Gezielte Bodenbearbeitung ist entscheidend; Foto: Champagne Bereche
Gezielte Bodenbearbeitung ist entscheidend; Foto: Champagne Bereche

Schmecke das Klima

"Dieses Niveau erreichen wir etwa seit 2012. Die beiden Ernten davor, 2010 und 2011, waren schwierig, aber danach haben wir ziemlich regelmäßig dieses Niveau an komplexen Grundweinen erreicht“, blickt Fabrice Pouillon auf die vergangene Dekade zurück. Der Winzer aus Mareuil-sur-Aÿ hat darauf konsequent reagiert. Sichtbares Resultat sind eine Reihe von Einzellagen-Champagnern im Sortiment. Le Montgruguet, Les Valnons, Blanchiens und Chemin du Bois heißen seine vier Champagner, die jeweils aus einem Lieu-dit stammen und als Brut Nature oder Extra Brut ausgeliefert werden. Da speziell in den besten Lagen die Weine immer ausdrucksvoller werden – und natürlich auch, weil es auf dem Markt unter den Champagnerliebhabern eine gestiegene Nachfrage gibt –, hat er sich entschieden, die Weine dieser vier Lagen jeweils zu einem eigenständigen Champagner auszubauen. Pouillon ist kein Einzelfall. Kaum ein Spitzenproduzent verzichtet heute darauf, einige seiner ausdrucksvollsten Lagen separat zu einem Champagner auszubauen. Wenn man so will eine positive Folge des veränderten Klimas, das den Winzern in der Champagne ermöglicht, weitaus komplexere Grundweine zu erzeugen. Werden diese in besonders frühreifen und warmen Jahren zu kräftig als Grundwein, gewinnt der Ausbau als Stillwein, als Coteaux Champenois, an Reiz.  „Früher gab es nicht selten Probleme mit Botrytis, weil die Ernte deutlich später begann. Inzwischen sind die späten Jahre die Ausnahme“, verweist Pouillon auf einen zweifellos messbaren Beweis des Klimawandels. Wenn man so will, geht der Klimawandel Hand-in-Hand mit der Umstellungswelle auf biologische Bewirtschaftung. Durch die frühere Reife ist die biologische Bewirtschaftung in der Champagne deutlich einfacher geworden. Auf der anderen Seite führt gerade die biodynamsiche Bewirtschaftung tendenziell zu einer etwas schnelleren Traubenreife als konventioneller Weinbau. Somit verstärken sich beide Effekte gegenseitig. Auch Fabrice Pouillons Weinberge sind zertifiziert, seine Champagne sind es aber nicht. Doch auch das „immer früher“ hat seine Grenzen: „2020 waren am Anfang der Ernte die Chardonnays physiologisch nicht reif, die Aromatik aber überhaupt noch nicht ausgeprägt. Also haben wir gewartet, mit der Konsequenz, dass die Grundweine zwischen 10,5 und 11 %vol. Alkohol erreichten. Dafür sind es aber die komplexeren Weine.“ Mehr Alkohol, weniger Säure – in diese griffige Formel lässt sich der Einfluss des Klimawandels bringen. „Das funktioniert sehr gut in großen Terroirs, weil unsere Weine dort heute so viel Mineralität besitzen, dass Frische und Spannung auch mit moderater Säure vorhanden ist.“ Der Schlüssel dazu liegt wiederum in der Bewirtschaftung der Weinberge. Auch eine noch höhere Pflanzdichte hält er für sinnvoll: „Wir haben zum Beispiel in der Lage Blanchiens 8.000 Stöcke/Hektar gepflanzt, weil ich überzeugt bin, dass dies zusätzliche Konzentration bringt.“ Ein kritischer Punkt des Klimawandels sind die höheren Temperaturen bei der Ernte. „Fast alle führenden Erzeuger arbeiten heute mit sehr wenig Schwefel.“ Darum sei es laut Pouillon sehr wichtig, die Trauben zu kühlen und den Saft nach dem Pressen möglichst schnell in die Gärung zu bringen. 


"Nur wenn wir erreichen, dass die Reben tief wurzeln, erhalten wir mineralische, vertikale Weine.“
Pascal Agrapart

Hier gehen die Meinungen jedoch auseinander, wie Pascal Agrapart erklärt: „Ich hatte bisher nur einmal Schwierigkeiten mit Trauben, die am Nachmittag gelesen wurden. Wenn die Trauben am Morgen in die Presse kommen, gibt es kein Problem.“ Seine Philosophie lautet „nicht die Säure trägt den Wein, sondern die Mineralität.“ In diesem Punkt ist er einer Meinung mit seinem Kollegen aus Mareuil. Darum ist auch aus Sicht von Agrapart die Bodenbearbeitung von entscheidender Bedeutung: „Nur wenn wir erreichen, dass die Reben tief wurzeln, erhalten wir mineralische, vertikale Weine.“ Denn wenn die Reben tief in die Kreide eindringen ist selbst in heißen Jahren die Wasserversorgung und damit auch die Aufnahme von Mineralien gesichert. Die Kreide und der Kalkstein waren schon immer von großer Bedeutung und verantwortlich für die nahezu unkopierbare Stilistik. Heute ist die Geologie vor allem der größte Trumpf der Champagne im Klimawandel. Ein weiterer Faktor, die Herausforderungen der Klimaerwärmung zu meistern, sei die Zeit: „Wir lassen den Weinen lange Zeit auf der vollen Gärhefe, bis zur Tirage.“ Agrapart baut die Weine zum Großteil in 500-Liter-Fässern aus. Seine Top-Cuvées wie Avizoise oder Venus werden bei der Tirage mit Naturkork verschlossen, wodurch sich die Mikrooxidation vom Holzfassausbau in der Flasche fortsetzt. „Ich mag diesen minimalen Sauerstoffeintrag, auch wenn ich grundsätzlich eher reduktiv arbeite. Die ausgeprägt oxidative Stilistik mag ich persönlich nicht.“ Eine Antwort auf den Klimawandel kann auch der gemischte Satz sein, der speziell bei den Top-Winzern der Champagne eine zarte Renaissance erlebt. Auch Agraparts Complantée ist ein gemischter Satz aus sechs verschiedenen Rebsorten. „Die ursprüngliche Idee war eine ganz andere. Ich wollte sehen, wie weit der Einfluss des Terroirs von Avize auf den Geschmack der Rebsorten reicht. Heute hat der gemischte Satz eine ganz andere Dimension. Da nicht alle sechs Rebsorten gleichzeitig austreiben, ist das Ausfallrisiko durch Spätfröste deutlich reduziert.“ Eine der sechs Sorten ist Arbane. „Die Sorte bringt immer sehr viel Frische in den Wein und kann so auch ein Element sein, auf den Klimawandel zu reagieren.“ 
 

Setzt auf Mineralität: Pascal Agrapart
Setzt auf Mineralität: Pascal Agrapart

Raphael Bérèche sieht die führenden Winzer gut gerüstet, um mit dem Klimawandel umzugehen. „Wir haben das Terroir, um im Notfall in der einen oder anderen Parzelle einen Top-Coteaux-Champenois zu erzeugen, anstelle eines Champagners. Wenn wir es darauf anlegen, können wir dank der Kreide nach wie vor Grundweine mit 9 %vol. ernten, aber auch mit 12 %vol. haben wir genügend Frische in den Weinen. Man kann es auch positiv sehen: Es gibt immer weniger Chaptalisation und immer weniger Eingriffe oder Behandlungen bei den Grundweinen, dank der Klimaerwärmung.“
Vom unabhängigen Einzelwinzer zur größten Genossenschaftsgruppe der Champagne, das Centre Vinicole mit seiner Marke Nicolas Feuillatte. „Die Klimaerwärmung zeigt sich am deutlichsten beim Meunier“, findet Guillaume Roffiaen. Der Chef de Cave von Nicolas Feuillatte spricht damit vor allem die zunehmenden Ernterisiken an: „Vor allem Regen kurz vor der Ernte wird immer mehr zum Problem, weil der Meunier dann schon sehr dünnhäutig ist und die Fäulnisgefahr steigt.“ Zudem sei ausgerechnet das Marnetal, das Hauptanbaugebiet des Meunier, besonders anfällig für Extremwetterereignisse, weil die meist von Westen in die Champagne zögen. Außerdem, so Roffiaen, schiebe sich das Erntefenster immer enger zusammen: „Heute findet die Blüte von Chardonnay, Meunier und Pinot Noir fast gleichzeitig statt und alle drei Sorten werden fast zeitgleich reif. Das macht die Organisation der Ernte extrem schwierig.“ Bei den Trauben führe der Klimawandel tendenziell zu etwas mehr Gerbstoff. „Daher stellt sich die Frage, ob wir die Fraktionierung der Pressung noch ein, zwei Schritte weiterdenken müssen.“ Aufgrund der gestiegenen Ernterisiken gewinnen die Reserveweine zusätzlich an Bedeutung. Auch mit dem Aufbau einer Reserve Perpétuelle wurde 2009 begonnen. Zwar setzt auch Roffiaen gerade beim Ausbau der Reserveweine zunehmend große Holzfässer ein. Einen Zusammenhang mit dem Klimawandel und den kräftigeren Grundweinen bestreitet er jedoch: „Das hat mehr mit den derzeitigen Erwartungen des Marktes zu tun.“ 

Heute wählen wir die Reserve­weine nach anderen Kriterien aus: Es sind nicht mehr die Ernten mit den hochreifen Weinen oder die Weine aus den wärmsten Lagen, sondern die kühleren Jahrgänge und die kühleren, später reifenden Lagen interessanter für die Reserve.“
Cyril Brun, Charles Heidsieck

Beim Thema Fraktionieren, also dem Aufteilen des Saftes beim Pressen in verschiedene Partien, bestätigt Cyril Brun, Chef de Caves bei Charles Heidsieck, die Einschätzung Roffiaens: „Der Unterschied zwischen der Cuvée und der Taille wird immer größer, weil die Taille viel zu reife, schwerfällige Weine liefert.“ Cuvée bezeichnet im Zusammenhang mit dem Pressvorgang in der Champagne das Herzstück der Pressung, während es sich bei der Taille um den stärker gepressten, letzten Teil des Mostes, den sogenannten Scheitermost, handelt, bei dem entsprechend mehr Phenole extrahiert werden.
 

Holzfässer gewinnen an Bedeutung: Fabrice Pouillon
Holzfässer gewinnen an Bedeutung: Fabrice Pouillon

Die kraftvolleren, kompletteren Grundweine haben auch Einfluss auf die ideale Reifezeit des Champagners nach der Flaschengärung auf der Hefe, wie der Kellermeister erklärt: „Das ist speziell bei den Vintage-Champagnern eine interessante Frage. Heute sind viele Champagner nach fünf Jahren schon voll entwickelt, haben aber vielleicht nicht ganz das Lagerpotenzial. Dies gilt es auszugleichen. Eine Möglichkeit ist, bei einem Teil der Grundweine den biologischen Säureabbau zu blockieren. Wir machen das derzeit bei 10 bis 15 Prozent unserer Grundweine. Denn Weine ohne ‚Malo‘ entwickeln sich deutlich langsamer.“ Auch bei den Reserveweinen macht sich der Klimawandel bemerkbar: „Wir müssen vielleicht mehr Weine in die Reserve einlagern und akzeptieren, dass nicht jeder Wein ein so großes Lagerpotenzial besitzt, wie das in vergangenen Jahren der Fall war. Darum wählen wir die Reserveweine heute nach anderen Kriterien aus: Es sind nicht mehr die Ernten mit den hochreifen Weinen oder die Weine aus den wärmsten Lagen. Heute werden die kühleren Jahrgänge und die kühleren, später reifenden Lagen interessanter für die Reserve.“ Brun betont zugleich, dass sich die Champagne Stand heute in einer privilegierten Lage befinde: „Die Situation hat sich umgekehrt. Früher benötigten wir als Reserve Weine die besten Jahrgänge, um die schwächeren auszugleichen. Heute haben wir es aber nur noch in zwei von zehn Jahrgängen mit solchen schwächeren Jahren zu tun.“  Text: Sascha Speicher

01-24

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Bairrada und Dão - Portugals feinste Rote