Foto: ValentinValkov/stock.adobe.com
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Made in Germany: Trendsache Landwein

Lange zog die AP-Nummer die Trennlinie zwischen Qualitätswein und anderen Qualitätsstufen. Doch ihre einstige Deutungshoheit über gut oder böse schwindet zunehmend: Immer mehr Winzer entscheiden sich heute freiwillig gegen sie. Gegen amtliche Legitimation, für eine neue Freiheit im Weinmachen.

Text: Sebastian Bordthäuser (für Ausgabe 04/2022 von MEININGERS WEINWELT)

Als sich Hanspeter Ziereisen 2006 nach mehrfacher Kollision mit den Ansprüchen der AP-Prüfung entschied, seine Weine fortan nur noch als Landwein zu vermarkten, wusste er wahrscheinlich nicht, welche Wellen die Entscheidung schlagen würde. Lange Zeit belächelt als Auffangbecken für nicht verkehrsfähige Weine jeglicher Couleur, hat die Qualitätsstufe seitdem eine enorme Strahlkraft entwickelt – was in Frankreich Gang und Gäbe war, fand nach und nach auch in Deutschland immer mehr Freunde. Normierung vs. Individualität: So standen sich Qualitäts- und Landwein lange gegenüber. Die einst radikale Entscheidung gegen schablonisierte Geschmacksbilder, die Rebsorten und Regionen ins weinkontrollierte Korsett schnürten, ist heute allerdings nicht mehr als revolutionärer Akt zu deuten. Inzwischen vermarkten sogar Betriebe wie die Markgräfler Winzer einige ihrer Weine als Landwein, die Palette ist folglich bunt wie nie.

Ergebnisse unseres Landwein-Tastings

Zu unserer Landweinprobe wurden mehr als 250 Muster eingesandt und boten den bislang größten Einblick in die Szene. Die Verkostungsergebnisse finden Sie hier; ausgewählte Favoriten haben wir in Ausgabe 04/2022 von MEININGERS WEINWELT für Sie zusammengestellt. Vom Altmeister Ziereisen bis zu völlig überraschenden Neuentdeckungen aus Thüringen war die Probe gespickt mit Weinen, die vor allem eins bewiesen: Herkunft funktioniert hervorragend auch ohne AP-Nummer. Da die Weinkontrolle im genossenschaftlich geprägten Baden auch heute noch als besonders konservativ gilt, gab es von dort entsprechend viele Einsendungen. Besonders beim Gutedel waren herausragende Weine dabei. Auch Württemberg baute seine Position als eine der dynamischsten Regionen des Landes weiter aus.

 

Als Landwein besonders interessant: die weiße Traubensorte Gutedel (Foto: www.deutscheweine.de)
Als Landwein besonders interessant: die weiße Traubensorte Gutedel (Foto: www.deutscheweine.de)

Landwein liegt im Trend

Das gängigste Argument gegen Landwein ist das Verbot von Orts- und Lagen-Namen auf dem Etikett. Die Lage als kleinster definierter Rahmen für höchste Qualität – einfach weg! Doch des einen Ziel ist des anderen Einschränkung. Wenn, wie im Falle Ziereisens, Weine als nicht sorten- oder gebietstypisch herausgewunken werden, bleibt einem offensichtlich keine Wahl. Doch wie sieht es aus, wenn mein Betrieb an der Mittelhaardt liegt? Verzichte ich freiwillig auf das Forster Kirchenstück auf meinem Etikett? Jonas Seckinger vermarktet seine Weine zum Teil als Landwein, zum Teil als Qualitätswein – aus eben diesen Gründen. „Die Grundidee zum Thema Landwein entstand 2016, als die Qualitätsprüfung noch weitaus härter war als heute. Damals näherten wir uns dem Thema in kompletter Freiheit: trübe Weine, ungeschwefelt, und es gab null Verständnis dafür.“ Zwischenzeitlich hat das vermeintlich kontrollierte Nichtstun die „Hochphase des Dogmatismus“, wie Seckinger sie nennt, überschritten. „Es hat sich viel getan beim Amt, und manchmal muss man der Natur vielleicht doch einen Wink geben, dass der Wein nicht maust oder Flüchtige ohne Ende hat.“ Die Pure-Serie von Seckinger wird weiterhin als Landwein produziert, an der Spitze sticht dann doch die Lage. „Unsere Top Weine stammen von den historischen Lagen der Mittelhaardt. Alle 300 Meter haben wir dort andere Bodenformationen, die Weine schmecken spürbar anders. Dieser Tradition fühlen wir uns klar verpflichtet – und es hilft natürlich im Verkauf.“ In der Weinbereitung ändert Seckinger dafür allerdings wenig. „Unsere Lagenweine bekommen alle 5 mg Schwefel bei der Füllung, damit ich mich ein bisschen sicherer fühle und besser schlafen kann.“ In puncto Qualität vergleicht Seckinger das Label Landwein gerne mit dem Qualitäts-Siegel „Made in Germany“. Einst erdacht von den Engländern, um vor vermeintlich miserabler germanischer Qualität zu warnen, entwickelte sich das Label bald zum international anerkannten Qualitätsnachweis. „Bei Landwein ist das heute ähnlich, er ist interessanter als beliebiger Allerwelts-Qualitätswein.“

 

Die stilistische Bandbreite der Landweine ist enorm (Foto: iStock.com/Ina Peters)
Die stilistische Bandbreite der Landweine ist enorm (Foto: iStock.com/Ina Peters)

Regeln, Regeln, Regeln

Die neue deutsche Coolness spiegelt sich oft auch auf den Etiketten wider: Angaben wie Oberemmeler Hütte Riesling Spätlese Goldkapsel sind nicht nur für viele deutsche Weintrinker, sondern insbesondere für ausländische Weinliebhaber der reinste Horror. Die Vereinfachung der Etiketten mit Nennung des Produzenten und seiner Herkunft, wie der Landwein es erlaubt, wird daher wohlwollend wahrgenommen. Dazu Søren Ledet, Sommelier und Mit-Inhaber des Kopenhagener Restaurants Geranium (Michelin***): „Die Bezeichnung Qualitätswein ist wichtig, sie hat den deutschen Wein über Jahrhunderte hinweg getragen und wird dies auch in Zukunft tun. Doch auf der anderen Seite steht der Landwein. Ich wünsche mir, dass sich diese Bezeichnung zu einer Plattform für modernere trockene, ungewöhnliche und natürliche Weine entwickelt, wie wir es in anderen europäischen Ländern gesehen haben.“ Die Verschlankung wird nicht nur im Ausland positiv wahrgenommen. Dazu Rainer Schnaitmann: „Das ganze Regelwerk ist ja schon für uns schwer verständlich. Wir machen Landwein, weil wir eingeengt sind durch die Qualitätswein-Prüfung. Meine Kunden interessiert das gar nicht, ob da eine Los-Nummer oder eine AP-Nummer auf der Flasche steht.“ Geht das deutsche Weinrecht also an den Interessen des Kunden vorbei? „Beim Landwein sind die Regelungen teils sogar etwas strenger als beim Qualitätswein, wo es vielmehr darum geht, Dinge zu vermeiden. Landwein hat den Vorteil, dass ich machen kann, was ich will, was Ausbau und Füllung angeht: Reduktion oder ein leichtes Hefedepot werden dort nachsichtiger behandelt. Ich liebe diese Freiheit.“ Den Verzicht auf Ortsweine und Erste Lagen sieht er dabei pragmatisch. Exzellenz, so Schnaitmann, finde in diesem Falle eben nur in der Spitze statt. „Was macht man mit all den mittleren Lagen in Württemberg, deren Niveau unterhalb der Großen Lagen liegt? Wir bauen all unsere Lagen getrennt aus, aber abfüllen können wir sie nicht unter diesen Lagenzuschnitten, da sie nicht konform mit den offiziellen Lagen sind. Lieux-Dits könnten eine Lösung sein, denn auch die alten Gewann-Namen wurden ursprünglich nach anderen Kriterien vergeben, als man sie heute definieren würde. Man bräuchte eine Regelung wie im Burgund, das einen 1er Cru ohne Lagenangabe zulässt, denn man kann einfach nicht jede Lage prägnant herausarbeiten.“ Dabei ist es gar nicht das Regelwerk als solches, das Schnaitmann stört. „Regeln sind da und müssen eingehalten werden. Es gibt immer noch zu viele konservative Verkoster, die über einen Wein entscheiden. Wird er abgelehnt, kommt er nicht in den Verkehr. Seit einiger Zeit spielt man in Württemberg daher mit dem Gedanken einer eigenen Herkunft. „Wir denken darüber nach, das Remstal als neuen Bereich zu gestalten. Die g.U. Württemberg bliebe bestehen, eine eigene g.U. Remstal böte durch die neue EU-Gesetzgebung die Chance, sich ein eigenes Regelwerk zu erarbeiten, in dem man die Verkostung weglassen könnte. Es müssten halt nur ein paar Leute nach vorne, was für Winzer im laufenden Betrieb natürlich immer schwierig ist. In jedem Fall würde keinem etwas weggenommen, sondern zusätzliche Möglichkeiten für alle eröffnet. Man muss schauen, dass man alle Wingertsbesitzer mitnimmt.“ Schnaitmann sieht weder den Qualitätswein noch den Landwein als statische Konstrukte oder Gegner. „Schlussendlich stammt das Weingesetz aus einer Zeit, als die Produzenten einen komplett anderen Horizont hatten als heute. Wir sehen den Landwein als eine Möglichkeit, zu besseren Weinen zu kommen und in Rückkoppelung vielleicht sogar das Qualitätswein-System zu verbessern.“

 

Herkunft und Handschrift stehen bei den Landwein-Machern im Fokus (Foto: Goran Bogicevic/photocase.de)
Herkunft und Handschrift stehen bei den Landwein-Machern im Fokus (Foto: Goran Bogicevic/photocase.de)

Es geht auch ohne Orts- und Lagen-Namen

Manche gehen den Schritt zurück, andere betreten den Weg des Qualitätsweines gar nicht erst. Eine Entdeckung der Probe war das Weingut Maximilian Greiner aus Baden. Nach seiner Lehre als Küfer, dem Studium in Geisenheim sowie Praktika im In- und Ausland bat Maximilian seinen Vater, die Trauben nicht mehr an die Genossenschaft zu verkaufen. Er versprach ihm mehr Geld für weniger Trauben, die fortan nach biodynamischen Richtlinien erzeugt werden müssten. Hand in Hand mit der Biodynamie ging die Entscheidung für den Landwein, um dem vorprogrammierten Ärger mit den Prüfstellen aus dem Weg zu gehen: „In Baden muss Chardonnay parfümiert und fruchtig sein,“ so Maximilian, „meiner ist karg, unfiltriert und reduziert.“ Der Verzicht auf Orts- und Lagen-Namen stellt für ihn kein Hindernis dar. Die Maßstäbe des Qualitätsweins verlieren hier an Bedeutung, sodass er gar nicht mehr als erstrebenswertes Ziel wahrgenommen wird. „Am Anfang dachte ich, ich brauche Ort und Lage, aber dem Konsumenten ist das meistens egal.“ Als „Black Forest Landwein“ vermarktet Greiner seine Weine, denn den Schwarzwald kenne schließlich jeder. Von Anbeginn war Maximilian über sein Studium gut vernetzt und hatte Erfolg in der Top-Gastronomie, dann entdeckte sogar Jancis Robinson seine Weine auf dem ersten Landweinmarkt und berichtete einen Tag später in der New York Times. Die Ausstattung der Weine ist so einfach wie gut, mit hohem Wiedererkennungswert. Die Produktpalette umfasst acht Weine, vom Basic-Chasselas bis zum Top-Pinot für 75 Euro. Einfach heißt heute: der Name des Winzers, die Rebsorte und die Region, das reicht den meisten Konsumenten völlig. Will man als Winzer dennoch Bezug auf eine Lage nehmen, muss dies in der Weinguts-Kommunikation gut verklausuliert werden, wie z. B. bei Sven Leiner aus Ilbesheim. Leiners Spitzenweine waren und sind immer die Burgunder und Rieslinge von der kleinen Kalmit, nur darf er das seit 2019 nicht mehr aufs Etikett schreiben, da er sich komplett vom Qualitätswein verabschiedet hat und nun Landwein produziert. Die Bezeichnung „Kapelle“ für seine Top-Weine steht somit als synonymer Code für Lage und Herkunft: die kleine Kalmit.

Dirk Brenneisen aus dem Markgräflerland war gelernter Werkzeugmacher und ist Quereinsteiger. Im Jahr 2000 kelterte er seinen ersten Wein von Trauben, die seine Eltern bislang an die Genossenschaft verkauften. Ausgebaut im Holz mit langem Hefelager, wurden seine Weine wieder und wieder als sorten- und gebietsuntypisch abgelehnt, sodass er seit 2006 seine Weine nur noch als Badischer Landwein deklarierte und sogar die vorhergehenden Jahrgänge rückwirkend umetikettierte. „Die Markgräfler sind sehr dickköpfig,“ erklärt er und meint dabei nicht nur die Prüfstellen. Deren Qualitätsverständnis unterscheidet sich grundlegend von dem Brenneisens und orientiert sich an dominanten Genossenschaften, deren Produkte als organoleptische Leitplanken der Prüfstellen funktionieren. „Hier ist wenig Platz für Individualität. Die AP-Nummer steht als Garant für gleichbleibende Qualität. Das steht aber in krassem Widerspruch zu meinem Namen, denn der steht ja auch für Qualität. Dass seine Weine keine AP-Nummern haben, stört niemanden. „Bei uns kontrolliert der Kunde, nicht die Prüfstelle“, setzt er pointiert das Schlusswort. 

 

Ausgabe 03/2024

Erhältlich ab 8. März: MEININGERS WEINWELT Ausgabe 03/2024

Themen der Ausgabe

Feines Frische-Duo

Mineralischer Albariño schmeichelt Fischeintopf mit Gemüse: Das Winepairing zum Start ins Frühjahr hat sich Sommelier Emrah Isitmen aus Karlsruhe für Sie ausgedacht und damit eine Geschmackskombination für pures Atlantik-Feeling kreiert … »weiter zu Rezept & Weintipp

Rieslinge von Weltruhm

Bettina Bürklin-von Guradze hat das Pfälzer Topweingut Dr. Bürklin-Wolf perfekt für die Zukunft aufgestellt und verrät im Gespräch mit Chefredakteurin Ilka Lindemann, wie sie dabei Traditionen, Familie und Biodynamie unter einen Hut gebracht hat.

Weinbar-Guide London

Die Gastroszene der britischen Hauptstadt ist lebendig wie nie und kann zuweilen ganz schön überfordernd sein. Wir waren für Sie vor Ort und zeigen Ihnen in dieser Ausgabe die angesagtesten Weinbars und Locations für jeden Anspruch.