Scotch Whisky boomt - Zeit für Experimente (Foto: ©Volodymyr - stock.adobe.com)
Scotch Whisky boomt - Zeit für Experimente (Foto: ©Volodymyr - stock.adobe.com)

Zeit für Experimente

Wie positioniert sich der schottische Platzhirsch im lebhaften Whisky-Markt?

Text: Tim Allgaier

Schottischer Whisky gilt nach wie vor als die unangefochtene Königskategorie der gelagerten Spirituosen. Nach einer Dürrephase im letzten Jahrhundert scheint der Boom, der spätestens mit den 2000ern eingesetzt hat, ungebrochen. Alte, ehemals geschlossene Destillen wurden reaktiviert und neue errichtet, während die Jahrzehnte alten Lagerkapazitäten plötzlich zur Neige gingen. Tradition im Premiumgewand war wieder in und die alteingesessenen Scotch-Marken hatten Mühe, die steigende weltweite Nachfrage zu bedienen. Von dem Aufschwung profitierten auch andere Whisk(e)y-Sorten, etwa aus Japan und Irland, und selbst im Whisky-Neuland Deutschland schossen Pot Stills wie Pilze aus dem Boden, um mit Gerstenmalz gefüttert zu werden. Wer soll das alles trinken, mag man sich fragen? Und wie positioniert sich der schottische Platzhirsch im lebhaften Whisky-Markt? Noch ist kein Ende des Aufschwungs in Sicht – vielmehr scheint die Zeit für Experimente und neue Ansätze für die Whisky-Herstellung in voller Blüte. Wir wagen einen Blick auf aktuelle Neuheiten und die nahe Zukunft rund um den Single Malt Scotch und seine kleinen Geschwister.

Der Malt muss warten - Scotch Whisky

Im Gegensatz zu Vodka oder Gin ist die Whisky-Produktion eine langwierige und kostspielige Angelegenheit. Mindestens drei Jahre muss der New Make in Eichenholzfässern liegen, um überhaupt als Scotch Whisky verkauft zu werden. Beim beliebten Single Malt bewegen sich die meisten Marken eher zwischen zehn und zwölf Jahren für ihre Standard-Qualitäten.

Eine ganz schön lange Zeit, in der man zunächst einmal nur totes Kapital herumliegen hat, ohne einen Pence verdient zu haben. Einige Destillen haben zwar den Gin-Hype erfolgreich gedeutet und neben dem Whisky Wacholderdestillate vermarktet und zum zweiten Standbein ausgebaut. Der Malt musste aber warten – so verlangen es die Regularien der Scotch Whisky Association. Jene erlauben auch keine nachträglichen Zusätze außer reinem Wasser und einfachem Zuckerkulör als Farbstoff. Außerdem ist ein Mindestalkoholgehalt von 40 % Vol. vorgeschrieben – um nur die wichtigsten Regeln zu nennen. Durch die strenge Kontrolle und kompromisslose Traditionstreue konnte sich der Scotch Whisky das Vertrauen der Genießer weltweit erarbeiten und so seinen Flaggschiff-Status im Whiskykosmos weiter ausbauen.

So riecht der Regen auf Islay
So riecht der Regen auf Islay
Neuheiten-Tipp
Lass Whisky regnen!

Big Peat stellt die Sonderabfüllung für den Sommer 2021 vor: Big Peat „Peatrichor“ Limited Edition. Abgefüllt mit einer natürlichen Fassstärke von 53,8 % Alkohol, feiert er die Regenfälle auf Islay – schließlich ist der Regen von heute der Whisky von morgen! Das Wort Peatrichor (oder Petrichor) beschreibt den erdigen Duft, der bei Regenfällen entsteht, wenn die Tropfen auf trockenen Boden prasseln.

NAS-Whiskys - steigende Nachfrage

Eine unerwartet steigende Nachfrage kann einen aber vor Probleme stellen, wenn man in erster Linie zwölf und mehr Jahre gelagerte Spirituosen vermarktet. So kamen vor einigen Jahren die sogenannten NAS-Whiskys auf – die Abkürzung steht für ‚No Age Statement‘. Von einigen Produzenten nur als Übergang für Zeiten leerer Lager betitelt, proklamierten andere eine Neuorientierung weg vom Fokus auf das Alter, hin auf den Geschmack. Ganz vorne mit dabei waren etwa die progressiven Brenner von Bruichladdich auf der Insel Islay. Für die Octomore-Serie, mit der man regelmäßig Rekorde für den rauchigsten Whisky der Welt forcierte, werden etwa gezielt jüngere Malts ab fünf Jahren Reife geblendet, da der rauchige Charakter mit längerer Fasslagerung abnimmt. 

Es müssen aber nicht zwingend rekordverdächtige Superlative sein, die als Anreiz dienen, sich dem Korsett der Altersangabe zu entledigen. Es kann auch der Wunsch und die Nachfrage nach einem erschwinglichen Mixing-Scotch für die Bar sein, womit man sich auch eine Verjüngung der Marke verspricht.

Rauchrekorde, milde Blends und Mixing-Malts
Rauchrekorde, milde Blends und Mixing-Malts

Ob derartige Innovationen den Anteil an Scotch-Cocktails in den Bars hierzulande steigern werden, muss sich erst zeigen. Noch bleibt das Kernportfolio der 10 bis 15 Jahre alten Single Malts der Verkaufsschlager, sowohl an der Bar als auch im Einzelhandel. Nichtsdestotrotz konkurrieren die großen Scotch-Marken mit immer neuen Ideen auch im Premium-Segment um neue Liebhaber. Kaum ein Finish rund um Sherry-, Süßwein- und Rotweinfässer, das noch nicht versucht wurde, während andere Produzenten zusammen mit ihren Marketingabteilungen zu Höchstform auflaufen, um sagenhafte Geschichten um ihre Abfüllungen herum zu stricken.

Aqua Ello - Scotch-Cocktail mit Überraschungseffekt
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Cocktail-Tipp
Laddie für Newbies

Die Insel Islay ist für ihre kräftigen getorften Whiskys bekannt. Die „Progressive Hebridean Distillers“ und ihr Head-Destiller Adam Hannett brechen diese Tradition mit dem Bruichladdich Classic Laddie, einem Single Malt, der auch Whisky-Newbies begeistert. Im „Aqua-Ello“ überrascht er mit sommerlicher Frische. 
Die Zutaten: 4 cl Classic Laddie, 4 cl Barista Mandelmilch, 3 cl frischer Orangensaft (ohne Fruchtfleisch), 1,5 cl Kokossirup, 1 cl weißer Schokosirup.

Rauch und Torf

Rauch-Freunde etwa kommen beim jährlichen Ardbeg-Day auf ihre Kosten, wenn die Marke eine neue Abfüllung zunächst exklusiv für registrierte Mitglieder auf den Markt bringt. In diesem Jahr kommt der Ardbeg Scorch aus extra stark ausgekohlten Ex-Bourbon-Fässern und bringt neben Ruß, Rauch und Lakritze auch Noten von Kiefer, Salbei und duftendem Patchouli hervor. Die Sonderedition erzählt dazu die Geschichte eines Aromen-speienden Drachens, der in der Destille leben soll. Platz genug dürfte er haben, nachdem der Konzern jüngst ein neues Brennhaus eingeweiht und seinen Ausstoß von 1,4 Millionen auf 2,4 Millionen Liter im Jahr gesteigert hat.

Im Whisky-Marketing versteht sich auch Talisker von der Insel Skye, die für ihren rauchig-maritimen Single Malt bekannt sind. Für die Sonderedition Xpedition Oak wurde 43 (!) Jahre alter Single Malt einem Finish in Fässern unterzogen, deren Dauben im Rahmen einer Segelboot-Regatta den Atlantik durchquert haben. Eindrucksvoller lässt sich der maritime Einfluss auf die Whiskyherstellung kaum promoten – trotz des stolzen Preises von knapp 4.000 Euro werden die limitierten Flaschen wohl kaum ein Ladenhüter bleiben.

Das Buhlen um die Gunst der Kundschaft ist trotz konstant hoher Nachfrage ein ständiger Wettlauf um neue Ideen auf Seiten der Whisky-Produzenten und Abfüller.

Der geneigte Konsument darf sich freuen, denn neben nie dagewesener Vielfalt scheint sich vor allem ein Trend hin zu Qualität und Transparenz durchzusetzen. Immer mehr Marken verzichten bei ihren Premium-Abfüllungen auf Farbstoffe und die sogenannte ‚chill filtration‘ (Kältefiltration), um ihren Single Malt in Reinform zu präsentieren.

So etwa bei der Marke Mac-Talla – einer neuen Single Malt-Reihe von der bei Torf-Liebhabern geschätzten Insel Islay. Die Abfüllungen der renommierten Morrison Scotch Whisky Distillers tragen die Namen ‚Terra‘, ‚Mara‘ und ‚Strata‘ und spiegeln die volle aromatische Bandbreite der rauen Landschaft rund um die Hebrideninsel wider. Von verhältnismäßig leicht-rauchig und fruchtig-süß, über die volle Kraft der Fassstärke von 58,2 % Vol. bis zur voluminösen Sherry-Cask-Abfüllung mit 15 Jahren Altersangabe wird jedem Connaisseur etwas geboten.

Fass-Experimente bei Port Charlotte
Fass-Experimente bei Port Charlotte
Neuheiten-Tipp
Fass-Experimente

Mit dem Port Charlotte PAC:01 2011 erweitert Bruichladdich die Port Charlotte Cask Exploration Serie und zeigt, welchen Einfluss nicht nur das Terroir, sondern auch die Reifung in unterschiedlichen, handverlesenen Fässern auf die Aromatik eines heavily peated Single Malts haben: Ein einziges Jahr in französischen Rotweinfässern liefert einen rubinroten Glanz und ein Aromenspiel aus Frucht und Gewürzen.

Fruchtig-süß und filigran

Doch nicht nur auf der kleinen Insel kann man mit Torf- und Rauchnoten umgehen. Immer mehr Brennereien in den eher für süß-fruchtige Whiskys bekannten Highlands experimentieren mit Raucharomen in ihren Malts. Der Tomintoul Cigar Malt aus der Region Speyside vermählt seltene getorfte Malts der Brennerei mit Whiskys aus handverlesenen Oloroso-Sherry-Butts und generiert einen Single Malt, der als perfekter Compagnon für Liebhaber erstklassiger Zigarren dient.

Die filigrane Leichtigkeit der Highlands und der Speyside
Die filigrane Leichtigkeit der Highlands und der Speyside

Nach drei Jahren Reifezeit steht nun der mit Spannung erwartete Nc’Nean Organic Single Malt Scotch in den Start­löchern – ein Whisky, der ausschließlich mit biodynamisch angebauten Rohstoffen mittels erneuerbarer Energie hergestellt und in vollständig recycelten Glasflaschen abgefüllt wurde. Die schlichte und moderne Aufmachung in der floral verzierten durchsichtigen Apothekerflasche setzt den elegant-leichten Malt optimal in Szene. Ein erfrischend anderer Grenzgänger im Traditionsmarkt.

'Meet the Beast' - Timorous Beastie in Fassstärke
'Meet the Beast' - Timorous Beastie in Fassstärke
Neuheiten-Tipp
So ein Biest!

Douglas Laing & Co, Schöpfer der Scotch Whisky Reihe der Remarkable Regional Malts, bietet mit Timorous Beastie „Meet the Beast“ eine limitierte Abfüllung des Highland Blended Malts – in einer natürlichen Fassstärke von 54,9 % und ausschließlich in ehemaligen amerikanischen Bourbon-Fässern gereift. Mit Geschmacksnoten wie komplexer Eiche, buttrigem Gebäck und reichen Gewürzen soll Timorous Beastie Meet the Beast „einen abenteuerlustigen Whiskytrinker mit einem Appetit auf große Aromen“ ansprechen.

Alles in allem also goldene Zeiten für Scotch-Liebhaber und -Produzenten. Noch nie war die Auswahl an Produkten, Marken und Stilen so groß wie heute und ein Ende des Aufschwungs ist vorerst noch nicht in Sicht. Manch Traditionalist mag in der Verjüngung des Scotch-Marktes zugleich dessen Untergangsszenario beschwören und Sorge tragen, der schottische Whisky werde beliebiger unter den dutzenden Whisk(e)y-Sorten der Welt. Sicherlich werden einige Experimente und Marken auch wieder vom Markt verschwinden – Qualität wird sich aber in den meisten Fällen durchsetzen. Optimalerweise bleibt so der perfekte Dram für jeden Scotch-Fan. Slàinte mhath!

fizzz 03/2024

Themen der Ausgabe

Kaspar Schmauser

Daniel Meyer, Philipp Selzle und Claudius zur Linden planen von Nürnberg aus die Expansion ihrer Marke Kaspar Schmauser zur deutschlandweiten Restaurantkette. Dass die veganen Bowls zwar frisch, aber nicht von Fachpersonal
zubereitet werden, verschafft dem Gründertrio einen entscheidenden Vorteil.

Wein-Special Düsseldorf

Düsseldorfs Weinszene floriert, neue Bars eröffnen und immer mehr Lokale entwickeln sich zu Hotspots. Wir präsentieren die spannendsten Adressen.

Asia-Inspiration

Fünf asiatische Konzepte aus Berlin, die mit Individualität und klarem USP überzeugen.
Plus: News aus Fernost.