Alles Müll?! – Upcycling und Recycling

Nachhaltigkeit in der Weinbranche … Zugegeben, das liest sich wie der Titel einer schwerfälligen Seminararbeit. Wie oft hat man es schon gehört! Und schon über die vielen Stellschrauben gelesen, an denen Weinerzeuger drehen können, um ressourcenschonend zu arbeiten. Ein kleines Best-of gefällig?

Sehr naheliegend: die Wahl der Ausstattung. Das Entsagen von Flaschen, die ungefüllt schon über ein Pfund wiegen. Oder der Verzicht auf Herbizide und hin zur mechanischen Bodenbearbeitung – auch ein sehr beliebter Schwerpunkt in solchen Abhandlungen. Klar, das sind alles gute und vor allem löbliche Maßnahmen! Doch wie sieht’s eigentlich in Sachen Kreislaufwirtschaft aus? Genauer: Wie können Abfallprodukte wiederverwertet werden? Hübsche Möbel aus ausgedienten Barriquefässern kennt man ebenso wie Lampen, Vasen & Co. aus alten Weinflaschen … aber da geht noch mehr!

Text: Christine Neubecker

Vom Trester zum Leder
Foto: Martina/Stock.adobe.com
Foto: Martina/Stock.adobe.com

Vor allem, wenn man die Reste der Weinproduktion betrachtet. Schätzungen zufolge fallen dabei jährlich rund zehn Millionen Tonnen Trester weltweit an. Die Überbleibsel der Traubenverarbeitung landen meist als Dünger wieder im Weinberg oder finden in wenigen Fällen zuvor noch zur Herstellung von Tresterbrand Verwendung. Dank neuer Forschungsergebnisse und Technologien wird das Abfallprodukt heute aber auch zum Rohstoff für völlig neuwertige Produkte. Kurzum: Der Trester wird upgecycelt.

Wie bei dem in Mailand ansässigen Unternehmen Vegea, das sein Projekt in Kooperation mit italienischen Weingütern umsetzt. 2016 wurde die Firma gegründet, sie erforscht und produziert seitdem Textilien auf Basis organischer Nebenprodukte – in diesem Fall Schalen, Kerne und Stiele der Weintraube. Mittels patentierter Verfahren werden die Reste in „Weinleder“ verwandelt, das ähnliche Eigenschaften wie tierisches Leder besitzt und zum Verwechseln ähnlich aussieht. Dabei ist das Material aber nicht nur vegan, sondern überzeugt auch mit einem besonders umweltfreundlichen und ressourcenschonenden Herstellungsprozess. Ohne giftige Lösungsmittel oder Schwermetalle und ohne Wasserverbrauch werden die Traubenreste zu „Leder“. Ein echtes Kontrastprogramm zur Verarbeitung von tierischem Leder. Die Vorteile sprechen für sich und so ist bereits der Modegigant H&M für die Conscious Exclusive Kollektion Frühjahr/Sommer 2020 eine Zusammenarbeit eingegangen.

Cabernet Sauvignon gegen marode Straßen

Auf einen völlig anderen Einsatzbereich für Traubenschalen & Co. sind hingegen chilenische Ingenieure gestoßen. Mit seinem Team untersuchte Guillermo Thenoux, Professor für Ingenieurwesen und Baumanagement an der Pontificia Universidad Católica in Santiago, nämlich die Wirkung von Trester auf die Alterung von Asphaltstraßen. Dass sich asphaltierte Straßen mit der Zeit einem Oxidationsprozess unterziehen, steifer werden und zur Rissbildung neigen, nahm das Team hierbei als Ausgangspunkt für seine Forschungen. „Daher die Idee, dehydrierten und pulverisierten Traubentrester einzubauen, da es sich um ein Produkt mit einer hohen antioxidativen Kapazität handelt“, erklärt Guillermo Thenoux. Das Ergebnis: Bei den Proben mit einem Zusatz des Traubentrester-Antioxidans reduzierte sich die Ermüdung und Rissbildung von Asphaltbelägen um 14 Prozent. Für seine Forschungen setzte das Team die Trester unterschiedlicher Rebsorten ein. Vor allem die Schalen & Co. von Cabernet Sauvignon schnitten positiv ab, was am höheren Gehalt an Polyphenolen in den Trauben liegt.

Der Kern der Sache

Wenn im Herbst der Trester wieder in großen Mengen in den Weinbergen verteilt wird, schlagen sich Ölmühlen-Betreiber gewiss die Hände über dem Kopf zusammen. Schließlich ist es ihr Rohstoff, der da zwischen den Rebzeilen liegt. Und ein wertvoller noch dazu. Denn um einen Liter Traubenkernöl zu erzeugen, benötigt beispielsweise die Ölmühle Brian nahe Heilbronn 50 Kilogramm Kerne. 

Hierfür sind wiederum laut ihren Angaben 500 Kilogramm Trester nötig, der mittels einer speziellen Anlage aufbereitet wird, um die hochwertigen Kerne auszusieben. Dann können die Kerne kaltgepresst werden, um das „Grüne Gold“ zu gewinnen, welchem durchaus positive Eigenschaften zugesprochen werden. Traubenkerne sind nämlich reich an OPC (Oligomere Proanthocyanidine) – ein echter Allrounder, der sich sowohl auf die Haut, Augen, das Immunsystem sowie Entzündungen positiv auswirken soll. Viel zu schade also, um einfach im Weinberg vor sich hin zu zerfallen. Und sogar das Nebenprodukt der Ölgewinnung, der sogenannte Presskuchen, kann zu Traubenkernmehl aufbereitet werden und findet dann in der Küche in Soßen oder Panaden seinen Einsatz. Auch im Weingut von Silvia Heinrich im österreichischen Burgenland stehen die kleinen Kerne mit der großen Wirkung im Gewürzregal. Händisch sortieren sie und ihre Töchter die Traubenkerne aus dem Trester und vertreiben sie in Gewürzmühlen unter anderem in Kombination mit Kräutern wie Thymian und Rosmarin.

Eine Menge Holz
Foto: Raymond Thill/stock.adobe.com
Foto: Raymond Thill/stock.adobe.com

Das zeigten auch die Ergebnisse von Stiftung Warentest 2019, wo fünf der 17 Grillholzkohlen Tropenholz aufwiesen. Was das mit Wein zu tun hat? Es gibt eine sehr viel nachhaltigere und naheliegendere Lösung: Rebstöcke. Nicht nur Winzer nutzen die getrockneten Stöcke zum privaten Grillvergnügen, auch vor Ort oder online können bereits portionierte Säcke erworben werden, wie zum Beispiel bei der Firma RebenGlut. Doch damit nicht genug. Auch während des Schnitts im Winter fällt Rebholz an. Wie auch der Trester dient das Schnittholz normalerweise als Dünger im Weinberg und trägt enorm zur Humusbildung bei. Einige Weingüter wie Manincor in Italien oder Kollwentz in Österreich – um nur einige Beispiele aufzuzählen – nutzen aber auch den Rebschnitt, um Hackschnitzel für die Heizungsanlage zu produzieren.

Flasche zu und fertig?
Foto: nataliazakharova/stock.adobe.com
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Foto: Vinventions
Foto: Vinventions

Nicht nur bei der Vinifikation, auch wenn der Wein bereits gefüllt ist, spielen Recycling und Upcycling eine weitergehende Rolle. Dabei lohnt es sich, den Verschluss näher unter die Lupe zu nehmen, um nur einen Aspekt zu nennen. Als umweltfreundliche Variante denken die meisten dabei wohl an den guten alten Korken. Doch was passiert mit ihm, sobald er aus dem Flaschenhals geploppt ist? Ja nicht in die Mülltonne damit, denn der gute Stopfen kann noch recycelt werden. Unter anderem setzt sich hierfür der NABU Hamburg mit seiner KORKampagne ein. Sammelstellen in ganz Deutschland retten die wertvollen Korken, sodass aus ihnen Dämmgranulat hergestellt werden kann. Der besondere Clou: Mit dem Gewinn des Verkaufs des Dämmgranulats unterstützt der NABU Kranichschutzprojekte in Deutschland und Spanien. Korken für Kraniche sozusagen – und indem man seine Korken zu einer der Sammelstellen bringt oder gleich selbst eine eröffnet, kann jeder ganz leicht ein Teil davon werden.  

Abgesehen vom traditionellen Naturkorken haben sich aber auch rundherum Alternativen entwickelt, die das Thema Recycling aufgreifen oder gar perfektionieren. Das Unternehmen Vinventions nimmt hier eine zentrale Rolle ein. Sein Ziel ist es, Verschlüsse auf Zuckerrohr-Basis sowie synthetische Korken zu sammeln, aufzubereiten und aus dem entstehenden Recyclingmaterial einen neuen Verschluss zu kreieren. Und so das perfekte Kreislaufmodell zu schaffen. Seit letztem Jahr kooperiert Vinventions daher zum Beispiel mit einer französischen Weinhandelskette, um die gebrauchten Verschlüsse zurückzugewinnen. Aufgrund der anhaltenden Pandemie hat Vinventions gemeinsam mit dem Partnerunternehmen Beologic in diesem Jahr allerdings die recycelten Weinverschlüsse zum Teil anderweitig verwertet: Das daraus entstehende Maskenband soll nicht nur den Tragekomfort erhöhen, sondern auch die Größe individuell anpassen, falls der Gummizug der Atemschutzmaske zu eng oder zu weit ist. Aus alten Weinverschlüssen entstehen so Lösungen für neue Probleme.

Aus alt mach neu … hier wird re- und upgecycelt:
Vegea
www.vegeacompany.com
Brian Ölmühle
www.brian-oelmuehle.de
RebenGlut
www.rebenglut.de
NABU KORKampagne
www.nabu.de
Vinventions
www.vinventions.com
www.maskstrap.com
Das Thema der Wiederverwertung in der Weinbranche ist aktuell wie nie. Erst im Herbst letzten Jahres startete das Projekt BESTMEDGRAPE, welches die Abfallprodukte der Weinerzeugung auf bioaktive Verbindungen untersucht, die in innovative Gesundheitsprodukte umgewandelt werden können. Hierfür arbeiten die Länder Italien, Frankreich, Tunesien, Libanon und Jordan zusammen, das Projekt wird mit 2,6 Millionen Euro von der EU bezuschusst. www.enicbcmed.eu
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Ausgabe 03/2024

Erhältlich ab 8. März: MEININGERS WEINWELT Ausgabe 03/2024

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