Branche unter Beschuss

Sitzen wir bald auf dem Trockenen? So schlimm wird es hoffentlich nicht kommen, doch die derzeitigen Entwicklungen sollten jedem in der Branche zu denken geben. Während der süße Duft von Pandemie-Beschränkungs-Lockerungen wieder einmal durchs Land weht, machen sich Einkäufer darüber Gedanken, dass das Toilettenpapier dieses Mal wirklich knapp werden könnte. Wohl dem, der jetzt seine vor zwei Jahren angehortete Reserve doch noch zu Lebzeiten aufbrauchen kann.

Doch die Situation ist nicht nur bei Toilettenpapier problematisch. Machten wir Europäer uns vor wenigen Monaten noch über die leeren Regale in britischen Supermärkten lustig, können wir in der nächsten Zeit selber in die Situation kommen, und das betrifft nicht nur Toilettenpapier. Tatsächlich ist Wein in einer ähnlichen Lage.

Wie jahrzehntelang geübt will der Handel auch offensichtlich gerechtfertigte Preiserhöhungen nicht akzeptieren und verschlimmert die Situation damit zusätzlich. Doch die Preise sind diesmal nicht der Kern des Problems. 

Zwei Jahre Covid-19 haben die Lieferketten dermaßen durcheinander gebracht, dass kaum noch etwas ist wie gewohnt. Vielerorts fehlen schlicht die Rohstoffe zur Produktion. Daher steigen nicht nur die Preise, sondern auch die Lieferzeiten, und das gilt nicht nur für einen Rohstoff, sondern für fast alle Vorprodukte.

In unserem Interview spricht Dr. Tina Schiemann von ZGM von einer Verdreifachung der Lieferzeiten für Schraubverschlüsse. Für Glasflaschen, Etiketten oder Kartons sieht die Situation kaum besser aus. Die Weinbranche ist dabei in keiner guten Verhandlungsposition. Ähnlich wie bei Toilettenpapier sind die Margen extrem gering, weshalb die Vertreter der Weinerzeuger nicht immer die beliebtesten Partner der Vorlieferanten sind und man im Zweifel gerne anderen Produkten den Vorzug gibt.

Clemens Gerke, Chefredakteur WEINWIRTSCHAFT
Clemens Gerke, Chefredakteur WEINWIRTSCHAFT

Insofern sorgen die seit eh und je niedrigen Preise dafür, dass die Weinbranche von den allgemeinen Verfügbarkeitsproblemen stärker betroffen sein könnte als andere. Auf die Einstufung von Wein als systemrelevant wird man vergebens warten. Wer glaubt, dass man Wein brauche, um sich die ganzen Verordnungen schön zu trinken, könnte bald von der Gesundheitslobby einen weiteren Schuss vor den Bug bekommen, denn die Bemühungen, alkoholische Produkte wegen ihres Krebsrisikos ähnlich rigide wie Tabakprodukte zu kontrollieren, sind in Brüssel weit gediehen. 

Reagieren kann man aktuell nur auf die Verfügbarkeits-Problematik, auch wenn man sich wie ein Getriebener vorkommt. Dabei kann kluges einzelbetriebliches Wirtschaften die Probleme sogar noch verschlimmern. Wenn jetzt alle anfangen, Lager aufzubauen, um sich abzusichern, kann dies die Knappheit so verstärken wie bei der extremen Nachfrage nach Toilettenpapier 2020. Ich sehe schon die Klein-Anzeigen in DER DEUTSCHE WEINBAU mit »Tausche 5.000 Schlegelflaschen gegen 20.000 BVS-Verschlüsse« vor mir. 

Ganz ernsthaft kann es sinnvoll sein, nach Alternativen Ausschau zu halten. Doch sind BiBs eine Option, wenn man keine Abfüllanlage für sie hat? Zumindest bei den Verschlüssen könnte Kork ein Revival erfahren. Eine weitere Chance besteht darin kooperativer zu werden und sich in Einkaufsgemeinschaften zu helfen. Galt es bislang als Pandemie-Tugend, seine digitalen Kompetenzen zu steigern, kommt jetzt die Management-Herausforderung auf die mangelhafte Verfügbarkeit flexibel zu reagieren.

Doch nicht nur die Erzeuger, auch der Handel ist gefragt! Ich glaube, dass gerade hier die »Early adopters« große Chancen haben werden. Im Handel können eine erhöhte Lagerbildung und frühzeitiges Ordern helfen, keine Lücken entstehen zu lassen, während die Konkurrenz kluge Designs für die freie Fläche entwickeln muss. Hilfreich ist auch ein partnerschaftliches Vorgehen mit den Lieferanten, um rauszukriegen, wo der Schuh am meisten drückt und gemeinsame Lösungen zu finden.

Ausgabe 8/2024

Themen der Ausgabe

Württemberg

Die Bewirtschaftung zu teuer, die Bestockung sehr rot – die Weingärten im Ländle stehen vor Veränderungen.

Christof Queisser

Der Vorsitzende der Geschäftsführung von Rotkäppchen-Mumm im Interview.

Sommerwein

Wenn die Sonne scheint, muss es nicht immer weiß sein – wann Rotwein auch im Sommer passt.