Hop Head IPA7 von Craftwerk
Hop Head IPA7 von Craftwerk

Auf dem Schreibtisch: Craftwerk - Craft Beer von Bitburger

Es ist schon lustig. Bislang galt immer das althergebrachte Gesetz, dass die Kleinen danach streben, groß zu werden. Dass sich nun aber die Großen danach sehnen, klein zu werden (oder zumindest so zu wirken), ist neu.

Vor ein paar Wochen machte die Nachricht die Runde, dass Pernod Ricard, einer der weltweit größten Spirituosenproduzenten und -vertriebe, hinter dem Mikrodestillerieprojekt namens Our/Berlin stecke, das als erstes Produkt einen lokalen Vodka auf den Markt brachte. Schon da zeigte sich: Die Megatrends Handwerk/Manufaktur und Regionalität haben eine Bedeutung erreicht, die auch die Megaplayer mit ihren Weltmarken nicht mehr ignorieren können. Auf dem Biersektor preschte die Radeberger Gruppe vor einiger Zeit mit ihrer Braufactum-Serie vor.

Nun gibt es ein neues Beispiel für diesen "Downsizing"-Trend aus dem Bierbereich: Die Bitburger Braugruppe mit den großen "Fernsehbieren" Bitburger, König Pilsener und Licher macht in Craft Beer. Das wirft vielerlei Fragen auf: Können die das? Dürfen die das? Ist das glaubwürdig? Und: Was hat das für Auswirkungen auf die gerade zum Blühen kommende Bewegung der Craft-Brauer?

Über Craftwerk Brewing

Beginnen wir bei den Fakten: Craftwerk Brewing, so der Name der neuen Bitburger-Unit, hat zum Start drei Biere im Angebot: "Tangerine Dream", ein Single Hop Pale Ale mit dem fruchtigen Geschmack des Mandarina Bavaria Hopfens (5,8 Vol.-% Alk.). "Hop Head IPA7", ein American Pale Ale mit intensiv herbem Hopfenaroma (8 Vol.-% Alk.). Und "Holy Cowl", ein klösterlich inspiriertes Belgian Style Tripel (9 Vol.-% Alk.). Das Packaging kann durchaus überzeugen, erinnert allerdings stark an die Biere von Brewdog aus Schottland (www.brewdog.com). Haben wir es hier also mit einem schnell aus der Taufe gehobenen Copycat-Produkt zu tun?

So einfach ist die Sache nicht. Die Craftwerk-Website schildert die Entstehungsgeschichte der neuen Craft-Linie. Seit über 20 Jahren betreibt die Bitburger Braugruppe eine Pilotbrauerei, in der Rohstoffe, Geschmacksvariationen sowie Produktionsprozesse getestet und optimiert werden. Bei den mehr als 2.000 Suden, die bislang eingebraut wurden, seien etliche Spezialitäten entstanden, die bei internen Feiern bestens ankamen. In den 90er Jahren waren das vor allem Bock- oder Weizenbiere, 2003 das erste milde Bier und 2009 schließlich ein India Pale Ale. Die interne Fangemeinde für diese Editionsbiere wie "Hop Bit's - Chresdachsber" wuchs stetig - und nun soll endlich auch die Öffentlichkeit daran teilhaben können. So wurde aus der Versuchs- und Spezialitätenbrauerei der Bitburger Braugruppe Craftwerk Brewing.

Dürfen die das?

Natürlich hätte man sich mehr Mut von der Bitburger Braugruppe gewünscht und erwarten können, dass sie ihre handwerkliche Braukompetenz nicht erst dann nach außen trägt, wenn der Markt langsam bereitet ist. Me-too-Vorwürfe muss sich die Brauerei deshalb sicherlich gefallen lassen. Die Frage, ob die Brauerei Craft-Beer "kann", scheint allerdings eindeutig beantwortet zu sein. Zweite Frage: Darf sie das denn auch? Nun, wer sollte es ihr verbieten!

Bleibt die Frage: Ist das denn glaubwürdig? Dass sich die Bitburger Braugruppe nicht hinter irgendeiner Pseudo-Tochterfirma versteckt, sondern die Craftwerk-Herkunft offen kommuniziert, bringt auf jeden Fall schon einmal einen Pluspunkt. Auch die oben geschilderte Entstehungsgeschichte ist überprüfbar, nachvollziehbar und damit glaubwürdig. Schließlich spielt bei der Beantwortung der Frage auch der Aspekt mit rein, wie man die Craft-Beer-Bewegung überhaupt definiert. Da verschwimmt derzeit nämlich einiges, was untern Strich auch gar nicht wirklich zu trennen ist. Einserseits werden die regionalen Spezialitäten, die es schon immer gab und ihren geografisch begrenzten Erfolg haben, unter "Craft" einsortiert. Dann gibt es die Luxus-Eskapaden in Champagnerflaschen zu astronomischen (und völlig un-gastronomischen Preisen). Schließlich die "Neuen Wilden" wie Brewdog oder Crew Ale, die auch optisch neue Wege gehen. Alle diese Biere vereint die Lust am Experiment, eine neue Offenheit im Umgang mit Hopfensorten und der Wunsch, die geschmackliche Vielfalt des Bieres wieder präsent zu machen.

Dass "Craft" (übersetzt: Handwerk, von Hand gefertigt) zwar häufig in der Realität klein bedeutet, liegt in der Natur der Sache. Eine unbedingte Voraussetzung allerdings ist dies nicht. Ob man sein "Handwerksbier" nun lieber von einem kleinen Handwerksbetrieb oder von einem großen Player mit Handwerks-Unit bezieht, muss jeder für sich entscheiden. Ausschlagebend werden da sicherlich die Konzeptausrichtung, der Preis und natürlich auch der Geschmack sein. Preislich und geschmacklich liegen die Craftwerk-Biere absolut auf Augenhöhe mit den Konkurrenten.        

Die Auswirkungen          

Kommt nach der Biermix- und der Fassbrause- nun die Craft-Welle seitens der großen Brauer? Sollte Bitburger mit der neuen Linie Erfolg haben, ist es sicherlich nur eine Frage der Zeit, bis auch die anderen Brauer nachziehen (wenn sie nicht schon längst etwas in petto haben). Ob ihnen dies mit einer ähnlich nachvollziehbaren Story gelingt, ist zumindest zweifelhaft. Wie die Bitburger-Konkurrenten reagieren, ist aber nur eine spannende Perspektive.

Die andere ist die Frage, was Craftwerk in der Szene der Craft-Brauer (so es sie denn überhaupt gibt, siehe oben) auslöst. Positiv zu bewerten ist, dass Craftwerk offensichtlich nicht mit Schleuderpreisen auf den Markt kommt (was ja auch unglaubwürdig wäre), um diesen kaputt zu machen. Die Biere kosten im Online-Shop zwischen 2,10 und 2,40 Euro pro 0,33-Literflasche. Vertrieblich aber kann Bitburger natürlich gehörig die Muskeln spielen lassen und wird vermutlich einige Objekte für die Konkurrenz "dicht" machen.

Andererseits ist mit dem Markteintritt von Craftwerk auch die Hoffnung verbunden, dass Craft-Biere eine noch breitere Konsumentenschicht erreichen. Und meistens ist es ja so, dass man sich - hat man eine neue Kategorie erst einmal für sich entdeckt - immer tiefer in die Materie einarbeitet, hier: eintrinkt, und immer mehr Produkte kennenlernen möchte. So gesehen dürften auch die Craft-Pioniere etwas von der Entwicklung haben. Schließlich können sie sich zwecks Differenzierung in Zukunft als "Das Craft-Original" verkaufen.  

www.craftwerk.de    

fizzz 04/2024

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