche nach den besten Lagen gemacht. „Als erstes habe ich Bodenanalysen in Auftrag gegeben. Die Böden sind extrem kleinteilig, nach langen Untersuchungen haben wir die drei besten Mikrolagen für uns definiert.“ Dort entstehen drei große Weine.

Dazu hat ihre Heimat noch ein paar Trümpfe. Die Region ist gesegnet mit hervorragenden Lebensmitteln, 42 Käse-, 19 Wurst- und zehn verschiedenen Fleischsorten, dazu Berrettina-Kürbis, Bergkartoffeln, Honig, Safran, Pilze, schwarze Trüffel, die Bagnaria-Kirsche – die Liste ist endlos. Eine geniale Kombi ist der Käse aus dem Staffora-Tal, einem Zufluss des Po. Jung mit Noten von Butter, Sahne und Hefe passt er genial zu einem „Giorgi 1870“. Der Spumante des renommierten Bio-Erzeugers Giorgi umschmeichelt ihn mit Noten von Salbei, Minze, Aprikose und Vanille. Der „Caristoro“ von Fiamberti hat viel rote Frucht, ist etwas herb mit Wildkräutern, was sich prima mit dem 18 Monate gereiften Käse und seinen Noten von Fleischbrühe und Pilzen paart. Nach gut zwei Jahren hat der Staffora-Käse Töne von Honig und gebrannter Mandel und bringt den moussierenden „Cavaliere“ zum Glänzen. „Benannt nach meinem Großvater“, sagt Giulio Fiamberti, „eine starke Persönlichkeit, aber fröhlich und gelassen“. Genau das braucht Oltrepò Pavese.

 

WEINGÜTER

FRANCIACORTA

Berlucchi Franciacorta
www.berlucchi.it

Ca’ del Bosco
www.cadelbosco.com

Terra Moretti
www.terramoretti.it

Consorzio per la tutela del Franciacorta
www.franciacorta.wine

 

OLTREPÒ PAVESE

Conte Vistarino Società Agricola
www.contevistarino.it

Azienda Fiamberti
www.fiambertivini.it

Tenuta Il Bosco
www.oltrenero.it

Giorgi
www.giorgi-wines.it

Consorzio Tutela Vini Oltrepò Pavese
www.consorziovinioltrepo.it

Ausgabe 03/2024

Erhältlich ab 8. März: MEININGERS WEINWELT Ausgabe 03/2024

Themen der Ausgabe

Feines Frische-Duo

Mineralischer Albariño schmeichelt Fischeintopf mit Gemüse: Das Winepairing zum Start ins Frühjahr hat sich Sommelier Emrah Isitmen aus Karlsruhe für Sie ausgedacht und damit eine Geschmackskombination für pures Atlantik-Feeling kreiert … »weiter zu Rezept & Weintipp

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