Der Neusiedlersee hat großen Einfluss auf das Mikroklima am Leithagebirge; Foto: derpaul.at
Der Neusiedlersee hat großen Einfluss auf das Mikroklima am Leithagebirge; Foto: derpaul.at

Die nächste Stufe

Die Parameter sind bekannt: Unter der meist begrünten Erdoberfläche wurzeln die Reben in einem spektakulären Mix aus Glimmerschiefer und Muschelkalk, an sanften bis mittelsteilen Hanglagen an den Ost- und Südflanken des Leithagebirges und Ruster Hügellands. Vier weiße Rebsorten – Grüner Veltliner, Weißburgunder, Neuburger und Chardonnay, die je nach Höhe, Exposition und Bodenformation ganz unterschiedliche Ausdrucksformen entwickeln, mit einer in vielen Fällen leicht salzigen, griffigen Mineralstruktur als roter Faden. 
Wie es bei einer noch immer recht jungen Appellation wie Leithaberg gar nicht anders sein kann, ist die Entwicklung längst nicht abgeschlossen. Ganz im Gegenteil. Nach den Lagenweinen, die in den letzten drei bis vier Jahren hinzukamen, kündigen sich nun die ersten Ortsweine an. Sie werden das dreistufige Modell aus Gebiets-, Orts- und Lagenweinen komplettieren. Weitere aktuell diskutierte Themen sind Furmint und Welschriesling, aber auch die St. Georgener Rebe, das lange verschollene Elternteil des Grünen Veltliners – drei reizvolle Sorten und die Frage, welche davon möglicherweise mittelfristig in die Appellation aufgenommen werden sollte. Und dann ist da vor allem die stilistische Weiterentwicklung der Weine und die Suche der Winzer nach immer neuen interessanten Lagen, um ausdrucksstarke Weißweine mit Leithaberg-Profil zu erzeugen. Fündig werden sie meist in der Höhe, seien es skelettreiche Urgesteinsparzellen am Waldrand oder kalkreiche Plateaus auf dem bewaldeten Rücken des Höhenzugs. In diesem Zusammenhang ist ein Aspekt des Terroirs zu erwähnen, der neben Boden, Exposition und (Mikro)klima häufig vergessen wird: die Biodiversität. An den Hängen des Leithabergs sind insbesondere im oberen Teil viele Lagen nur zu einem kleinen Anteil mit Reben bestockt. Streuobstwiesen, Äcker, aber auch teilweise verbuschte, artenreiche Wiesen wechseln sich immer wieder ab mit Weinbergsparzellen, die häufig nur aus drei oder vier langen Reihen bestehen. 
Adriana Gonzalez und Martin Lichtenberger sind gerade dabei, einige solcher Stücke zu rekultivieren. „Das ist aber ein Lebensprojekt, wir haben gar nicht die Mittel, den Hang auf einmal neu anzulegen“, erklärt der Winzer. Beide haben ihre Jobs – er bei Gernot Heinrich, sie bei Birgit Braunstein – aufgegeben und konzentrieren sich ganz auf ihr eigenes Weingut mit rund zehn Hektar Rebfläche. Unter der Herkunftsbezeichnung Leithaberg produzieren sie seit Jahren einen ausdrucksvollen Neuburger. Es handelt sich um zwei alte Parzellen, dennoch sind die Reben noch immer so wüchsig, dass die beiden die Triebe wickeln, um die Stöcke in Balance zu bringen. Die anspruchsvolle Bewirtschaftung in Verbindung mit dem ebenfalls nicht ganz einfachen Ausbau der Weine hat dafür gesorgt, dass die Neuburgerfläche stark zurückgegangen ist. Zum großen Bewahrer der Sorten hat sich in den vergangenen Jahren das Weingut Tinhof entwickelt. Kein anderer Betrieb in ganz Österreich produziert eine solche Vielfalt an Neuburger-Weinen und deckt die ganze Bandbreite der Sorte ab. Zurück zu Lichtenberger-Gonzalez: Neben dem Tres Cuartos, einem vibrierenden, straffen Welschriesling, der in Sherry-Manier im dreiviertelvollen Holzfass unter Florhefe reifte, ist der vielleicht spannendste Weißwein in ihrem Sortiment der Grüne Veltliner Edel Brunn, eine Cuvée aus zwei Schieferlagen, die im Holzfass ausgebaut wird. 
 

Ried Haidsatz von Georg Prieler; Foto: Sabine Jackson
Ried Haidsatz von Georg Prieler; Foto: Sabine Jackson

Noch immer steht ein Fragezeichen hinter dem wahren Potenzial des Grünen Veltliners am Leithaberg. Vor einigen Jahren starteten die Weingüter Sommer, Liegenfeld und Bayer ihr gemeinsames Projekt Himmelreich. Sie rekultivierten gemeinsam eine vergleichsweise steile Glimmerschieferlage weit oben am Waldrand, um das Maximum an Herkunftscharakter in Form von eher dunkler, rauchiger Würze auszuschöpfen. Kaum ein anderer Betrieb am Leithagebirge hat sich so konsequent dem Weißwein verschrieben, wie das Weingut Sommer. Rund 85 Prozent der Fläche sind mit weißen Sorten bestockt, mit einem Drittel-Anteil ist der Grüne Veltliner die Hauptsorte. Daneben sieht Leo Sommer im Chardonnay das größte Potenzial. „Bei Klischeetrinkern, bei denen das Burgenland ausschließlich als Rotweinland eingeprägt ist, müssen wir nach wie vor um Anerkennung kämpfen.“ Die Sommers möchten zeigen, dass „sowohl Rot- als auch Weißweine am Leithaberg zu ausdrucksstarken Weinen im Spitzenbereich gekeltert werden können“. 
 

Lange galten die Formeln Grüner Veltliner plus Schiefer; Chardonnay und Weißburgunder plus Kalk als gesetzt. Doch diese Schubladen geraten mehr und mehr durcheinander. Bei Markus Altenburger sind aktuell nur ein Viertel der Rebflächen mit weißen Sorten bestockt: „Tendenz jedoch wieder steigend, nachdem ich zehn Jahre nur Blaufränkisch gepflanzt habe.“ Seine Chardonnays gehören zu den charaktervollsten des Gebiets. „Auch der Grüne Veltliner hat ein sehr großes Potenzial in Jois. Im Speziellen auf Kalkböden überrascht er mich jedes Jahr wieder. Es sind hohe physiologische Reifegrade bei 12 oder 12,5 %vol. möglich. Das schafft man mit Chardonnay schwer, weil er schnell Zucker auflädt. Deshalb stelle ich die beiden mittlerweile auf eine Stufe – früher hätte ich nur an Chardonnay gedacht im High-End-Bereich. Eine Voraussetzung muss erfüllt sein: Die Wüchsigkeit muss mit Konkurrenzpflanzen eingedämmt werden oder man arbeitet mit alten Reben bzw. kleinbeerigen Klonen. Dann bekommt man die Aromakonzentration hin – nicht die Zuckerkonzentration.“

 

Das Motto „Weniger ist mehr“ gilt bei ihm und weiteren Top-Betrieben wie Gernot und Heike Heinrich oder Lichtenberger-Gonzalez auch für die Ausbauweise der Weißweine. Altenburger ist überzeugt, dass dies die Zukunft sein wird: „Spontangärung aus Bio-Trauben wird bald gelebter Standard in der Leithaberg DAC sein. Das bringt Ausdruck in den Wein, es ist auch nicht so wichtig, ob man ganze Trauben presst oder Maischestandzeit macht. Für mich steht die Vision im Raum, die Weine irgendwann unfiltriert füllen zu dürfen. Damit meine ich nicht tieftrüb, sondern, dass die natürliche Feinhefe, die nach einem Jahr noch im Fass frei schwebend ist, auch mit in die Flasche darf. Weintrinker haben mittlerweile auch einen lockereren Umgang mit der Thematik.“ 

Schmale Parzellen prägen das Bild; Foto: Speicher
Schmale Parzellen prägen das Bild; Foto: Speicher
Leithaberg weiß mit Kraft und Tiefe: Hans "John" Nittnaus; Foto: Hans Seiter
Leithaberg weiß mit Kraft und Tiefe: Hans "John" Nittnaus; Foto: Hans Seiter
Mister Pinot Blanc: Georg Prieler; Foto: Sabine Jackson
Mister Pinot Blanc: Georg Prieler; Foto: Sabine Jackson
Neuburger vom Feinsten: Adriana Gonzalez und Martin Lichtenberger; Foto: Steve Haider
Neuburger vom Feinsten: Adriana Gonzalez und Martin Lichtenberger; Foto: Steve Haider
Händchen nicht nur für Grünen Veltliner: Leopold Sommer; Foto: Leo Sommer
Händchen nicht nur für Grünen Veltliner: Leopold Sommer; Foto: Leo Sommer
Chardonnay mit Sex-Appeal: Markus Altenburger; Foto: Altenburger
Chardonnay mit Sex-Appeal: Markus Altenburger; Foto: Altenburger
Frischer Esprit für Traditionsbetrieb:  Johannes Nehrer; Foto: Josef Siffert
Frischer Esprit für Traditionsbetrieb: Johannes Nehrer; Foto: Josef Siffert

Auch Johannes Nehrer, der 2017 die Leitung des Familienbetriebs übernommen hat, sieht großes Potenzial im Furmint. „Ich denke aber auch über Welschriesling und die Sankt-Georgener-Rebe nach.“ Die wurde erst vor wenigen Jahren wiederentdeckt und in der Riede Viehtrift in St. Georgen von Hermann Moser rekultiviert. Inzwischen gibt es seit der Jungfernlese 2015 fünf Jahrgänge und es steht das erste Pflanzmaterial zur Verfügung. Nehrer lässt aber keinen Zweifel daran, dass für ihn der Chardonnay die Hauptrolle spielen soll. Vom Weißweinanteil, der bei knapp 40 Prozent liegt, nimmt der Chardonnay die Hälfte in Anspruch, Tendenz steigend. Damit ist er kein Einzelfall. Erst seit dem Jahrgang 2017 gibt es bei Nehrer überhaupt einen reinsortigen Chardonnay als Leithaberg DAC, zuvor handelte es sich um eine Cuvée mit Weißburgunder. Neu ist auch der Einzellagen-Chardonnay Krainer. Eine von drei Chardonnay-Lagen der Nehrers in Sankt-Georgen. Ein noch größeres Potenzial sieht der junge Winzer in der Ried Hummelbühl: reiner Kalkboden auf über 300 Metern, von Wald umgeben. Nehrer spielt mit dem Gedanken, den Jahrgang 2020 erstmals als Lagenwein auszubauen.

Die vier Sorten der Leithaberg DAC – Grüner Veltliner, Chardonnay, Weißburgunder, Neuburger – werden nach Ansicht von Leo Sommer auch in Zukunft die Hauptrolle spielen. „Autochthone Sorten, die in unseren pannonischen Breiten immer schon Bedeutung hatten, mal mehr, mal weniger, sind Welschriesling und Furmint. Beide haben das Potenzial, im Spannungsfeld zwischen Kalk und Schiefer Weine mit Identität und Herkunft entstehen zu lassen. Bei Welschriesling gibt es eine Vielzahl an Rebflächen, allerdings muss er auch auf den besten Lagen gepflanzt werden. Bei Furmint gibt es derzeit einen relativ überschaubaren Bestand.“ Der Ausbau der Weißweine, so Sommer, habe in der letzten Dekade einen extremen Wandel durchlebt. „Egal ob Holz, Beton, Amphore oder Stahl, schlussendlich sollen die Eigenheiten der Weine unterstützt und nicht zugedeckt oder kaschiert werden. Dass Gerbstoff im Weißweinbereich salonfähig geworden ist und strukturgebend eine wichtige Rolle übernimmt, kann ich nur befürworten.“ Um die Grenzen immer wieder neu auszuloten, dient bei Sommer die Linie Handwerk: „Ein klares Bekenntnis zur Tradition, um gleichzeitig mit Konventionen zu brechen. Ein Manufakturgedanke, den wir nicht über die Herkunft, sondern unsere Winzer-Individualität definieren. Sozusagen ein Blick über das Spundloch. Von intensivem Schalenkontakt bis hefetrüben Füllungen werden die Grenzen jedes Jahr neu ausgelotet.“ 
Ausnahmslos alle Spitzenwinzer experimentieren und tüfteln, gerade beim Weißwein. Das ist ein großer Vorteil der jungen Appellation, dass es keine großen Erwartungen seitens des Marktes gibt, wie ein weißer Leithaberg zu schmecken habe. Es sind die Winzer, die den Rahmen abstecken. Die Reife der Trauben ist vorhanden, ausgeprägte Mineralität, auch Gerbstoff und oder der Ausbau im Holz geben Struktur und Frische. Neu gemischt werden die Karten in der Regel, wenn ein neues Team das Ruder übernimmt. So geschehen im Weingut Esterhary, seit Frank Schindler als Geschäftsführer an Bord ist. Unter dem Motto „Esterhazy Projekt“ hat er eine Reihe von Versuchen gestartet. Viele drehen sich um den Ausbau des Blaufränkisch. Doch es gibt auch einen sehr überzegenden Weißburgunder von alten Reben, der ungeschwefelt ausgebaut und unfiltriert gefüllt wurde. Frucht – Kraft – Kargheit, so sollen die drei Stufen der Pyramide nach Vorstellung Schindlers geprägt sein. Um Frische und den maximal möglichen, kalkig-mineralischen Herkunftscharakter zu erreichen, hat Esterhazy begonnen, einen alten Weinberg ganz oben auf dem Leithaberg-Plateau zu rekultivieren. Alle bisherigen Lagenweine stehen auf dem Prüfstand und die ersten Ortsweine sind bereits in Vorbereitung. Die Aufbruchstimmung ist in dem traditionsreichen Weingut geradezu greifbar.

Martin Lichtenberger; Foto: Speicher
Martin Lichtenberger; Foto: Speicher

01-24

Themen der Ausgabe

PANORAMA

Wie schmeckt die Zukunft Frankens?

PROFILE

Bibraud - kreativ und innovativ in Ulm

PROBE

Bairrada und Dão - Portugals feinste Rote